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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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bekannt geworden war, hatte er keine Nacht ruhig
schlafen können. Ueberall witterte er Diebe, und das leiseste
Geräusch genügte schon, um ihn aus dem Schlafe zu schrecken
und laut nach Johannes oder Karolinen rufen zu lassen. So
war es auch in dieser Nacht. Als im Nebenzimmer die
Holzmodelle, die an der andern Seite der Wand hingen, wo
sein Bett stand, gegen einander klapperten, war sofort die
alte Furcht über ihn gekommen. Er hatte sich aufgerichtet
und gelauscht, dann mit der Kraft der Verzweiflung sich aus
dem Bett erhoben und auf allen Vieren bis zur Thür ge¬
schleppt, als diese plötzlich geöffnet wurde und Lichtschimmer
ihn blendete. Nun rief er um Hülfe. Seine Hände hatten
die Knie Franzens umspannt und dann dessen Hand er¬
griffen und sie befühlt. Die Entdeckung, die sein Tastsinn
gemacht hatte, war für ihn eine grauenhafte. Noch einige
Male stieß er seine Rufe hervor, dann versagte ihm die
Sprache.

Er bot einen jammervollen Anblick dar. Der Meister
und sein Weib wollten ihn in sein Bett tragen, er aber
wehrte ab, und so setzte man ihn auf einen Lehnstuhl und
umhüllte ihn mit Decken. Johannes kniete vor ihm und
hielt die eine welke Hand, während Karoline die andere erfaßt
hatte. So saß er fünf Minuten lang da, ohne zu sprechen,
aber kurz und schnell nach Athem ringend.

"Mein Vater", sagte der Meister ein über das andere
Mal, während Karolinens Hand sanft über den kalten
Schädel glitt.

Gottfried Timpe versuchte sich emporzurichten, der Mund
öffnete sich halb und seine erloschenen Augen richteten sich
starr auf einen Punkt. Er wollte sprechen. Johannes ver¬

bekannt geworden war, hatte er keine Nacht ruhig
ſchlafen können. Ueberall witterte er Diebe, und das leiſeſte
Geräuſch genügte ſchon, um ihn aus dem Schlafe zu ſchrecken
und laut nach Johannes oder Karolinen rufen zu laſſen. So
war es auch in dieſer Nacht. Als im Nebenzimmer die
Holzmodelle, die an der andern Seite der Wand hingen, wo
ſein Bett ſtand, gegen einander klapperten, war ſofort die
alte Furcht über ihn gekommen. Er hatte ſich aufgerichtet
und gelauſcht, dann mit der Kraft der Verzweiflung ſich aus
dem Bett erhoben und auf allen Vieren bis zur Thür ge¬
ſchleppt, als dieſe plötzlich geöffnet wurde und Lichtſchimmer
ihn blendete. Nun rief er um Hülfe. Seine Hände hatten
die Knie Franzens umſpannt und dann deſſen Hand er¬
griffen und ſie befühlt. Die Entdeckung, die ſein Taſtſinn
gemacht hatte, war für ihn eine grauenhafte. Noch einige
Male ſtieß er ſeine Rufe hervor, dann verſagte ihm die
Sprache.

Er bot einen jammervollen Anblick dar. Der Meiſter
und ſein Weib wollten ihn in ſein Bett tragen, er aber
wehrte ab, und ſo ſetzte man ihn auf einen Lehnſtuhl und
umhüllte ihn mit Decken. Johannes kniete vor ihm und
hielt die eine welke Hand, während Karoline die andere erfaßt
hatte. So ſaß er fünf Minuten lang da, ohne zu ſprechen,
aber kurz und ſchnell nach Athem ringend.

„Mein Vater“, ſagte der Meiſter ein über das andere
Mal, während Karolinens Hand ſanft über den kalten
Schädel glitt.

Gottfried Timpe verſuchte ſich emporzurichten, der Mund
öffnete ſich halb und ſeine erloſchenen Augen richteten ſich
ſtarr auf einen Punkt. Er wollte ſprechen. Johannes ver¬

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[198/0210] bekannt geworden war, hatte er keine Nacht ruhig ſchlafen können. Ueberall witterte er Diebe, und das leiſeſte Geräuſch genügte ſchon, um ihn aus dem Schlafe zu ſchrecken und laut nach Johannes oder Karolinen rufen zu laſſen. So war es auch in dieſer Nacht. Als im Nebenzimmer die Holzmodelle, die an der andern Seite der Wand hingen, wo ſein Bett ſtand, gegen einander klapperten, war ſofort die alte Furcht über ihn gekommen. Er hatte ſich aufgerichtet und gelauſcht, dann mit der Kraft der Verzweiflung ſich aus dem Bett erhoben und auf allen Vieren bis zur Thür ge¬ ſchleppt, als dieſe plötzlich geöffnet wurde und Lichtſchimmer ihn blendete. Nun rief er um Hülfe. Seine Hände hatten die Knie Franzens umſpannt und dann deſſen Hand er¬ griffen und ſie befühlt. Die Entdeckung, die ſein Taſtſinn gemacht hatte, war für ihn eine grauenhafte. Noch einige Male ſtieß er ſeine Rufe hervor, dann verſagte ihm die Sprache. Er bot einen jammervollen Anblick dar. Der Meiſter und ſein Weib wollten ihn in ſein Bett tragen, er aber wehrte ab, und ſo ſetzte man ihn auf einen Lehnſtuhl und umhüllte ihn mit Decken. Johannes kniete vor ihm und hielt die eine welke Hand, während Karoline die andere erfaßt hatte. So ſaß er fünf Minuten lang da, ohne zu ſprechen, aber kurz und ſchnell nach Athem ringend. „Mein Vater“, ſagte der Meiſter ein über das andere Mal, während Karolinens Hand ſanft über den kalten Schädel glitt. Gottfried Timpe verſuchte ſich emporzurichten, der Mund öffnete ſich halb und ſeine erloſchenen Augen richteten ſich ſtarr auf einen Punkt. Er wollte ſprechen. Johannes ver¬

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/210>, abgerufen am 24.11.2024.