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Krüger, Elsa; Lengefeld, Selma von: Über Wahlrecht und Wahlpflicht der deutschen Frau. Weimar, 1918.

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worden. Durch die plötzliche Erteilung des Frauenstimmrechts tritt
die Verbreitung einer eingehenden Aufklärung über politische Fragen
in den Vordergrund des Jnteresses.

Über die Zahl der in Betracht kommenden wahlberechtigten
Frauen gehen die Meinungen ziemlich auseinander, genaues läßt
sich für das ganze Reich schwer sagen. Man rechnet mit etwa
21 1/2 Millionen gegen 18 1/2 Millionen Männerstimmen. Wenn alle
diese Frauenstimmen mit in die Wagschale geworfen werden, so kann
das unter Umständen eine ganz bedeutende Verschiebung des End-
ergebnisses herbeiführen. Den politischen Parteien ist diese Sachlage
auch durchaus bewußt, das zeigt sich deutlich an dem Eifer, mit dem
die Frauen jetzt mit einem Mal von ihnen umworben werden, und
an der Sorge, mit der man bemüht ist, ihnen jede mögliche politische
Aufklärung zukommen zu lassen.

Wie eingangs schon gesagt wurde, haben die Frauen ebenso
wie die Männer vom vollendeten 20. Lebensjahre an das aktive und
passive Wahlrecht erhalten. Das aktive berechtigt dazu, selbst das
Wahlrecht auszuüben, also seine Stimme für eine oder mehrere zur
Wahl gestellte Persönlichkeiten abzugeben. Wer im Besitz des
passiven Wahlrechts ist, kann selbst durch Abstimmung als Ab-
geordneter gewählt werden, er erleidet sozusagen die Wahl. Die
Ausübung des aktiven Wahlrechtes und die Bewertung und Zählung
der Stimmen kann nun in der verschiedensten Weise geschehen. Das
unbeschränkteste Männerwahlrecht der Welt, wie es in dem Maß
kein anderes Volk besitzt, war das bisherige Reichstagswahlrecht, das
Bismarck im Jahre 1871 bei Begründung des Deutschen Reiches
allen Staatsbürgern vom 25. Lebensjahre an gab. Es war ein
persönliches Wahlrecht, weil jeder Wähler selbst an die Wahlurne
schreiten mußte, um den von ihm ausgefüllten Wahlzettel hinein-
zustecken. Allgemein hieß es, weil ohne Unterschied jeder deutsche
Mann vom genannten Lebensalter an das betreffende Recht besaß,
außer wenn er entmündigt war, Armenunterstützung empfing, sich im
Konkurs befand, oder wenn ihm die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen
worden waren. Geheim hieß die Wahl, weil der Wähler den
Zettel mit dem Namen des von ihm zu wählenden Abgeordneten
ohne Angabe seines eigenen Namens in einem vor den Blicken
Neugieriger geschützten Raum in einen Briefumschlag steckte, den er
alsdann in die Wahlurne tat. Die Möglichkeit der Wahrung des
Wahlgeheimnisses ist ein außerordentlich wichtiges Erfordernis, um
ein wirklich der ehrlichen Meinung der Wähler entsprechendes Er-
gebnis zu erzielen und um eine Wahlbeeinflussung von Seiten ver-
schiedener Jnteressengruppen zu verhindern. Direkt war das Wahl-
recht, weil der Wähler seine Stimme unmittelbar für den von ihm
gewünschten Volksvertreter abgab und nicht, wie es im preußischen
Landtagswahlrecht war, für einen Wahlmann stimmte, der dann erst
wieder mit den übrigen aufgestellten Wahlmännern zusammen den
eigentlichen Abgeordneten ernannte. Und endlich gleich war das
Wahlrecht, weil jeder Wähler nur eine gültige Stimme hatte, ohne

worden. Durch die plötzliche Erteilung des Frauenstimmrechts tritt
die Verbreitung einer eingehenden Aufklärung über politische Fragen
in den Vordergrund des Jnteresses.

Über die Zahl der in Betracht kommenden wahlberechtigten
Frauen gehen die Meinungen ziemlich auseinander, genaues läßt
sich für das ganze Reich schwer sagen. Man rechnet mit etwa
21 ½ Millionen gegen 18 ½ Millionen Männerstimmen. Wenn alle
diese Frauenstimmen mit in die Wagschale geworfen werden, so kann
das unter Umständen eine ganz bedeutende Verschiebung des End-
ergebnisses herbeiführen. Den politischen Parteien ist diese Sachlage
auch durchaus bewußt, das zeigt sich deutlich an dem Eifer, mit dem
die Frauen jetzt mit einem Mal von ihnen umworben werden, und
an der Sorge, mit der man bemüht ist, ihnen jede mögliche politische
Aufklärung zukommen zu lassen.

Wie eingangs schon gesagt wurde, haben die Frauen ebenso
wie die Männer vom vollendeten 20. Lebensjahre an das aktive und
passive Wahlrecht erhalten. Das aktive berechtigt dazu, selbst das
Wahlrecht auszuüben, also seine Stimme für eine oder mehrere zur
Wahl gestellte Persönlichkeiten abzugeben. Wer im Besitz des
passiven Wahlrechts ist, kann selbst durch Abstimmung als Ab-
geordneter gewählt werden, er erleidet sozusagen die Wahl. Die
Ausübung des aktiven Wahlrechtes und die Bewertung und Zählung
der Stimmen kann nun in der verschiedensten Weise geschehen. Das
unbeschränkteste Männerwahlrecht der Welt, wie es in dem Maß
kein anderes Volk besitzt, war das bisherige Reichstagswahlrecht, das
Bismarck im Jahre 1871 bei Begründung des Deutschen Reiches
allen Staatsbürgern vom 25. Lebensjahre an gab. Es war ein
persönliches Wahlrecht, weil jeder Wähler selbst an die Wahlurne
schreiten mußte, um den von ihm ausgefüllten Wahlzettel hinein-
zustecken. Allgemein hieß es, weil ohne Unterschied jeder deutsche
Mann vom genannten Lebensalter an das betreffende Recht besaß,
außer wenn er entmündigt war, Armenunterstützung empfing, sich im
Konkurs befand, oder wenn ihm die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen
worden waren. Geheim hieß die Wahl, weil der Wähler den
Zettel mit dem Namen des von ihm zu wählenden Abgeordneten
ohne Angabe seines eigenen Namens in einem vor den Blicken
Neugieriger geschützten Raum in einen Briefumschlag steckte, den er
alsdann in die Wahlurne tat. Die Möglichkeit der Wahrung des
Wahlgeheimnisses ist ein außerordentlich wichtiges Erfordernis, um
ein wirklich der ehrlichen Meinung der Wähler entsprechendes Er-
gebnis zu erzielen und um eine Wahlbeeinflussung von Seiten ver-
schiedener Jnteressengruppen zu verhindern. Direkt war das Wahl-
recht, weil der Wähler seine Stimme unmittelbar für den von ihm
gewünschten Volksvertreter abgab und nicht, wie es im preußischen
Landtagswahlrecht war, für einen Wahlmann stimmte, der dann erst
wieder mit den übrigen aufgestellten Wahlmännern zusammen den
eigentlichen Abgeordneten ernannte. Und endlich gleich war das
Wahlrecht, weil jeder Wähler nur eine gültige Stimme hatte, ohne

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-11-24T15:36:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-11-24T15:36:09Z)

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Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Krüger, Elsa; Lengefeld, Selma von: Über Wahlrecht und Wahlpflicht der deutschen Frau. Weimar, 1918, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krueger_wahlrecht_1918/8>, abgerufen am 24.11.2024.