Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Johannes durchschauerte es. Wenn er dasselbe thäte?
Aber nein, nein, er würde es nicht erleben! Noch einen
langen Blick warf er die Straße entlang, dann schloß er das
Fenster . . . .


"Heda, Meister, machen Sie doch auf. Wo stecken Sie
denn?"

Es war Thomas Beyer, der diese Worte laut im
Flur erschallen ließ. Er war im Begriff, Timpe's Haus
zu passiren, als er große Wagen vor der Thür halten
sah und eine Anzahl Arbeiter bemerkte, die geführt von
einem Herrn, vergeblich Einlaß begehrten. Die ganze Straße
war schwarz von Menschen. Trotz der unangenehmen
Witterung waren die Fenster der Nachbarhäuser geöffnet,
und die Köpfe beugten sich weit hinaus. Der Altgeselle
wurde von einer unerklärlichen Angst befallen. Irgend etwas
Entsetzliches schwebte ihm vor. Er kenne Timpe sehr genau,
hatte er dann gemeint, man müsse mit aller Vorsicht vor¬
gehen, sonst gäbe es ein Unglück. Endlich wurde ein Schlosser
geholt. Nach harten Anstrengungen hatte man dann die
Barrikade weggeschafft und befand sich im Flur. Nun ließ
der Altgeselle seinen Ruf ertönen, aber es erfolgte keine
Antwort. Man öffnete auch die Eingänge zu den Vorder¬
zimmern, die Läden, und kletterte in den ersten Stock hinauf,
ohne Timpe zu finden.

Draußen auf der Straße, unter dem umwölkten Himmel
des unfreundlichen Februartages, staute sich die Menge der
Neugierigen immer mehr und mehr. Das Stimmengewirr
hörte sich an wie das dumpfe Murmeln einer empörten
Volksmasse. Man hatte kaum gehört, daß der Gerichts¬

21*

Johannes durchſchauerte es. Wenn er daſſelbe thäte?
Aber nein, nein, er würde es nicht erleben! Noch einen
langen Blick warf er die Straße entlang, dann ſchloß er das
Fenſter . . . .


„Heda, Meiſter, machen Sie doch auf. Wo ſtecken Sie
denn?“

Es war Thomas Beyer, der dieſe Worte laut im
Flur erſchallen ließ. Er war im Begriff, Timpe's Haus
zu paſſiren, als er große Wagen vor der Thür halten
ſah und eine Anzahl Arbeiter bemerkte, die geführt von
einem Herrn, vergeblich Einlaß begehrten. Die ganze Straße
war ſchwarz von Menſchen. Trotz der unangenehmen
Witterung waren die Fenſter der Nachbarhäuſer geöffnet,
und die Köpfe beugten ſich weit hinaus. Der Altgeſelle
wurde von einer unerklärlichen Angſt befallen. Irgend etwas
Entſetzliches ſchwebte ihm vor. Er kenne Timpe ſehr genau,
hatte er dann gemeint, man müſſe mit aller Vorſicht vor¬
gehen, ſonſt gäbe es ein Unglück. Endlich wurde ein Schloſſer
geholt. Nach harten Anſtrengungen hatte man dann die
Barrikade weggeſchafft und befand ſich im Flur. Nun ließ
der Altgeſelle ſeinen Ruf ertönen, aber es erfolgte keine
Antwort. Man öffnete auch die Eingänge zu den Vorder¬
zimmern, die Läden, und kletterte in den erſten Stock hinauf,
ohne Timpe zu finden.

Draußen auf der Straße, unter dem umwölkten Himmel
des unfreundlichen Februartages, ſtaute ſich die Menge der
Neugierigen immer mehr und mehr. Das Stimmengewirr
hörte ſich an wie das dumpfe Murmeln einer empörten
Volksmaſſe. Man hatte kaum gehört, daß der Gerichts¬

21*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0335" n="323"/>
        <p>Johannes durch&#x017F;chauerte es. Wenn er da&#x017F;&#x017F;elbe thäte?<lb/>
Aber nein, nein, er würde es nicht erleben! Noch einen<lb/>
langen Blick warf er die Straße entlang, dann &#x017F;chloß er das<lb/>
Fen&#x017F;ter . . . .</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>&#x201E;Heda, Mei&#x017F;ter, machen Sie doch auf. Wo &#x017F;tecken Sie<lb/>
denn?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Es war Thomas Beyer, der die&#x017F;e Worte laut im<lb/>
Flur er&#x017F;challen ließ. Er war im Begriff, Timpe's Haus<lb/>
zu pa&#x017F;&#x017F;iren, als er große Wagen vor der Thür halten<lb/>
&#x017F;ah und eine Anzahl Arbeiter bemerkte, die geführt von<lb/>
einem Herrn, vergeblich Einlaß begehrten. Die ganze Straße<lb/>
war &#x017F;chwarz von Men&#x017F;chen. Trotz der unangenehmen<lb/>
Witterung waren die Fen&#x017F;ter der Nachbarhäu&#x017F;er geöffnet,<lb/>
und die Köpfe beugten &#x017F;ich weit hinaus. Der Altge&#x017F;elle<lb/>
wurde von einer unerklärlichen Ang&#x017F;t befallen. Irgend etwas<lb/>
Ent&#x017F;etzliches &#x017F;chwebte ihm vor. Er kenne Timpe &#x017F;ehr genau,<lb/>
hatte er dann gemeint, man mü&#x017F;&#x017F;e mit aller Vor&#x017F;icht vor¬<lb/>
gehen, &#x017F;on&#x017F;t gäbe es ein Unglück. Endlich wurde ein Schlo&#x017F;&#x017F;er<lb/>
geholt. Nach harten An&#x017F;trengungen hatte man dann die<lb/>
Barrikade wegge&#x017F;chafft und befand &#x017F;ich im Flur. Nun ließ<lb/>
der Altge&#x017F;elle &#x017F;einen Ruf ertönen, aber es erfolgte keine<lb/>
Antwort. Man öffnete auch die Eingänge zu den Vorder¬<lb/>
zimmern, die Läden, und kletterte in den er&#x017F;ten Stock hinauf,<lb/>
ohne Timpe zu finden.</p><lb/>
        <p>Draußen auf der Straße, unter dem umwölkten Himmel<lb/>
des unfreundlichen Februartages, &#x017F;taute &#x017F;ich die Menge der<lb/>
Neugierigen immer mehr und mehr. Das Stimmengewirr<lb/>
hörte &#x017F;ich an wie das dumpfe Murmeln einer empörten<lb/>
Volksma&#x017F;&#x017F;e. Man hatte kaum gehört, daß der Gerichts¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">21*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[323/0335] Johannes durchſchauerte es. Wenn er daſſelbe thäte? Aber nein, nein, er würde es nicht erleben! Noch einen langen Blick warf er die Straße entlang, dann ſchloß er das Fenſter . . . . „Heda, Meiſter, machen Sie doch auf. Wo ſtecken Sie denn?“ Es war Thomas Beyer, der dieſe Worte laut im Flur erſchallen ließ. Er war im Begriff, Timpe's Haus zu paſſiren, als er große Wagen vor der Thür halten ſah und eine Anzahl Arbeiter bemerkte, die geführt von einem Herrn, vergeblich Einlaß begehrten. Die ganze Straße war ſchwarz von Menſchen. Trotz der unangenehmen Witterung waren die Fenſter der Nachbarhäuſer geöffnet, und die Köpfe beugten ſich weit hinaus. Der Altgeſelle wurde von einer unerklärlichen Angſt befallen. Irgend etwas Entſetzliches ſchwebte ihm vor. Er kenne Timpe ſehr genau, hatte er dann gemeint, man müſſe mit aller Vorſicht vor¬ gehen, ſonſt gäbe es ein Unglück. Endlich wurde ein Schloſſer geholt. Nach harten Anſtrengungen hatte man dann die Barrikade weggeſchafft und befand ſich im Flur. Nun ließ der Altgeſelle ſeinen Ruf ertönen, aber es erfolgte keine Antwort. Man öffnete auch die Eingänge zu den Vorder¬ zimmern, die Läden, und kletterte in den erſten Stock hinauf, ohne Timpe zu finden. Draußen auf der Straße, unter dem umwölkten Himmel des unfreundlichen Februartages, ſtaute ſich die Menge der Neugierigen immer mehr und mehr. Das Stimmengewirr hörte ſich an wie das dumpfe Murmeln einer empörten Volksmaſſe. Man hatte kaum gehört, daß der Gerichts¬ 21*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/335
Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/335>, abgerufen am 24.11.2024.