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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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keit dem Nächsten gegenüber und der Glaube an einen
ewigen Gott -- das sind die drei Dinge, die wir zuerst be¬
herzigen müssen, wollen wir uns eines wirklichen, innern
Glückes erfreuen. Denn, daß das Glück von außen kommt,
sagen nur Diejenigen, die es in ihrem Innern nie empfunden
haben.

"Das sind alte Anschauungen, Meister", sagte Thomas
Beyer wieder, indem er seine Drehbank in Bewegung setzte.
"Sie sind nicht fortgeschritten in Ihren Ansichten; aber Sie
werden einmal anders denken."

Johannes Timpe kannte die Unterhaltungssucht seines
Altgesellen über derartige Dinge und wußte, daß es schwer
war, ein Ende mit ihm zu finden. Deshalb drehte er dem
Fenster den Rücken und schritt der Wohnung zu, um sein
Mittagsmahl einzunehmen.

Die Gehilfen aber konnten noch nicht zur Ruhe kommen.
Während sie Anstalten machten, um an ihre Arbeit zu gehen,
wurde das Gespräch fortgesetzt.

Theobald Spiller, genannt Spillerich, gebürtig aus einer
kleinen Stadt, des Königreichs Sachsen, war der Lustigmacher
der Werkstatt. Er war ein kleiner rund gebauter Mann mit
glatt geschorenem Haar und bartlosem Gesicht, in dem der
breite Mund selten zur Ruhe kam. Selbst beim Drechseln
erzählte er seine Schnurren, und lachten die Anderen nicht,
so erlaubte er sich dieses Vergnügen allein. Er hatte oft die
tollsten Einfälle, war aber sonst ein durchaus harmloser
Mensch, der nur die üble Angewohnheit hatte, regelmäßig des
Dienstags bereits Vorschuß zu nehmen, was sich im Laufe der
Woche zwei- bis dreimal zu wiederholen pflegte. Er aß näm¬
lich ungemein stark und hatte eine besondere Vorliebe für extra¬

Kretzer, Meister Timpe. 3

keit dem Nächſten gegenüber und der Glaube an einen
ewigen Gott — das ſind die drei Dinge, die wir zuerſt be¬
herzigen müſſen, wollen wir uns eines wirklichen, innern
Glückes erfreuen. Denn, daß das Glück von außen kommt,
ſagen nur Diejenigen, die es in ihrem Innern nie empfunden
haben.

„Das ſind alte Anſchauungen, Meiſter“, ſagte Thomas
Beyer wieder, indem er ſeine Drehbank in Bewegung ſetzte.
„Sie ſind nicht fortgeſchritten in Ihren Anſichten; aber Sie
werden einmal anders denken.“

Johannes Timpe kannte die Unterhaltungsſucht ſeines
Altgeſellen über derartige Dinge und wußte, daß es ſchwer
war, ein Ende mit ihm zu finden. Deshalb drehte er dem
Fenſter den Rücken und ſchritt der Wohnung zu, um ſein
Mittagsmahl einzunehmen.

Die Gehilfen aber konnten noch nicht zur Ruhe kommen.
Während ſie Anſtalten machten, um an ihre Arbeit zu gehen,
wurde das Geſpräch fortgeſetzt.

Theobald Spiller, genannt Spillerich, gebürtig aus einer
kleinen Stadt, des Königreichs Sachſen, war der Luſtigmacher
der Werkſtatt. Er war ein kleiner rund gebauter Mann mit
glatt geſchorenem Haar und bartloſem Geſicht, in dem der
breite Mund ſelten zur Ruhe kam. Selbſt beim Drechſeln
erzählte er ſeine Schnurren, und lachten die Anderen nicht,
ſo erlaubte er ſich dieſes Vergnügen allein. Er hatte oft die
tollſten Einfälle, war aber ſonſt ein durchaus harmloſer
Menſch, der nur die üble Angewohnheit hatte, regelmäßig des
Dienſtags bereits Vorſchuß zu nehmen, was ſich im Laufe der
Woche zwei- bis dreimal zu wiederholen pflegte. Er aß näm¬
lich ungemein ſtark und hatte eine beſondere Vorliebe für extra¬

Kretzer, Meiſter Timpe. 3
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[33/0045] keit dem Nächſten gegenüber und der Glaube an einen ewigen Gott — das ſind die drei Dinge, die wir zuerſt be¬ herzigen müſſen, wollen wir uns eines wirklichen, innern Glückes erfreuen. Denn, daß das Glück von außen kommt, ſagen nur Diejenigen, die es in ihrem Innern nie empfunden haben. „Das ſind alte Anſchauungen, Meiſter“, ſagte Thomas Beyer wieder, indem er ſeine Drehbank in Bewegung ſetzte. „Sie ſind nicht fortgeſchritten in Ihren Anſichten; aber Sie werden einmal anders denken.“ Johannes Timpe kannte die Unterhaltungsſucht ſeines Altgeſellen über derartige Dinge und wußte, daß es ſchwer war, ein Ende mit ihm zu finden. Deshalb drehte er dem Fenſter den Rücken und ſchritt der Wohnung zu, um ſein Mittagsmahl einzunehmen. Die Gehilfen aber konnten noch nicht zur Ruhe kommen. Während ſie Anſtalten machten, um an ihre Arbeit zu gehen, wurde das Geſpräch fortgeſetzt. Theobald Spiller, genannt Spillerich, gebürtig aus einer kleinen Stadt, des Königreichs Sachſen, war der Luſtigmacher der Werkſtatt. Er war ein kleiner rund gebauter Mann mit glatt geſchorenem Haar und bartloſem Geſicht, in dem der breite Mund ſelten zur Ruhe kam. Selbſt beim Drechſeln erzählte er ſeine Schnurren, und lachten die Anderen nicht, ſo erlaubte er ſich dieſes Vergnügen allein. Er hatte oft die tollſten Einfälle, war aber ſonſt ein durchaus harmloſer Menſch, der nur die üble Angewohnheit hatte, regelmäßig des Dienſtags bereits Vorſchuß zu nehmen, was ſich im Laufe der Woche zwei- bis dreimal zu wiederholen pflegte. Er aß näm¬ lich ungemein ſtark und hatte eine beſondere Vorliebe für extra¬ Kretzer, Meiſter Timpe. 3

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/45>, abgerufen am 21.11.2024.