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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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gehen, um ihn vorzubereiten und seine Stimmung zu
prüfen.

Am selben Nachmittag noch führte sie ihren Auftrag aus.
Sie hatte den Meister lange nicht gesehen, so daß sie förmlich
zurückprallte, als sie ihn erblickte. Noch mehr wunderte sie
sich über seine Unhöflichkeit. Nicht einmal einen Stuhl bot
er ihr an. Als sie ihn fragte, ob er sie noch kenne,
lachte er spöttisch auf und wies mit der Hand nach
der Seite, wo der Hof lag. "Die alte Mauer . .
wissen Sie noch? . . . Sie haben uns nicht das Licht gegönnt.
nicht den Anblick der unschuldigen Blumen, die Gott doch
überall wachsen läßt, damit der Aermste sich daran erfreue."
Er hatte noch nichts vergessen; das machte sie erst recht be¬
troffen.

"Ihr Sohn gab die Veranlassung," brachte sie dann
zögernd wie zur Vertheidigung hervor. Zu gleicher Zeit
wollte sie das Gespräch auf den eigentlichen Zweck ihres Be¬
suches bringen; aber im nächsten Augenblick schreckte sie zu¬
sammen, denn Timpe stampfte mit dem Fuße auf und
sagte:

"Mein Sohn, mein Sohn! . . . Kennen Sie ihn? Ich
nicht. Sie hätten ihm damals den Hals umdrehen sollen,
als Sie ihn zum ersten Male beim Obststehlen ertappten.
Sie hätten ein gutes Werk gethan. . . . Gott wird mir
meine sündhaften Gedanken verzeihen, um der vielen Gebete
willen, die mein Leben ausgefüllt haben."

Er wandte sich ab. Frau Urban wurde bewegt,
schritt auf ihn zu und redete sanft auf ihn ein; aber er war
unerbittlich.

"Kein Wort mehr darüber. . . . Es liegt ein Abgrund

gehen, um ihn vorzubereiten und ſeine Stimmung zu
prüfen.

Am ſelben Nachmittag noch führte ſie ihren Auftrag aus.
Sie hatte den Meiſter lange nicht geſehen, ſo daß ſie förmlich
zurückprallte, als ſie ihn erblickte. Noch mehr wunderte ſie
ſich über ſeine Unhöflichkeit. Nicht einmal einen Stuhl bot
er ihr an. Als ſie ihn fragte, ob er ſie noch kenne,
lachte er ſpöttiſch auf und wies mit der Hand nach
der Seite, wo der Hof lag. „Die alte Mauer . .
wiſſen Sie noch? . . . Sie haben uns nicht das Licht gegönnt.
nicht den Anblick der unſchuldigen Blumen, die Gott doch
überall wachſen läßt, damit der Aermſte ſich daran erfreue.“
Er hatte noch nichts vergeſſen; das machte ſie erſt recht be¬
troffen.

„Ihr Sohn gab die Veranlaſſung,“ brachte ſie dann
zögernd wie zur Vertheidigung hervor. Zu gleicher Zeit
wollte ſie das Geſpräch auf den eigentlichen Zweck ihres Be¬
ſuches bringen; aber im nächſten Augenblick ſchreckte ſie zu¬
ſammen, denn Timpe ſtampfte mit dem Fuße auf und
ſagte:

„Mein Sohn, mein Sohn! . . . Kennen Sie ihn? Ich
nicht. Sie hätten ihm damals den Hals umdrehen ſollen,
als Sie ihn zum erſten Male beim Obſtſtehlen ertappten.
Sie hätten ein gutes Werk gethan. . . . Gott wird mir
meine ſündhaften Gedanken verzeihen, um der vielen Gebete
willen, die mein Leben ausgefüllt haben.“

Er wandte ſich ab. Frau Urban wurde bewegt,
ſchritt auf ihn zu und redete ſanft auf ihn ein; aber er war
unerbittlich.

„Kein Wort mehr darüber. . . . Es liegt ein Abgrund

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[260/0272] gehen, um ihn vorzubereiten und ſeine Stimmung zu prüfen. Am ſelben Nachmittag noch führte ſie ihren Auftrag aus. Sie hatte den Meiſter lange nicht geſehen, ſo daß ſie förmlich zurückprallte, als ſie ihn erblickte. Noch mehr wunderte ſie ſich über ſeine Unhöflichkeit. Nicht einmal einen Stuhl bot er ihr an. Als ſie ihn fragte, ob er ſie noch kenne, lachte er ſpöttiſch auf und wies mit der Hand nach der Seite, wo der Hof lag. „Die alte Mauer . . wiſſen Sie noch? . . . Sie haben uns nicht das Licht gegönnt. nicht den Anblick der unſchuldigen Blumen, die Gott doch überall wachſen läßt, damit der Aermſte ſich daran erfreue.“ Er hatte noch nichts vergeſſen; das machte ſie erſt recht be¬ troffen. „Ihr Sohn gab die Veranlaſſung,“ brachte ſie dann zögernd wie zur Vertheidigung hervor. Zu gleicher Zeit wollte ſie das Geſpräch auf den eigentlichen Zweck ihres Be¬ ſuches bringen; aber im nächſten Augenblick ſchreckte ſie zu¬ ſammen, denn Timpe ſtampfte mit dem Fuße auf und ſagte: „Mein Sohn, mein Sohn! . . . Kennen Sie ihn? Ich nicht. Sie hätten ihm damals den Hals umdrehen ſollen, als Sie ihn zum erſten Male beim Obſtſtehlen ertappten. Sie hätten ein gutes Werk gethan. . . . Gott wird mir meine ſündhaften Gedanken verzeihen, um der vielen Gebete willen, die mein Leben ausgefüllt haben.“ Er wandte ſich ab. Frau Urban wurde bewegt, ſchritt auf ihn zu und redete ſanft auf ihn ein; aber er war unerbittlich. „Kein Wort mehr darüber. . . . Es liegt ein Abgrund

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/272>, abgerufen am 22.11.2024.