dem Kaiser, bittet Gott um Verzeihung . . . das ist nicht richtig . . ." Er machte eine Pause. "Es ist doch merk¬ würdig, wie schnell das Mißtrauen kommt . . . und wenn ich mir so recht die Sache überlege, so ist's mit der plötzlichen Umwandlung des Meisters ganz sonderbar . . . Wenn es nur nicht bloße Wuth war, etwas wie Oppositionslust, die ihn in unser Lager trieb . . . Hm, hm . . . neu wäre die Ge¬ schichte nicht. Es kommt oft vor, daß Jemand äußerlich sich ganz anders benimmt, als er in seinem Innern denkt . . . Aber seine aufrührerische Rede . . . hm, hm, . . . Das kann auch die Erbitterung des Augenblicks gewesen sein. Dumm wäre es wahrhaftig, wenn er sich besonnen haben sollte . . . aber traue der liebe Himmel solchen merk¬ würdigen Weißköpfen. Das klebt an seiner Scholle, schwärmt für's Vaterland, glaubt, daß die Kirche den Menschen bessere, und läßt noch kurz vor dem Hungertode neben der Sozialdemokratie den Kaiser leben . . Da fange einer mit solchen närrischen Leuten etwas an . . . Aber ich werde ihn noch einmal kneten, wie weichen Thon . . . er wird d'ran glauben müssen . . . hm, hm ... aber dumm kommt mir die Sache doch vor . . ."
Er wurde durch den Eintritt seiner Schwester unter¬ brochen.
"Nun, wie geht's mit ihm, barmherzige Schwester?" fragte er, setzte den Stahl ab und ließ die Räder der Dreh¬ bank langsam ausschnurren.
"O, ganz vorzüglich. Soeben ist der Arzt weggegangen; er meinte, daß nichts mehr zu befürchten sei, ein paar Tage noch und er könnte bereits aufstehen . . . Aber da habe ich Dir eine andere Neuigkeit mitzutheilen. Der dicke Liebegott
dem Kaiſer, bittet Gott um Verzeihung . . . das iſt nicht richtig . . .“ Er machte eine Pauſe. „Es iſt doch merk¬ würdig, wie ſchnell das Mißtrauen kommt . . . und wenn ich mir ſo recht die Sache überlege, ſo iſt's mit der plötzlichen Umwandlung des Meiſters ganz ſonderbar . . . Wenn es nur nicht bloße Wuth war, etwas wie Oppoſitionsluſt, die ihn in unſer Lager trieb . . . Hm, hm . . . neu wäre die Ge¬ ſchichte nicht. Es kommt oft vor, daß Jemand äußerlich ſich ganz anders benimmt, als er in ſeinem Innern denkt . . . Aber ſeine aufrühreriſche Rede . . . hm, hm, . . . Das kann auch die Erbitterung des Augenblicks geweſen ſein. Dumm wäre es wahrhaftig, wenn er ſich beſonnen haben ſollte . . . aber traue der liebe Himmel ſolchen merk¬ würdigen Weißköpfen. Das klebt an ſeiner Scholle, ſchwärmt für's Vaterland, glaubt, daß die Kirche den Menſchen beſſere, und läßt noch kurz vor dem Hungertode neben der Sozialdemokratie den Kaiſer leben . . Da fange einer mit ſolchen närriſchen Leuten etwas an . . . Aber ich werde ihn noch einmal kneten, wie weichen Thon . . . er wird d'ran glauben müſſen . . . hm, hm ... aber dumm kommt mir die Sache doch vor . . .“
Er wurde durch den Eintritt ſeiner Schweſter unter¬ brochen.
„Nun, wie geht's mit ihm, barmherzige Schweſter?“ fragte er, ſetzte den Stahl ab und ließ die Räder der Dreh¬ bank langſam ausſchnurren.
„O, ganz vorzüglich. Soeben iſt der Arzt weggegangen; er meinte, daß nichts mehr zu befürchten ſei, ein paar Tage noch und er könnte bereits aufſtehen . . . Aber da habe ich Dir eine andere Neuigkeit mitzutheilen. Der dicke Liebegott
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dem Kaiſer, bittet Gott um Verzeihung . . . das iſt nicht
richtig . . .“ Er machte eine Pauſe. „Es iſt doch merk¬
würdig, wie ſchnell das Mißtrauen kommt . . . und wenn ich
mir ſo recht die Sache überlege, ſo iſt's mit der plötzlichen
Umwandlung des Meiſters ganz ſonderbar . . . Wenn es nur
nicht bloße Wuth war, etwas wie Oppoſitionsluſt, die ihn
in unſer Lager trieb . . . Hm, hm . . . neu wäre die Ge¬
ſchichte nicht. Es kommt oft vor, daß Jemand äußerlich
ſich ganz anders benimmt, als er in ſeinem Innern
denkt . . . Aber ſeine aufrühreriſche Rede . . . hm, hm, . . .
Das kann auch die Erbitterung des Augenblicks geweſen
ſein. Dumm wäre es wahrhaftig, wenn er ſich beſonnen
haben ſollte . . . aber traue der liebe Himmel ſolchen merk¬
würdigen Weißköpfen. Das klebt an ſeiner Scholle, ſchwärmt
für's Vaterland, glaubt, daß die Kirche den Menſchen
beſſere, und läßt noch kurz vor dem Hungertode neben der
Sozialdemokratie den Kaiſer leben . . Da fange einer mit
ſolchen närriſchen Leuten etwas an . . . Aber ich werde ihn
noch einmal kneten, wie weichen Thon . . . er wird d'ran
glauben müſſen . . . hm, hm ... aber dumm kommt mir
die Sache doch vor . . .“
Er wurde durch den Eintritt ſeiner Schweſter unter¬
brochen.
„Nun, wie geht's mit ihm, barmherzige Schweſter?“
fragte er, ſetzte den Stahl ab und ließ die Räder der Dreh¬
bank langſam ausſchnurren.
„O, ganz vorzüglich. Soeben iſt der Arzt weggegangen;
er meinte, daß nichts mehr zu befürchten ſei, ein paar Tage
noch und er könnte bereits aufſtehen . . . Aber da habe ich
Dir eine andere Neuigkeit mitzutheilen. Der dicke Liebegott
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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/316>, abgerufen am 22.11.2024.
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