wenn Du Dich über Dich lustig machen wolltest. Alter Esel, Du!"
Was ihm bei diesen Stadtreisen äußerst lächerlich vorkam, war die Doppelrolle, die er auf sich geladen hatte und noth¬ wendigerweise spielen mußte. Befand er sich wieder in seinem Viertel und begegnete ihm Jemand, der ihn kannte, so wurde er wie ein Mann begrüßt und angeredet, der so glücklich ge¬ stellt ist, den ganzen Tag spazieren gehen und schwere Ein¬ käufe machen zu können.
"Danke, danke", pflegte er dann auf eine Frage nach seinem Wohlbefinden zu erwidern. "Es geht ja so la-la, ich kann gerade nicht klagen. Man lebt eben so lange, bis man stirbt, und dann läßt man das Beerben Anderen . . . Adieu, hat mich sehr gefreut. Ich muß eilen . . . . ich habe da meiner Alten eine Kleinigkeit mitgebracht . . . ich war unter den Linden . . . theure Gegend da . . ."
Dieses "traurige Komödienspiel", wie er es nannte, enthielt so viel Scherzhaftes für ihn, daß er sich immer neue Dinge aus¬ dachte, wenn er einen dieser "liebenswürdigen Nächsten" heran¬ kommen sah. "Sachte nur, du sollst dran glauben", sagte er für sich und richtete sich mit jedem Schritt stolzer empor, um dem "wohlhabenden" Meister Timpe die nöthige Würde zu geben.
An einem Vormittag stieß er um eine Ecke biegend mit dem langen Herrn Brummer so hart zusammen, daß der Rentier beinahe das Gleichgewicht verloren hätte.
"Wie geht's, gut?" redete ihn der sonst schweigsame Hausbesitzer mit großer Zungenfertigkeit an. "Habe letzten Sonntag Ihre im Bau begriffene Villa in Friedrichshagen gesehen. Nicht schlechter Geschmack, das muß ich sagen . . .
wenn Du Dich über Dich luſtig machen wollteſt. Alter Eſel, Du!“
Was ihm bei dieſen Stadtreiſen äußerſt lächerlich vorkam, war die Doppelrolle, die er auf ſich geladen hatte und noth¬ wendigerweiſe ſpielen mußte. Befand er ſich wieder in ſeinem Viertel und begegnete ihm Jemand, der ihn kannte, ſo wurde er wie ein Mann begrüßt und angeredet, der ſo glücklich ge¬ ſtellt iſt, den ganzen Tag ſpazieren gehen und ſchwere Ein¬ käufe machen zu können.
„Danke, danke“, pflegte er dann auf eine Frage nach ſeinem Wohlbefinden zu erwidern. „Es geht ja ſo la-la, ich kann gerade nicht klagen. Man lebt eben ſo lange, bis man ſtirbt, und dann läßt man das Beerben Anderen . . . Adieu, hat mich ſehr gefreut. Ich muß eilen . . . . ich habe da meiner Alten eine Kleinigkeit mitgebracht . . . ich war unter den Linden . . . theure Gegend da . . .“
Dieſes „traurige Komödienſpiel“, wie er es nannte, enthielt ſo viel Scherzhaftes für ihn, daß er ſich immer neue Dinge aus¬ dachte, wenn er einen dieſer „liebenswürdigen Nächſten“ heran¬ kommen ſah. „Sachte nur, du ſollſt dran glauben“, ſagte er für ſich und richtete ſich mit jedem Schritt ſtolzer empor, um dem „wohlhabenden“ Meiſter Timpe die nöthige Würde zu geben.
An einem Vormittag ſtieß er um eine Ecke biegend mit dem langen Herrn Brummer ſo hart zuſammen, daß der Rentier beinahe das Gleichgewicht verloren hätte.
„Wie geht's, gut?“ redete ihn der ſonſt ſchweigſame Hausbeſitzer mit großer Zungenfertigkeit an. „Habe letzten Sonntag Ihre im Bau begriffene Villa in Friedrichshagen geſehen. Nicht ſchlechter Geſchmack, das muß ich ſagen . . .
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0245"n="233"/>
wenn Du Dich über Dich luſtig machen wollteſt. Alter<lb/>
Eſel, Du!“</p><lb/><p>Was ihm bei dieſen Stadtreiſen äußerſt lächerlich vorkam, war<lb/>
die Doppelrolle, die er auf ſich geladen hatte und noth¬<lb/>
wendigerweiſe ſpielen mußte. Befand er ſich wieder in ſeinem<lb/>
Viertel und begegnete ihm Jemand, der ihn kannte, ſo wurde<lb/>
er wie ein Mann begrüßt und angeredet, der ſo glücklich ge¬<lb/>ſtellt iſt, den ganzen Tag ſpazieren gehen und ſchwere Ein¬<lb/>
käufe machen zu können.</p><lb/><p>„Danke, danke“, pflegte er dann auf eine Frage nach<lb/>ſeinem Wohlbefinden zu erwidern. „Es geht ja ſo la-la, ich<lb/>
kann gerade nicht klagen. Man lebt eben ſo lange, bis man<lb/>ſtirbt, und dann läßt man das Beerben Anderen . . . Adieu,<lb/>
hat mich ſehr gefreut. Ich muß eilen . . . . ich habe da<lb/>
meiner Alten eine Kleinigkeit mitgebracht . . . ich war unter<lb/>
den Linden . . . theure Gegend da . . .“</p><lb/><p>Dieſes „traurige Komödienſpiel“, wie er es nannte, enthielt<lb/>ſo viel Scherzhaftes für ihn, daß er ſich immer neue Dinge aus¬<lb/>
dachte, wenn er einen dieſer „liebenswürdigen Nächſten“ heran¬<lb/>
kommen ſah. „Sachte nur, du ſollſt dran glauben“, ſagte er für<lb/>ſich und richtete ſich mit jedem Schritt ſtolzer empor, um<lb/>
dem „wohlhabenden“ Meiſter Timpe die nöthige Würde zu<lb/>
geben.</p><lb/><p>An einem Vormittag ſtieß er um eine Ecke biegend mit<lb/>
dem langen Herrn Brummer ſo hart zuſammen, daß der<lb/>
Rentier beinahe das Gleichgewicht verloren hätte.</p><lb/><p>„Wie geht's, gut?“ redete ihn der ſonſt ſchweigſame<lb/>
Hausbeſitzer mit großer Zungenfertigkeit an. „Habe letzten<lb/>
Sonntag Ihre im Bau begriffene Villa in Friedrichshagen<lb/>
geſehen. Nicht ſchlechter Geſchmack, das muß ich ſagen . . .<lb/></p></div></body></text></TEI>
[233/0245]
wenn Du Dich über Dich luſtig machen wollteſt. Alter
Eſel, Du!“
Was ihm bei dieſen Stadtreiſen äußerſt lächerlich vorkam, war
die Doppelrolle, die er auf ſich geladen hatte und noth¬
wendigerweiſe ſpielen mußte. Befand er ſich wieder in ſeinem
Viertel und begegnete ihm Jemand, der ihn kannte, ſo wurde
er wie ein Mann begrüßt und angeredet, der ſo glücklich ge¬
ſtellt iſt, den ganzen Tag ſpazieren gehen und ſchwere Ein¬
käufe machen zu können.
„Danke, danke“, pflegte er dann auf eine Frage nach
ſeinem Wohlbefinden zu erwidern. „Es geht ja ſo la-la, ich
kann gerade nicht klagen. Man lebt eben ſo lange, bis man
ſtirbt, und dann läßt man das Beerben Anderen . . . Adieu,
hat mich ſehr gefreut. Ich muß eilen . . . . ich habe da
meiner Alten eine Kleinigkeit mitgebracht . . . ich war unter
den Linden . . . theure Gegend da . . .“
Dieſes „traurige Komödienſpiel“, wie er es nannte, enthielt
ſo viel Scherzhaftes für ihn, daß er ſich immer neue Dinge aus¬
dachte, wenn er einen dieſer „liebenswürdigen Nächſten“ heran¬
kommen ſah. „Sachte nur, du ſollſt dran glauben“, ſagte er für
ſich und richtete ſich mit jedem Schritt ſtolzer empor, um
dem „wohlhabenden“ Meiſter Timpe die nöthige Würde zu
geben.
An einem Vormittag ſtieß er um eine Ecke biegend mit
dem langen Herrn Brummer ſo hart zuſammen, daß der
Rentier beinahe das Gleichgewicht verloren hätte.
„Wie geht's, gut?“ redete ihn der ſonſt ſchweigſame
Hausbeſitzer mit großer Zungenfertigkeit an. „Habe letzten
Sonntag Ihre im Bau begriffene Villa in Friedrichshagen
geſehen. Nicht ſchlechter Geſchmack, das muß ich ſagen . . .
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/245>, abgerufen am 07.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.