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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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als er von dem stattlichen Aeußern des Sohnes sprach und
Timpe dabei langsam sein Haupt senkte, als wolle er sich in
süße Erinnerungen versenken, zeigte sich, wie sehr das Herz
des Meisters noch an seinem ihm fremd gewordenen Kinde
hing. Aber er ermannte sich bald wieder. Er schämte sich
seiner Weichheit nach all den Erfahrungen, die er mit Franz
gemacht hatte.

"Wenn Sie einmal einen Sohn bekommen sollten, lieber
Beyer", sagte er rauh, dann vergessen Sie nicht, ihm früh¬
zeitig die Zuchtruthe zu geben, wie Großvater selig zu sagen
pflegte. Und merken Sie bei Zeiten, daß der Junge Ihnen
eines Tages den Stuhl vor die Thür setzen könnte, dann
bitten Sie den lieben Gott, er möge das Kind lieber wieder
zu sich nehmen. Besser, daß es stirbt, als daß es lebt zum
Hohne seiner Eltern."

"Entsinnen Sie sich noch Meister, was ich Ihnen vor
Jahren an einem Donnerstag im Garten gesagt habe? Ich
meine die Geschichte von den Sperlingskindern, die solange
mit den Stieglitzen verkehrten, bis sie sich selbst für solche
hielten . . . Es ist alles so eingetroffen: Sie sind der kleine
Vater, auf den der lange Schlingel von Sohn herabblickt.
Ich will offen wie immer reden: Hätten Sie Ihren
Sohn ein Handwerk lernen lassen, so wäre er
bei den einfachen Sperlingen geblieben und hätte sich
nimmer seines schlichten Gefieders geschämt. Die Sucht vieler
Eltern aus Ihrem Stande, die Kinder etwas Größeres
werden zu lassen, als sie selber sind, trägt viel dazu bei, den
"goldenen Boden" immer mehr zu durchlöchern, bis nichts
mehr von ihm vorhanden sein wird . . . Sehen Sie, Meister,
da habe ich neulich einen Vortrag gehört über die Zuchtwahl.

als er von dem ſtattlichen Aeußern des Sohnes ſprach und
Timpe dabei langſam ſein Haupt ſenkte, als wolle er ſich in
ſüße Erinnerungen verſenken, zeigte ſich, wie ſehr das Herz
des Meiſters noch an ſeinem ihm fremd gewordenen Kinde
hing. Aber er ermannte ſich bald wieder. Er ſchämte ſich
ſeiner Weichheit nach all den Erfahrungen, die er mit Franz
gemacht hatte.

„Wenn Sie einmal einen Sohn bekommen ſollten, lieber
Beyer“, ſagte er rauh, dann vergeſſen Sie nicht, ihm früh¬
zeitig die Zuchtruthe zu geben, wie Großvater ſelig zu ſagen
pflegte. Und merken Sie bei Zeiten, daß der Junge Ihnen
eines Tages den Stuhl vor die Thür ſetzen könnte, dann
bitten Sie den lieben Gott, er möge das Kind lieber wieder
zu ſich nehmen. Beſſer, daß es ſtirbt, als daß es lebt zum
Hohne ſeiner Eltern.“

„Entſinnen Sie ſich noch Meiſter, was ich Ihnen vor
Jahren an einem Donnerſtag im Garten geſagt habe? Ich
meine die Geſchichte von den Sperlingskindern, die ſolange
mit den Stieglitzen verkehrten, bis ſie ſich ſelbſt für ſolche
hielten . . . Es iſt alles ſo eingetroffen: Sie ſind der kleine
Vater, auf den der lange Schlingel von Sohn herabblickt.
Ich will offen wie immer reden: Hätten Sie Ihren
Sohn ein Handwerk lernen laſſen, ſo wäre er
bei den einfachen Sperlingen geblieben und hätte ſich
nimmer ſeines ſchlichten Gefieders geſchämt. Die Sucht vieler
Eltern aus Ihrem Stande, die Kinder etwas Größeres
werden zu laſſen, als ſie ſelber ſind, trägt viel dazu bei, den
„goldenen Boden“ immer mehr zu durchlöchern, bis nichts
mehr von ihm vorhanden ſein wird . . . Sehen Sie, Meiſter,
da habe ich neulich einen Vortrag gehört über die Zuchtwahl.

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[206/0218] als er von dem ſtattlichen Aeußern des Sohnes ſprach und Timpe dabei langſam ſein Haupt ſenkte, als wolle er ſich in ſüße Erinnerungen verſenken, zeigte ſich, wie ſehr das Herz des Meiſters noch an ſeinem ihm fremd gewordenen Kinde hing. Aber er ermannte ſich bald wieder. Er ſchämte ſich ſeiner Weichheit nach all den Erfahrungen, die er mit Franz gemacht hatte. „Wenn Sie einmal einen Sohn bekommen ſollten, lieber Beyer“, ſagte er rauh, dann vergeſſen Sie nicht, ihm früh¬ zeitig die Zuchtruthe zu geben, wie Großvater ſelig zu ſagen pflegte. Und merken Sie bei Zeiten, daß der Junge Ihnen eines Tages den Stuhl vor die Thür ſetzen könnte, dann bitten Sie den lieben Gott, er möge das Kind lieber wieder zu ſich nehmen. Beſſer, daß es ſtirbt, als daß es lebt zum Hohne ſeiner Eltern.“ „Entſinnen Sie ſich noch Meiſter, was ich Ihnen vor Jahren an einem Donnerſtag im Garten geſagt habe? Ich meine die Geſchichte von den Sperlingskindern, die ſolange mit den Stieglitzen verkehrten, bis ſie ſich ſelbſt für ſolche hielten . . . Es iſt alles ſo eingetroffen: Sie ſind der kleine Vater, auf den der lange Schlingel von Sohn herabblickt. Ich will offen wie immer reden: Hätten Sie Ihren Sohn ein Handwerk lernen laſſen, ſo wäre er bei den einfachen Sperlingen geblieben und hätte ſich nimmer ſeines ſchlichten Gefieders geſchämt. Die Sucht vieler Eltern aus Ihrem Stande, die Kinder etwas Größeres werden zu laſſen, als ſie ſelber ſind, trägt viel dazu bei, den „goldenen Boden“ immer mehr zu durchlöchern, bis nichts mehr von ihm vorhanden ſein wird . . . Sehen Sie, Meiſter, da habe ich neulich einen Vortrag gehört über die Zuchtwahl.

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/218>, abgerufen am 22.11.2024.