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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Das Schrecklichste für Timpe war, daß er nicht schlafen
konnte. Des Abends kam ihm das Haus öde wie eine Kirche
vor, so daß ihn ein förmliches Grauen überkam, wenn die
Stunde des Niederlegens heranrückte. Trat die Dämmerung
ein, so fürchtete er sich die beiden großen Vorderzimmer zu
betreten. Jedes Stück Möbel, der kleinste Gegenstand erin¬
nerte ihn an sein verstorbenes Weib. Er ließ daher das Bett
in seine Arbeitsstube bringen und befahl dem Lehrling von
nun an in der Werkstatt zu schlafen.

Gleich am Tage nach der Beerdigung begannen die Zungen
in der Nachbarschaft ihre Arbeit. Die ungeheuerlichsten Ge¬
schichten kamen dabei zum Vorschein, soweit es sich um das
Verhältniß des Meisters zu seinem Sohne handelte. Bei Jamrath
drehte die Debatte sich Abend für Abend um diesen Punkt.
Man fand es unerhört, daß Timpe den vermögenden Mann
hervorzukehren wagte, da man von seinem Ruine bereits über¬
zeugt war.

"Ihm geschieht ganz Recht; weßhalb prahlt er mit den
Rosinen, ohne sie im Sack zu haben," ließ Deppler sich
vernehmen. Herr Brümmer aber, der sich ärgerte, seiner
Zeit auf der Straße Timpe die Ehrfurcht vor einem Villen-
und Hausbesitzer entgegengebracht zu haben, brach seine
Schweigsamkeit und sagte im salbungsvollen Tone: "Wer
gegen die großen Fabriken und die Maschinen ist, der ist auch
gegen den Geist des Fortschritts. Wissen Sie noch, wie er
an jenem Abend so tapfer dagegen losdonnerte? Ich wollte
nur nichts erwidern . . . Weßhalb auch? Er hätte mich
doch nicht verstanden . . . derartige Leute aufzuklären, ist nicht
leicht. Er hätte schließlich von mir profitirt und mich oben¬
drein ausgelacht."

Das Schrecklichſte für Timpe war, daß er nicht ſchlafen
konnte. Des Abends kam ihm das Haus öde wie eine Kirche
vor, ſo daß ihn ein förmliches Grauen überkam, wenn die
Stunde des Niederlegens heranrückte. Trat die Dämmerung
ein, ſo fürchtete er ſich die beiden großen Vorderzimmer zu
betreten. Jedes Stück Möbel, der kleinſte Gegenſtand erin¬
nerte ihn an ſein verſtorbenes Weib. Er ließ daher das Bett
in ſeine Arbeitsſtube bringen und befahl dem Lehrling von
nun an in der Werkſtatt zu ſchlafen.

Gleich am Tage nach der Beerdigung begannen die Zungen
in der Nachbarſchaft ihre Arbeit. Die ungeheuerlichſten Ge¬
ſchichten kamen dabei zum Vorſchein, ſoweit es ſich um das
Verhältniß des Meiſters zu ſeinem Sohne handelte. Bei Jamrath
drehte die Debatte ſich Abend für Abend um dieſen Punkt.
Man fand es unerhört, daß Timpe den vermögenden Mann
hervorzukehren wagte, da man von ſeinem Ruine bereits über¬
zeugt war.

„Ihm geſchieht ganz Recht; weßhalb prahlt er mit den
Roſinen, ohne ſie im Sack zu haben,“ ließ Deppler ſich
vernehmen. Herr Brümmer aber, der ſich ärgerte, ſeiner
Zeit auf der Straße Timpe die Ehrfurcht vor einem Villen-
und Hausbeſitzer entgegengebracht zu haben, brach ſeine
Schweigſamkeit und ſagte im ſalbungsvollen Tone: „Wer
gegen die großen Fabriken und die Maſchinen iſt, der iſt auch
gegen den Geiſt des Fortſchritts. Wiſſen Sie noch, wie er
an jenem Abend ſo tapfer dagegen losdonnerte? Ich wollte
nur nichts erwidern . . . Weßhalb auch? Er hätte mich
doch nicht verſtanden . . . derartige Leute aufzuklären, iſt nicht
leicht. Er hätte ſchließlich von mir profitirt und mich oben¬
drein ausgelacht.“

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[255/0267] Das Schrecklichſte für Timpe war, daß er nicht ſchlafen konnte. Des Abends kam ihm das Haus öde wie eine Kirche vor, ſo daß ihn ein förmliches Grauen überkam, wenn die Stunde des Niederlegens heranrückte. Trat die Dämmerung ein, ſo fürchtete er ſich die beiden großen Vorderzimmer zu betreten. Jedes Stück Möbel, der kleinſte Gegenſtand erin¬ nerte ihn an ſein verſtorbenes Weib. Er ließ daher das Bett in ſeine Arbeitsſtube bringen und befahl dem Lehrling von nun an in der Werkſtatt zu ſchlafen. Gleich am Tage nach der Beerdigung begannen die Zungen in der Nachbarſchaft ihre Arbeit. Die ungeheuerlichſten Ge¬ ſchichten kamen dabei zum Vorſchein, ſoweit es ſich um das Verhältniß des Meiſters zu ſeinem Sohne handelte. Bei Jamrath drehte die Debatte ſich Abend für Abend um dieſen Punkt. Man fand es unerhört, daß Timpe den vermögenden Mann hervorzukehren wagte, da man von ſeinem Ruine bereits über¬ zeugt war. „Ihm geſchieht ganz Recht; weßhalb prahlt er mit den Roſinen, ohne ſie im Sack zu haben,“ ließ Deppler ſich vernehmen. Herr Brümmer aber, der ſich ärgerte, ſeiner Zeit auf der Straße Timpe die Ehrfurcht vor einem Villen- und Hausbeſitzer entgegengebracht zu haben, brach ſeine Schweigſamkeit und ſagte im ſalbungsvollen Tone: „Wer gegen die großen Fabriken und die Maſchinen iſt, der iſt auch gegen den Geiſt des Fortſchritts. Wiſſen Sie noch, wie er an jenem Abend ſo tapfer dagegen losdonnerte? Ich wollte nur nichts erwidern . . . Weßhalb auch? Er hätte mich doch nicht verſtanden . . . derartige Leute aufzuklären, iſt nicht leicht. Er hätte ſchließlich von mir profitirt und mich oben¬ drein ausgelacht.“

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/267>, abgerufen am 22.11.2024.