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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Jahren ihre Plätze bei ihm inne hatten, konnten ihm ihre
Theilnahme nicht versagen.

Eines Sonnabends bei der Löhnung, als der Meister die
Gehilfen nach einander in seine Arbeitsstube rief und Thomas
Beyer an die Reihe gekommen war, zögerte der Altgeselle,
das ihm hingezählte Geld einzustecken.

"Meister", sagte er, "Sie haben viel Unglück zu er¬
leiden. Wenn ich auch nicht viel rede, so sehe ich doch Alles
und mache mir mein Bild zurecht. Ich werde nicht länger
bei Ihnen arbeiten, wenn Sie mir nicht den Akkordpreis um
ein Drittel herabsetzen. Und was Spiller, den Sachsen, an¬
betrifft, so sage ich ebenfalls für ihn gut; er kann weniger
Schinken essen und weniger Liqueur trinken . . . Sie leiden
unschuldig, und ein Lump, der dem Unschuldigen nicht beisteht".

Diese schlichten Worte rührten Timpe bis zu Thränen.
Er wandte sich ab, um seiner weichen Stimmung Herr zu
werden. Dann, als er sich gefaßt hatte, streckte er Beyer die
Hand entgegen und wies das Ansinnen mit Dank, aber
energisch zurück. Beyer aber wollte nicht nachgeben. Er und
der Sachse müßten auf ihrer Bitte bestehen, und wenn der
Meister sie nicht erfüllen wolle, so würden sie einfach "Adieu"
sagen.

Timpe blieb nichts Anderes übrig, als nach wiederholtem
Sträuben nachzugeben. An der Thür wandte sich Beyer noch
einmal um; es war ihm schwer, ohne eine "Diskussion", wie
er es nannte, von dannen zu gehen.

"Meister", begann er daher wieder, "Sie wissen, ich bin
ein Bücherwurm und habe so meine eigenen Ansichten über
die Dinge und ihre Ursachen. Da habe ich neulich einen
Vortrag gehört, der nicht schlecht war."

Jahren ihre Plätze bei ihm inne hatten, konnten ihm ihre
Theilnahme nicht verſagen.

Eines Sonnabends bei der Löhnung, als der Meiſter die
Gehilfen nach einander in ſeine Arbeitsſtube rief und Thomas
Beyer an die Reihe gekommen war, zögerte der Altgeſelle,
das ihm hingezählte Geld einzuſtecken.

„Meiſter“, ſagte er, „Sie haben viel Unglück zu er¬
leiden. Wenn ich auch nicht viel rede, ſo ſehe ich doch Alles
und mache mir mein Bild zurecht. Ich werde nicht länger
bei Ihnen arbeiten, wenn Sie mir nicht den Akkordpreis um
ein Drittel herabſetzen. Und was Spiller, den Sachſen, an¬
betrifft, ſo ſage ich ebenfalls für ihn gut; er kann weniger
Schinken eſſen und weniger Liqueur trinken . . . Sie leiden
unſchuldig, und ein Lump, der dem Unſchuldigen nicht beiſteht“.

Dieſe ſchlichten Worte rührten Timpe bis zu Thränen.
Er wandte ſich ab, um ſeiner weichen Stimmung Herr zu
werden. Dann, als er ſich gefaßt hatte, ſtreckte er Beyer die
Hand entgegen und wies das Anſinnen mit Dank, aber
energiſch zurück. Beyer aber wollte nicht nachgeben. Er und
der Sachſe müßten auf ihrer Bitte beſtehen, und wenn der
Meiſter ſie nicht erfüllen wolle, ſo würden ſie einfach „Adieu“
ſagen.

Timpe blieb nichts Anderes übrig, als nach wiederholtem
Sträuben nachzugeben. An der Thür wandte ſich Beyer noch
einmal um; es war ihm ſchwer, ohne eine „Diskuſſion“, wie
er es nannte, von dannen zu gehen.

„Meiſter“, begann er daher wieder, „Sie wiſſen, ich bin
ein Bücherwurm und habe ſo meine eigenen Anſichten über
die Dinge und ihre Urſachen. Da habe ich neulich einen
Vortrag gehört, der nicht ſchlecht war.“

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[169/0181] Jahren ihre Plätze bei ihm inne hatten, konnten ihm ihre Theilnahme nicht verſagen. Eines Sonnabends bei der Löhnung, als der Meiſter die Gehilfen nach einander in ſeine Arbeitsſtube rief und Thomas Beyer an die Reihe gekommen war, zögerte der Altgeſelle, das ihm hingezählte Geld einzuſtecken. „Meiſter“, ſagte er, „Sie haben viel Unglück zu er¬ leiden. Wenn ich auch nicht viel rede, ſo ſehe ich doch Alles und mache mir mein Bild zurecht. Ich werde nicht länger bei Ihnen arbeiten, wenn Sie mir nicht den Akkordpreis um ein Drittel herabſetzen. Und was Spiller, den Sachſen, an¬ betrifft, ſo ſage ich ebenfalls für ihn gut; er kann weniger Schinken eſſen und weniger Liqueur trinken . . . Sie leiden unſchuldig, und ein Lump, der dem Unſchuldigen nicht beiſteht“. Dieſe ſchlichten Worte rührten Timpe bis zu Thränen. Er wandte ſich ab, um ſeiner weichen Stimmung Herr zu werden. Dann, als er ſich gefaßt hatte, ſtreckte er Beyer die Hand entgegen und wies das Anſinnen mit Dank, aber energiſch zurück. Beyer aber wollte nicht nachgeben. Er und der Sachſe müßten auf ihrer Bitte beſtehen, und wenn der Meiſter ſie nicht erfüllen wolle, ſo würden ſie einfach „Adieu“ ſagen. Timpe blieb nichts Anderes übrig, als nach wiederholtem Sträuben nachzugeben. An der Thür wandte ſich Beyer noch einmal um; es war ihm ſchwer, ohne eine „Diskuſſion“, wie er es nannte, von dannen zu gehen. „Meiſter“, begann er daher wieder, „Sie wiſſen, ich bin ein Bücherwurm und habe ſo meine eigenen Anſichten über die Dinge und ihre Urſachen. Da habe ich neulich einen Vortrag gehört, der nicht ſchlecht war.“

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/181>, abgerufen am 25.11.2024.