Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.Er war sehr freundlich gegen mich, vielleicht weil er merkte, dass ich nicht zu denen gehörte, deren botanische Zimmerstudien er wegwerfend mit dem Spruch charakterisierte: "Die Kerls gehen nicht hinaus", nämlich um die Pflanzen an ihren Standorten aufzusuchen und zu beobachten. Koch benützte mich als ammanuensis im botanischen Garten und wollte mich ganz zur Botanik hinüberziehen, was mich bewog, mich zurückzuziehen. Theologische Vorlesungen hörte ich in den 2 ersten Semestern bei Hofmann und dem für uns Pfälzer eigens angestellten Ebrard. Letzterer zog durch Frische und Verständlichkeit angehende Theologen an und seine Malicen gegen wissenschaftliche Gegner waren beliebtes Gewürz. In späteren Semestern befriedigte er mich und viele andere wenig. Ich hörte bei ihm Encyklopädie und Exegese, bei Hofmann Exegese. Er war der Stern erster Grösse in der theol. Fakultät, um dessenwillen besonders zahlreich norddeutsche Studenten nach Erlangen kamen. Mir war er nicht sympatisch; seinem geistreichen Vortrage fehlte die Wärme, der Herzton; sein Scharfsinn wurde in meinen Augen zu Haarspalterei und über der Gründlichkeit seiner Exegese bei einzelnen Partikeln verhüllte sich mir der Schriftinhalt mehr als er sich aufhellte. Er las für den dienstuntüchtigen Prof. Kaiser auch über das Alte Testament und hier kam ich bei meiner Schwäche im Hebräischen erst recht nicht nach. Im 3. und 4. Semester belegte ich weiter besonders Exegese bei Ebrard und Hofmann, dann Kirchengeschichte bei Schmid, der mich langweilte. Ich kann nicht sagen, dass ich in den 4 ersten Semestern fleissig war. Auch der zwangsweise Besuch des Repetitoriums brachte mich nicht dazu. Es waren nämlich für die Theologen 4 Repetanten aufgestellt, die in 2 wöchentlichen Abendstunden die Theologen in kleineren Gruppen vor ihre Schmiede zu holen hatten. Der Zwang schmeckte uns schlecht und dem Repetanten des 1. Jahres, Wiessner, wusste uns die Unterhaltung über neutestamentlich Abschnitte nicht anziehend zu gestalten. - Die Abschaffung der Zwangsrepetitorien gehörte zu den Märzerrungenschaften des Jahres 1848. Er war sehr freundlich gegen mich, vielleicht weil er merkte, dass ich nicht zu denen gehörte, deren botanische Zimmerstudien er wegwerfend mit dem Spruch charakterisierte: ”Die Kerls gehen nicht hinaus“, nämlich um die Pflanzen an ihren Standorten aufzusuchen und zu beobachten. Koch benützte mich als ammanuensis im botanischen Garten und wollte mich ganz zur Botanik hinüberziehen, was mich bewog, mich zurückzuziehen. Theologische Vorlesungen hörte ich in den 2 ersten Semestern bei Hofmann und dem für uns Pfälzer eigens angestellten Ebrard. Letzterer zog durch Frische und Verständlichkeit angehende Theologen an und seine Malicen gegen wissenschaftliche Gegner waren beliebtes Gewürz. In späteren Semestern befriedigte er mich und viele andere wenig. Ich hörte bei ihm Encyklopädie und Exegese, bei Hofmann Exegese. Er war der Stern erster Grösse in der theol. Fakultät, um dessenwillen besonders zahlreich norddeutsche Studenten nach Erlangen kamen. Mir war er nicht sympatisch; seinem geistreichen Vortrage fehlte die Wärme, der Herzton; sein Scharfsinn wurde in meinen Augen zu Haarspalterei und über der Gründlichkeit seiner Exegese bei einzelnen Partikeln verhüllte sich mir der Schriftinhalt mehr als er sich aufhellte. Er las für den dienstuntüchtigen Prof. Kaiser auch über das Alte Testament und hier kam ich bei meiner Schwäche im Hebräischen erst recht nicht nach. Im 3. und 4. Semester belegte ich weiter besonders Exegese bei Ebrard und Hofmann, dann Kirchengeschichte bei Schmid, der mich langweilte. Ich kann nicht sagen, dass ich in den 4 ersten Semestern fleissig war. Auch der zwangsweise Besuch des Repetitoriums brachte mich nicht dazu. Es waren nämlich für die Theologen 4 Repetanten aufgestellt, die in 2 wöchentlichen Abendstunden die Theologen in kleineren Gruppen vor ihre Schmiede zu holen hatten. Der Zwang schmeckte uns schlecht und dem Repetanten des 1. Jahres, Wiessner, wusste uns die Unterhaltung über neutestamentlich Abschnitte nicht anziehend zu gestalten. – Die Abschaffung der Zwangsrepetitorien gehörte zu den Märzerrungenschaften des Jahres 1848. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0030" n="30"/> Er war sehr freundlich gegen mich, vielleicht weil er merkte, dass ich nicht zu denen gehörte, deren botanische Zimmerstudien er wegwerfend mit dem Spruch charakterisierte: ”Die Kerls gehen nicht hinaus“, nämlich um die Pflanzen an ihren Standorten aufzusuchen und zu beobachten. Koch benützte mich als ammanuensis im botanischen Garten und wollte mich ganz zur Botanik hinüberziehen, was mich bewog, mich zurückzuziehen.</p> <p>Theologische Vorlesungen hörte ich in den 2 ersten Semestern bei Hofmann und dem für uns Pfälzer eigens angestellten Ebrard. Letzterer zog durch Frische und Verständlichkeit angehende Theologen an und seine Malicen gegen wissenschaftliche Gegner waren beliebtes Gewürz. In späteren Semestern befriedigte er mich und viele andere wenig. Ich hörte bei ihm Encyklopädie und Exegese, bei Hofmann Exegese. Er war der Stern erster Grösse in der theol. Fakultät, um dessenwillen besonders zahlreich norddeutsche Studenten nach Erlangen kamen. Mir war er nicht sympatisch; seinem geistreichen Vortrage fehlte die Wärme, der Herzton; sein Scharfsinn wurde in meinen Augen zu Haarspalterei und über der Gründlichkeit seiner Exegese bei einzelnen Partikeln verhüllte sich mir der Schriftinhalt mehr als er sich aufhellte. Er las für den dienstuntüchtigen Prof. Kaiser auch über das Alte Testament und hier kam ich bei meiner Schwäche im Hebräischen erst recht nicht nach.</p> <p>Im 3. und 4. Semester belegte ich weiter besonders Exegese bei Ebrard und Hofmann, dann Kirchengeschichte bei Schmid, der mich langweilte. Ich kann nicht sagen, dass ich in den 4 ersten Semestern fleissig war. Auch der zwangsweise Besuch des Repetitoriums brachte mich nicht dazu. Es waren nämlich für die Theologen 4 Repetanten aufgestellt, die in 2 wöchentlichen Abendstunden die Theologen in kleineren Gruppen vor ihre Schmiede zu holen hatten. Der Zwang schmeckte uns schlecht und dem Repetanten des 1. Jahres, Wiessner, wusste uns die Unterhaltung über neutestamentlich Abschnitte nicht anziehend zu gestalten. – Die Abschaffung der Zwangsrepetitorien gehörte zu den Märzerrungenschaften des Jahres 1848. </p> </div> </body> </text> </TEI> [30/0030]
Er war sehr freundlich gegen mich, vielleicht weil er merkte, dass ich nicht zu denen gehörte, deren botanische Zimmerstudien er wegwerfend mit dem Spruch charakterisierte: ”Die Kerls gehen nicht hinaus“, nämlich um die Pflanzen an ihren Standorten aufzusuchen und zu beobachten. Koch benützte mich als ammanuensis im botanischen Garten und wollte mich ganz zur Botanik hinüberziehen, was mich bewog, mich zurückzuziehen.
Theologische Vorlesungen hörte ich in den 2 ersten Semestern bei Hofmann und dem für uns Pfälzer eigens angestellten Ebrard. Letzterer zog durch Frische und Verständlichkeit angehende Theologen an und seine Malicen gegen wissenschaftliche Gegner waren beliebtes Gewürz. In späteren Semestern befriedigte er mich und viele andere wenig. Ich hörte bei ihm Encyklopädie und Exegese, bei Hofmann Exegese. Er war der Stern erster Grösse in der theol. Fakultät, um dessenwillen besonders zahlreich norddeutsche Studenten nach Erlangen kamen. Mir war er nicht sympatisch; seinem geistreichen Vortrage fehlte die Wärme, der Herzton; sein Scharfsinn wurde in meinen Augen zu Haarspalterei und über der Gründlichkeit seiner Exegese bei einzelnen Partikeln verhüllte sich mir der Schriftinhalt mehr als er sich aufhellte. Er las für den dienstuntüchtigen Prof. Kaiser auch über das Alte Testament und hier kam ich bei meiner Schwäche im Hebräischen erst recht nicht nach.
Im 3. und 4. Semester belegte ich weiter besonders Exegese bei Ebrard und Hofmann, dann Kirchengeschichte bei Schmid, der mich langweilte. Ich kann nicht sagen, dass ich in den 4 ersten Semestern fleissig war. Auch der zwangsweise Besuch des Repetitoriums brachte mich nicht dazu. Es waren nämlich für die Theologen 4 Repetanten aufgestellt, die in 2 wöchentlichen Abendstunden die Theologen in kleineren Gruppen vor ihre Schmiede zu holen hatten. Der Zwang schmeckte uns schlecht und dem Repetanten des 1. Jahres, Wiessner, wusste uns die Unterhaltung über neutestamentlich Abschnitte nicht anziehend zu gestalten. – Die Abschaffung der Zwangsrepetitorien gehörte zu den Märzerrungenschaften des Jahres 1848.
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