"Niemals, Mama! Ich werde mich nie daran ge¬ wöhnen können. Ich kann ihn nun einmal nicht leiden. Wie gut war dagegen unser wirklicher Papa -- Du weißt, ich war sechs Jahr alt, als er starb, und kann mich seiner noch sehr gut erinnern."
Frau Urban zog ihre Tochter an sich, legte den Arm um ihre Schulter und sagte sanft:
"Es giebt gewisse Dinge im Leben, die man durchaus so nehmen muß, wie sie sind, will man sich nicht selbst das Da¬ sein erschweren. ... Mir zu Liebe wirst Du es thun, Kind¬ chen, nicht wahr?"
Einen Augenblick drohten bei Emma die Thränen hervor¬ zubrechen; sie unterdrückte dieselben aber, weil ihr Stiefvater sie nicht weinen sehen sollte. Dann sagte sie, indem sie ihre Mutter plötzlich mit beiden Armen umschlang:
"Mama, ich habe Dich von Herzen lieb! Ich will es thun, weil Du es wünschest. Aber nie und nimmer werde ich diese Liebe auf Herrn Urban ausdehnen können. Ich ver¬ stehe garnicht, wie Alwine und Bertha so gleichgiltig darüber denken können."
"Sie sind eben vernünftige Mädchen," warf Frau Urban ein.
"Also dann bin ich unvernünftig! Es scheint sich hier viel geändert zu haben, seitdem ich nicht mehr unter Euch weilte und nicht nach dem Rechten sehen konnte."
Ihre Mutter brach in ein lautes Lachen aus, das ihrer sonstigen Ruhe ganz widersprach. "Siehst Du, so gefällst Du mir wieder", sagte sie dann; "daran erkenne ich meine lustige Plaudertasche. Du besitzest Humor und der ist nicht jedem
„Niemals, Mama! Ich werde mich nie daran ge¬ wöhnen können. Ich kann ihn nun einmal nicht leiden. Wie gut war dagegen unſer wirklicher Papa — Du weißt, ich war ſechs Jahr alt, als er ſtarb, und kann mich ſeiner noch ſehr gut erinnern.“
Frau Urban zog ihre Tochter an ſich, legte den Arm um ihre Schulter und ſagte ſanft:
„Es giebt gewiſſe Dinge im Leben, die man durchaus ſo nehmen muß, wie ſie ſind, will man ſich nicht ſelbſt das Da¬ ſein erſchweren. ... Mir zu Liebe wirſt Du es thun, Kind¬ chen, nicht wahr?“
Einen Augenblick drohten bei Emma die Thränen hervor¬ zubrechen; ſie unterdrückte dieſelben aber, weil ihr Stiefvater ſie nicht weinen ſehen ſollte. Dann ſagte ſie, indem ſie ihre Mutter plötzlich mit beiden Armen umſchlang:
„Mama, ich habe Dich von Herzen lieb! Ich will es thun, weil Du es wünſcheſt. Aber nie und nimmer werde ich dieſe Liebe auf Herrn Urban ausdehnen können. Ich ver¬ ſtehe garnicht, wie Alwine und Bertha ſo gleichgiltig darüber denken können.“
„Sie ſind eben vernünftige Mädchen,“ warf Frau Urban ein.
„Alſo dann bin ich unvernünftig! Es ſcheint ſich hier viel geändert zu haben, ſeitdem ich nicht mehr unter Euch weilte und nicht nach dem Rechten ſehen konnte.“
Ihre Mutter brach in ein lautes Lachen aus, das ihrer ſonſtigen Ruhe ganz widerſprach. „Siehſt Du, ſo gefällſt Du mir wieder“, ſagte ſie dann; „daran erkenne ich meine luſtige Plaudertaſche. Du beſitzeſt Humor und der iſt nicht jedem
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0075"n="63"/><p>„Niemals, Mama! Ich werde mich nie daran ge¬<lb/>
wöhnen können. Ich kann ihn nun einmal nicht leiden. Wie<lb/>
gut war dagegen unſer wirklicher Papa — Du weißt, ich war<lb/>ſechs Jahr alt, als er ſtarb, und kann mich ſeiner noch ſehr<lb/>
gut erinnern.“</p><lb/><p>Frau Urban zog ihre Tochter an ſich, legte den Arm<lb/>
um ihre Schulter und ſagte ſanft:</p><lb/><p>„Es giebt gewiſſe Dinge im Leben, die man durchaus ſo<lb/>
nehmen muß, wie ſie ſind, will man ſich nicht ſelbſt das Da¬<lb/>ſein erſchweren. ... Mir zu Liebe wirſt Du es thun, Kind¬<lb/>
chen, nicht wahr?“</p><lb/><p>Einen Augenblick drohten bei Emma die Thränen hervor¬<lb/>
zubrechen; ſie unterdrückte dieſelben aber, weil ihr Stiefvater<lb/>ſie nicht weinen ſehen ſollte. Dann ſagte ſie, indem ſie ihre<lb/>
Mutter plötzlich mit beiden Armen umſchlang:</p><lb/><p>„Mama, ich habe Dich von Herzen lieb! Ich will es<lb/>
thun, weil Du es wünſcheſt. Aber nie und nimmer werde<lb/>
ich dieſe Liebe auf Herrn Urban ausdehnen können. Ich ver¬<lb/>ſtehe garnicht, wie Alwine und Bertha ſo gleichgiltig darüber<lb/>
denken können.“</p><lb/><p>„Sie ſind eben vernünftige Mädchen,“ warf Frau<lb/>
Urban ein.</p><lb/><p>„Alſo dann bin ich unvernünftig! Es ſcheint ſich hier<lb/>
viel geändert zu haben, ſeitdem ich nicht mehr unter Euch<lb/>
weilte und nicht nach dem Rechten ſehen konnte.“</p><lb/><p>Ihre Mutter brach in ein lautes Lachen aus, das ihrer<lb/>ſonſtigen Ruhe ganz widerſprach. „Siehſt Du, ſo gefällſt Du<lb/>
mir wieder“, ſagte ſie dann; „daran erkenne ich meine luſtige<lb/>
Plaudertaſche. Du beſitzeſt Humor und der iſt nicht jedem<lb/></p></div></body></text></TEI>
[63/0075]
„Niemals, Mama! Ich werde mich nie daran ge¬
wöhnen können. Ich kann ihn nun einmal nicht leiden. Wie
gut war dagegen unſer wirklicher Papa — Du weißt, ich war
ſechs Jahr alt, als er ſtarb, und kann mich ſeiner noch ſehr
gut erinnern.“
Frau Urban zog ihre Tochter an ſich, legte den Arm
um ihre Schulter und ſagte ſanft:
„Es giebt gewiſſe Dinge im Leben, die man durchaus ſo
nehmen muß, wie ſie ſind, will man ſich nicht ſelbſt das Da¬
ſein erſchweren. ... Mir zu Liebe wirſt Du es thun, Kind¬
chen, nicht wahr?“
Einen Augenblick drohten bei Emma die Thränen hervor¬
zubrechen; ſie unterdrückte dieſelben aber, weil ihr Stiefvater
ſie nicht weinen ſehen ſollte. Dann ſagte ſie, indem ſie ihre
Mutter plötzlich mit beiden Armen umſchlang:
„Mama, ich habe Dich von Herzen lieb! Ich will es
thun, weil Du es wünſcheſt. Aber nie und nimmer werde
ich dieſe Liebe auf Herrn Urban ausdehnen können. Ich ver¬
ſtehe garnicht, wie Alwine und Bertha ſo gleichgiltig darüber
denken können.“
„Sie ſind eben vernünftige Mädchen,“ warf Frau
Urban ein.
„Alſo dann bin ich unvernünftig! Es ſcheint ſich hier
viel geändert zu haben, ſeitdem ich nicht mehr unter Euch
weilte und nicht nach dem Rechten ſehen konnte.“
Ihre Mutter brach in ein lautes Lachen aus, das ihrer
ſonſtigen Ruhe ganz widerſprach. „Siehſt Du, ſo gefällſt Du
mir wieder“, ſagte ſie dann; „daran erkenne ich meine luſtige
Plaudertaſche. Du beſitzeſt Humor und der iſt nicht jedem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/75>, abgerufen am 29.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.