ihm, und da der Arzt gerade hier war, so bestätigte er das. Adieu!"
Der Meister hatte sie groß angestarrt und blickte in der¬ selben Verfassung auf die Thür, hinter der sie verschwunden war. Er hörte deutlich, wie sie durch das Vorderzimmer schritt, wie die Außenthür und das Hausthor klappten; hörte auch ihre knirschenden Schritte über die Steinstufen gleiten. Aber immer noch stand er auf demselben Fleck und rührte sich nicht. Schutzmann ... Polizei-Bureau ... Die Worte klangen in seinen Ohren wieder, sie flimmerten ihm schließlich vor den Augen, denn wohin er blickte, leuchteten sie ihm entgegen. Weshalb ließ man ihm nicht sagen, was man wünsche, was wollte man von ihm? O, er ahnte die Dinge .... man hielt ihn für einen Sozialdemo¬ kraten ... er hatte in blinder Wuth Gewaltthätigkeit ge¬ predigt ... man wollte ihn nun zur Rechenschaft ziehen. Seine Einbildungskraft erlangte im Fluge eine Ausdehnung ohne Grenzen. Er sah sich bereits verhaftet, auf die Anklage¬ bank geführt und in's Gefängniß geworfen. Merkwürdig war, wie schnell dann der Trotz die entsetzliche Furcht wieder ver¬ drängte, die ihm binnen wenigen Minuten die Knie schlottern gemacht hatte.
"Sie kriegen mich nicht, sie kriegen mich nicht," sagte er ein über das andere Mal ... "Bis zum letzten Bluts¬ tropfen werde ich mich vertheidigen ... He, he ... das wird nett werden!" Er war von einem Zimmer ins andere gegangen, befand sich nun in der Werkstatt und lachte laut auf. Dann blickte er durch das Fenster nach dem Gärtchen hinaus. Wie öde und trostlos lag es vor ihm! Es war An¬ fang Dezember, leichter Frost lag in der Luft und eine
ihm, und da der Arzt gerade hier war, ſo beſtätigte er das. Adieu!“
Der Meiſter hatte ſie groß angeſtarrt und blickte in der¬ ſelben Verfaſſung auf die Thür, hinter der ſie verſchwunden war. Er hörte deutlich, wie ſie durch das Vorderzimmer ſchritt, wie die Außenthür und das Hausthor klappten; hörte auch ihre knirſchenden Schritte über die Steinſtufen gleiten. Aber immer noch ſtand er auf demſelben Fleck und rührte ſich nicht. Schutzmann ... Polizei-Bureau ... Die Worte klangen in ſeinen Ohren wieder, ſie flimmerten ihm ſchließlich vor den Augen, denn wohin er blickte, leuchteten ſie ihm entgegen. Weshalb ließ man ihm nicht ſagen, was man wünſche, was wollte man von ihm? O, er ahnte die Dinge .... man hielt ihn für einen Sozialdemo¬ kraten ... er hatte in blinder Wuth Gewaltthätigkeit ge¬ predigt ... man wollte ihn nun zur Rechenſchaft ziehen. Seine Einbildungskraft erlangte im Fluge eine Ausdehnung ohne Grenzen. Er ſah ſich bereits verhaftet, auf die Anklage¬ bank geführt und in's Gefängniß geworfen. Merkwürdig war, wie ſchnell dann der Trotz die entſetzliche Furcht wieder ver¬ drängte, die ihm binnen wenigen Minuten die Knie ſchlottern gemacht hatte.
„Sie kriegen mich nicht, ſie kriegen mich nicht,“ ſagte er ein über das andere Mal ... „Bis zum letzten Bluts¬ tropfen werde ich mich vertheidigen ... He, he ... das wird nett werden!“ Er war von einem Zimmer ins andere gegangen, befand ſich nun in der Werkſtatt und lachte laut auf. Dann blickte er durch das Fenſter nach dem Gärtchen hinaus. Wie öde und troſtlos lag es vor ihm! Es war An¬ fang Dezember, leichter Froſt lag in der Luft und eine
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0325"n="313"/>
ihm, und da der Arzt gerade hier war, ſo beſtätigte er<lb/>
das. Adieu!“</p><lb/><p>Der Meiſter hatte ſie groß angeſtarrt und blickte in der¬<lb/>ſelben Verfaſſung auf die Thür, hinter der ſie verſchwunden<lb/>
war. Er hörte deutlich, wie ſie durch das Vorderzimmer<lb/>ſchritt, wie die Außenthür und das Hausthor klappten; hörte<lb/>
auch ihre knirſchenden Schritte über die Steinſtufen gleiten.<lb/>
Aber immer noch ſtand er auf demſelben Fleck und<lb/>
rührte ſich nicht. Schutzmann ... Polizei-Bureau ... Die<lb/>
Worte klangen in ſeinen Ohren wieder, ſie flimmerten ihm<lb/>ſchließlich vor den Augen, denn wohin er blickte, leuchteten ſie<lb/>
ihm entgegen. Weshalb ließ man ihm nicht ſagen, was<lb/>
man wünſche, was wollte man von ihm? O, er ahnte<lb/>
die Dinge .... man hielt ihn für einen Sozialdemo¬<lb/>
kraten ... er hatte in blinder Wuth Gewaltthätigkeit ge¬<lb/>
predigt ... man wollte ihn nun zur Rechenſchaft ziehen.<lb/>
Seine Einbildungskraft erlangte im Fluge eine Ausdehnung<lb/>
ohne Grenzen. Er ſah ſich bereits verhaftet, auf die Anklage¬<lb/>
bank geführt und in's Gefängniß geworfen. Merkwürdig war,<lb/>
wie ſchnell dann der Trotz die entſetzliche Furcht wieder ver¬<lb/>
drängte, die ihm binnen wenigen Minuten die Knie ſchlottern<lb/>
gemacht hatte.</p><lb/><p>„Sie kriegen mich nicht, ſie kriegen mich nicht,“ſagte<lb/>
er ein über das andere Mal ... „Bis zum letzten Bluts¬<lb/>
tropfen werde ich mich vertheidigen ... He, he ... das<lb/>
wird nett werden!“ Er war von einem Zimmer ins andere<lb/>
gegangen, befand ſich nun in der Werkſtatt und lachte laut<lb/>
auf. Dann blickte er durch das Fenſter nach dem Gärtchen<lb/>
hinaus. Wie öde und troſtlos lag es vor ihm! Es war An¬<lb/>
fang Dezember, leichter Froſt lag in der Luft und eine<lb/></p></div></body></text></TEI>
[313/0325]
ihm, und da der Arzt gerade hier war, ſo beſtätigte er
das. Adieu!“
Der Meiſter hatte ſie groß angeſtarrt und blickte in der¬
ſelben Verfaſſung auf die Thür, hinter der ſie verſchwunden
war. Er hörte deutlich, wie ſie durch das Vorderzimmer
ſchritt, wie die Außenthür und das Hausthor klappten; hörte
auch ihre knirſchenden Schritte über die Steinſtufen gleiten.
Aber immer noch ſtand er auf demſelben Fleck und
rührte ſich nicht. Schutzmann ... Polizei-Bureau ... Die
Worte klangen in ſeinen Ohren wieder, ſie flimmerten ihm
ſchließlich vor den Augen, denn wohin er blickte, leuchteten ſie
ihm entgegen. Weshalb ließ man ihm nicht ſagen, was
man wünſche, was wollte man von ihm? O, er ahnte
die Dinge .... man hielt ihn für einen Sozialdemo¬
kraten ... er hatte in blinder Wuth Gewaltthätigkeit ge¬
predigt ... man wollte ihn nun zur Rechenſchaft ziehen.
Seine Einbildungskraft erlangte im Fluge eine Ausdehnung
ohne Grenzen. Er ſah ſich bereits verhaftet, auf die Anklage¬
bank geführt und in's Gefängniß geworfen. Merkwürdig war,
wie ſchnell dann der Trotz die entſetzliche Furcht wieder ver¬
drängte, die ihm binnen wenigen Minuten die Knie ſchlottern
gemacht hatte.
„Sie kriegen mich nicht, ſie kriegen mich nicht,“ ſagte
er ein über das andere Mal ... „Bis zum letzten Bluts¬
tropfen werde ich mich vertheidigen ... He, he ... das
wird nett werden!“ Er war von einem Zimmer ins andere
gegangen, befand ſich nun in der Werkſtatt und lachte laut
auf. Dann blickte er durch das Fenſter nach dem Gärtchen
hinaus. Wie öde und troſtlos lag es vor ihm! Es war An¬
fang Dezember, leichter Froſt lag in der Luft und eine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/325>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.