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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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"Seht doch den alten Meergreis da oben". . . Gelächter
ertönte.

Der Meister wollte das Wort "dummer Junge" ge¬
brauchen, besann sich aber auf seine Weisheit, klappte das
Fenster zu und verschwand.

Am Nachmittage tauchten Schutzmänner zu Pferde auf,
welche im Schritt die Straße durchritten und jede Gruppe, die
sich bildete, sofort auseinandertrieben. Nach und nach vertheilten
sich die Massen. Als der kurze Wintertag zur Dämmerung
sich neigte, zerstreuten sich auch diejenigen der Strikenden
und Neugierigen, die am längsten ausgeharrt hatten. Nur
die Schutzmannsposten, die langsam vor dem Fabrikthor auf
und abwanderten, und das laute Leben in den Schankwirth¬
schaften deuteten auf die Ereignisse des Tages hin.

Nach zwei Tagen fand die Ersatzwahl zum Reichstage
statt. In diesem ungeheuren Stadtviertel des Proletariats,
das sich von den Frankfurter Lindin bis nach dem Schlesi¬
schen Busch, und von dort bis zum Kottbuser Thor erstreckte,
hatte ein Arbeiter-Kandidat den Sieg davongetragen, aber zu
Gunsten eines anderen Wahlkreises auf dieses Mandat ver¬
zichtet.

Es war ein naßkalter Wintertag. Der Schnee hatte sich
in Wasser aufgelöst und ein feiner, kaum sichtbarer Regen
vermehrte die Schmutzlachen und durchfeuchtete die Kleidung
der Menschen. An solchen Tagen macht Berlin einen un¬
angenehmen Eindruck. Es gleicht einem Menschen, der
plötzlich seine Stimmung und mit ihr seine Kleidung ge¬
wechselt hat. Es zieht sich in sich selbst zurück und läßt sich
nur von außen betrachten. Selbst Fenster, hinter denen man
selten Licht erblickt, sind erleuchtet, die Läden leerer als sonst,

„Seht doch den alten Meergreis da oben“. . . Gelächter
ertönte.

Der Meiſter wollte das Wort „dummer Junge“ ge¬
brauchen, beſann ſich aber auf ſeine Weisheit, klappte das
Fenſter zu und verſchwand.

Am Nachmittage tauchten Schutzmänner zu Pferde auf,
welche im Schritt die Straße durchritten und jede Gruppe, die
ſich bildete, ſofort auseinandertrieben. Nach und nach vertheilten
ſich die Maſſen. Als der kurze Wintertag zur Dämmerung
ſich neigte, zerſtreuten ſich auch diejenigen der Strikenden
und Neugierigen, die am längſten ausgeharrt hatten. Nur
die Schutzmannspoſten, die langſam vor dem Fabrikthor auf
und abwanderten, und das laute Leben in den Schankwirth¬
ſchaften deuteten auf die Ereigniſſe des Tages hin.

Nach zwei Tagen fand die Erſatzwahl zum Reichstage
ſtatt. In dieſem ungeheuren Stadtviertel des Proletariats,
das ſich von den Frankfurter Lindin bis nach dem Schleſi¬
ſchen Buſch, und von dort bis zum Kottbuſer Thor erſtreckte,
hatte ein Arbeiter-Kandidat den Sieg davongetragen, aber zu
Gunſten eines anderen Wahlkreiſes auf dieſes Mandat ver¬
zichtet.

Es war ein naßkalter Wintertag. Der Schnee hatte ſich
in Waſſer aufgelöſt und ein feiner, kaum ſichtbarer Regen
vermehrte die Schmutzlachen und durchfeuchtete die Kleidung
der Menſchen. An ſolchen Tagen macht Berlin einen un¬
angenehmen Eindruck. Es gleicht einem Menſchen, der
plötzlich ſeine Stimmung und mit ihr ſeine Kleidung ge¬
wechſelt hat. Es zieht ſich in ſich ſelbſt zurück und läßt ſich
nur von außen betrachten. Selbſt Fenſter, hinter denen man
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[279/0291] „Seht doch den alten Meergreis da oben“. . . Gelächter ertönte. Der Meiſter wollte das Wort „dummer Junge“ ge¬ brauchen, beſann ſich aber auf ſeine Weisheit, klappte das Fenſter zu und verſchwand. Am Nachmittage tauchten Schutzmänner zu Pferde auf, welche im Schritt die Straße durchritten und jede Gruppe, die ſich bildete, ſofort auseinandertrieben. Nach und nach vertheilten ſich die Maſſen. Als der kurze Wintertag zur Dämmerung ſich neigte, zerſtreuten ſich auch diejenigen der Strikenden und Neugierigen, die am längſten ausgeharrt hatten. Nur die Schutzmannspoſten, die langſam vor dem Fabrikthor auf und abwanderten, und das laute Leben in den Schankwirth¬ ſchaften deuteten auf die Ereigniſſe des Tages hin. Nach zwei Tagen fand die Erſatzwahl zum Reichstage ſtatt. In dieſem ungeheuren Stadtviertel des Proletariats, das ſich von den Frankfurter Lindin bis nach dem Schleſi¬ ſchen Buſch, und von dort bis zum Kottbuſer Thor erſtreckte, hatte ein Arbeiter-Kandidat den Sieg davongetragen, aber zu Gunſten eines anderen Wahlkreiſes auf dieſes Mandat ver¬ zichtet. Es war ein naßkalter Wintertag. Der Schnee hatte ſich in Waſſer aufgelöſt und ein feiner, kaum ſichtbarer Regen vermehrte die Schmutzlachen und durchfeuchtete die Kleidung der Menſchen. An ſolchen Tagen macht Berlin einen un¬ angenehmen Eindruck. Es gleicht einem Menſchen, der plötzlich ſeine Stimmung und mit ihr ſeine Kleidung ge¬ wechſelt hat. Es zieht ſich in ſich ſelbſt zurück und läßt ſich nur von außen betrachten. Selbſt Fenſter, hinter denen man ſelten Licht erblickt, ſind erleuchtet, die Läden leerer als ſonſt,

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/291>, abgerufen am 22.11.2024.