Dafür entschädigten ein paar große, schwärmerisch blickende Augen, die sehr keck in die Welt blickten und zeit¬ weise die Starrheit von zwei durchsichtigen Wassertropfen an¬ nahmen, auf welche das Grün der Bäume seinen Reflex wirft. Das röthlich blonde Haar fiel in Ringeln über die Schulter und verlieh dem Antlitz den Schimmer von gefärbtem Alabaster.
Sie war nicht allein; eine Freundin, Therese Ramm, die etwas kränklich aussehende Tochter eines Dachpappen¬ fabrikanten aus der Köpnickerstraße war bei ihr. Therese stand in gleichem Alter mit Emma und war deren stete Gesell¬ schafterin, soweit sich das mit der Zeit und den Umständen vertrug. Da sie hinter der Mauer stand, so blieb sie Franzen noch verborgen, der sie seit jener Zeit kannte, als an Stelle der Mauer das kleine Zäunchen stand und er ein guter Spiel¬ kamerad der Mädchen war.
"Ja, damals!" dachte er in diesem Augenblick mit dem Großvater. Jene Tage tauchten vor seinem Geiste auf: wo er mit dem jetzt so großen Fräulein Emma als Kind Hand in Hand den Nachbargarten durchtollte, sie verwegen auf seine Arme nahm und die Drohung ausstieß, sie in den Wassergraben zu werfen, falls sie ihr lautes Rufen nach der Mutter nicht lassen würde. Allerlei phantasiereiche Aus¬ geburten seines Gehirns schlossen sich dem an: er würde sie des Nachts aus ihrem Bette rauben und in ein dunkles Ge¬ wölbe werfen lassen, wo sie bei Wasser und Brod so lange sitzen müsse, bis sie alt und grau geworden sei und kein Mensch mehr sie zur Frau haben wolle. Die kleine magere Emma fing dann an bitterlich zu weinen und bat ihn, seinen fürchterlichen Plan nicht auszuführen. Sie wolle auch ganz
Dafür entſchädigten ein paar große, ſchwärmeriſch blickende Augen, die ſehr keck in die Welt blickten und zeit¬ weiſe die Starrheit von zwei durchſichtigen Waſſertropfen an¬ nahmen, auf welche das Grün der Bäume ſeinen Reflex wirft. Das röthlich blonde Haar fiel in Ringeln über die Schulter und verlieh dem Antlitz den Schimmer von gefärbtem Alabaſter.
Sie war nicht allein; eine Freundin, Thereſe Ramm, die etwas kränklich ausſehende Tochter eines Dachpappen¬ fabrikanten aus der Köpnickerſtraße war bei ihr. Thereſe ſtand in gleichem Alter mit Emma und war deren ſtete Geſell¬ ſchafterin, ſoweit ſich das mit der Zeit und den Umſtänden vertrug. Da ſie hinter der Mauer ſtand, ſo blieb ſie Franzen noch verborgen, der ſie ſeit jener Zeit kannte, als an Stelle der Mauer das kleine Zäunchen ſtand und er ein guter Spiel¬ kamerad der Mädchen war.
„Ja, damals!“ dachte er in dieſem Augenblick mit dem Großvater. Jene Tage tauchten vor ſeinem Geiſte auf: wo er mit dem jetzt ſo großen Fräulein Emma als Kind Hand in Hand den Nachbargarten durchtollte, ſie verwegen auf ſeine Arme nahm und die Drohung ausſtieß, ſie in den Waſſergraben zu werfen, falls ſie ihr lautes Rufen nach der Mutter nicht laſſen würde. Allerlei phantaſiereiche Aus¬ geburten ſeines Gehirns ſchloſſen ſich dem an: er würde ſie des Nachts aus ihrem Bette rauben und in ein dunkles Ge¬ wölbe werfen laſſen, wo ſie bei Waſſer und Brod ſo lange ſitzen müſſe, bis ſie alt und grau geworden ſei und kein Menſch mehr ſie zur Frau haben wolle. Die kleine magere Emma fing dann an bitterlich zu weinen und bat ihn, ſeinen fürchterlichen Plan nicht auszuführen. Sie wolle auch ganz
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Dafür entſchädigten ein paar große, ſchwärmeriſch
blickende Augen, die ſehr keck in die Welt blickten und zeit¬
weiſe die Starrheit von zwei durchſichtigen Waſſertropfen an¬
nahmen, auf welche das Grün der Bäume ſeinen Reflex
wirft. Das röthlich blonde Haar fiel in Ringeln über die
Schulter und verlieh dem Antlitz den Schimmer von gefärbtem
Alabaſter.
Sie war nicht allein; eine Freundin, Thereſe Ramm,
die etwas kränklich ausſehende Tochter eines Dachpappen¬
fabrikanten aus der Köpnickerſtraße war bei ihr. Thereſe ſtand
in gleichem Alter mit Emma und war deren ſtete Geſell¬
ſchafterin, ſoweit ſich das mit der Zeit und den Umſtänden
vertrug. Da ſie hinter der Mauer ſtand, ſo blieb ſie Franzen
noch verborgen, der ſie ſeit jener Zeit kannte, als an Stelle
der Mauer das kleine Zäunchen ſtand und er ein guter Spiel¬
kamerad der Mädchen war.
„Ja, damals!“ dachte er in dieſem Augenblick mit dem
Großvater. Jene Tage tauchten vor ſeinem Geiſte auf: wo
er mit dem jetzt ſo großen Fräulein Emma als Kind Hand
in Hand den Nachbargarten durchtollte, ſie verwegen auf
ſeine Arme nahm und die Drohung ausſtieß, ſie in den
Waſſergraben zu werfen, falls ſie ihr lautes Rufen nach der
Mutter nicht laſſen würde. Allerlei phantaſiereiche Aus¬
geburten ſeines Gehirns ſchloſſen ſich dem an: er würde ſie
des Nachts aus ihrem Bette rauben und in ein dunkles Ge¬
wölbe werfen laſſen, wo ſie bei Waſſer und Brod ſo lange
ſitzen müſſe, bis ſie alt und grau geworden ſei und kein
Menſch mehr ſie zur Frau haben wolle. Die kleine magere
Emma fing dann an bitterlich zu weinen und bat ihn, ſeinen
fürchterlichen Plan nicht auszuführen. Sie wolle auch ganz
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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/62>, abgerufen am 22.11.2024.
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