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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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würde über der Oberlippe, ordnete dann mit einer eben so
schnellen als koketten Handbewegung den Zipfel des weißen
Taschentuches, der aus der äußeren Brusttasche ragte, zupfte
den Rock mehrmals glatt, drückte beim Gehen zu gleicher Zeit
die Brust und die Knie heraus und wendete sich dann direkt
an Fräulein Kirchberg, und zwar mit einem Tone, der nur
zu deutlich sein Bestreben kennzeichnete, bereits für einen
erfahrenen Mann zu gelten, der die Welt nach allen
Richtungen hin kennt. So sagte er denn mit Würde:

"Seien Sie versichert, Fräulein Kirchberg, daß ich Ihren
gerechten Schmerz zu würdigen weiß. Jedoch dürfen "wir"
nicht vergessen, daß der Kaufmann die Welt regiert und daß
er nur mit dem Verstande rechnet. Die Sentimentalität
müssen "wir," die "wir" uns daran gewöhnt haben, den
Nutzen einer Sache nur vom praktischen Standpunkte aus
zu beurtheilen, allen denen überlassen, die niemals einen Be¬
griff davon gehabt haben, daß die größten Dinge dieser Erde
ihr Entstehen nur dem Handel zu verdanken haben. Die Zahl
macht heute Alles; nur wer rechnen kann, hat Aussicht zu
etwas zu kommen und sein Leben zu genießen. "Wir" Kauf¬
leute sind die eigentlichen Macher -- Pardon, wenn ich mich
zu sehr geschäftsmäßig ausgedrückt habe -- ich wollte sagen,
die einzigen Erlöser der bedrängten Menschheit. "Wir"
bauen mit unserem Gelde Leuchtthürme, Paläste, ganze Städte,
"wir" geben der Armuth Brod, "wir" verhelfen den Bürgern
zum Wohlstande, an "uns" wenden sich Könige und Kaiser,
wenn sie in Noth sind und Geld gebrauchen. Ja, meine
Damen, "wir" Kaufleute regieren die Welt . . ."

Er machte abermals eine Pause.

würde über der Oberlippe, ordnete dann mit einer eben ſo
ſchnellen als koketten Handbewegung den Zipfel des weißen
Taſchentuches, der aus der äußeren Bruſttaſche ragte, zupfte
den Rock mehrmals glatt, drückte beim Gehen zu gleicher Zeit
die Bruſt und die Knie heraus und wendete ſich dann direkt
an Fräulein Kirchberg, und zwar mit einem Tone, der nur
zu deutlich ſein Beſtreben kennzeichnete, bereits für einen
erfahrenen Mann zu gelten, der die Welt nach allen
Richtungen hin kennt. So ſagte er denn mit Würde:

„Seien Sie verſichert, Fräulein Kirchberg, daß ich Ihren
gerechten Schmerz zu würdigen weiß. Jedoch dürfen „wir“
nicht vergeſſen, daß der Kaufmann die Welt regiert und daß
er nur mit dem Verſtande rechnet. Die Sentimentalität
müſſen „wir,“ die „wir“ uns daran gewöhnt haben, den
Nutzen einer Sache nur vom praktiſchen Standpunkte aus
zu beurtheilen, allen denen überlaſſen, die niemals einen Be¬
griff davon gehabt haben, daß die größten Dinge dieſer Erde
ihr Entſtehen nur dem Handel zu verdanken haben. Die Zahl
macht heute Alles; nur wer rechnen kann, hat Ausſicht zu
etwas zu kommen und ſein Leben zu genießen. „Wir“ Kauf¬
leute ſind die eigentlichen Macher — Pardon, wenn ich mich
zu ſehr geſchäftsmäßig ausgedrückt habe — ich wollte ſagen,
die einzigen Erlöſer der bedrängten Menſchheit. „Wir“
bauen mit unſerem Gelde Leuchtthürme, Paläſte, ganze Städte,
„wir“ geben der Armuth Brod, „wir“ verhelfen den Bürgern
zum Wohlſtande, an „uns“ wenden ſich Könige und Kaiſer,
wenn ſie in Noth ſind und Geld gebrauchen. Ja, meine
Damen, „wir“ Kaufleute regieren die Welt . . .“

Er machte abermals eine Pauſe.

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[56/0068] würde über der Oberlippe, ordnete dann mit einer eben ſo ſchnellen als koketten Handbewegung den Zipfel des weißen Taſchentuches, der aus der äußeren Bruſttaſche ragte, zupfte den Rock mehrmals glatt, drückte beim Gehen zu gleicher Zeit die Bruſt und die Knie heraus und wendete ſich dann direkt an Fräulein Kirchberg, und zwar mit einem Tone, der nur zu deutlich ſein Beſtreben kennzeichnete, bereits für einen erfahrenen Mann zu gelten, der die Welt nach allen Richtungen hin kennt. So ſagte er denn mit Würde: „Seien Sie verſichert, Fräulein Kirchberg, daß ich Ihren gerechten Schmerz zu würdigen weiß. Jedoch dürfen „wir“ nicht vergeſſen, daß der Kaufmann die Welt regiert und daß er nur mit dem Verſtande rechnet. Die Sentimentalität müſſen „wir,“ die „wir“ uns daran gewöhnt haben, den Nutzen einer Sache nur vom praktiſchen Standpunkte aus zu beurtheilen, allen denen überlaſſen, die niemals einen Be¬ griff davon gehabt haben, daß die größten Dinge dieſer Erde ihr Entſtehen nur dem Handel zu verdanken haben. Die Zahl macht heute Alles; nur wer rechnen kann, hat Ausſicht zu etwas zu kommen und ſein Leben zu genießen. „Wir“ Kauf¬ leute ſind die eigentlichen Macher — Pardon, wenn ich mich zu ſehr geſchäftsmäßig ausgedrückt habe — ich wollte ſagen, die einzigen Erlöſer der bedrängten Menſchheit. „Wir“ bauen mit unſerem Gelde Leuchtthürme, Paläſte, ganze Städte, „wir“ geben der Armuth Brod, „wir“ verhelfen den Bürgern zum Wohlſtande, an „uns“ wenden ſich Könige und Kaiſer, wenn ſie in Noth ſind und Geld gebrauchen. Ja, meine Damen, „wir“ Kaufleute regieren die Welt . . .“ Er machte abermals eine Pauſe.

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/68>, abgerufen am 23.11.2024.