Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

setzte sich zu dem Vater ans Fenster, plauderte mit ihm und
erzählte lustige Schnurren, um seine üble Laune vergessen zu
machen; oder er ging zu seinem Weibe nach der Küche hin¬
aus und scherzte mit ihr wie in jungen Jahren. Er wollte
sich dadurch Muth machen. Und wenn Frau Karoline seine
Hände ergriff und herzlich sagte: "Vater, es wird schon wieder
besser werden, nur den Glauben an Gott nicht verlieren", --
dann erwiderte er vergnügt: "Mutter, Du hast Recht", und
verließ sie mit gestärktem Vertrauen, um aufs Neue an seine
Arbeit zu gehen.

Am Anfange des Sommers standen bereits vier Dreh¬
bänke still. Das brachte Timpe fast in Verzweiflung, denn
wenn das so weiter ging, hatte er in absehbarer Zeit auch
für die anderen Gesellen keine Beschäftigung mehr und konnte
gleich dem langen Herrn Brümmer mit der Pfeife im Munde
den ganzen Tag zum Fenster hinaussehen. Wollte er dieser
schlimmsten Gefahr aus dem Wege gehen, so mußte er den
letzten Versuch machen, den Kampf mit Urban aufzunehmen.
Er begann also von Neuem zu rechnen und stellte den
Kunden, die ihm noch übrig geblieben waren, denselben Preis
wie der große Konkurrent. Sein ganzer Verdienst wurde
dadurch eingebüßt, sodaß eigentlich die Arbeit nur noch ins
Haus kam, um die Gesellen zu beschäftigen; aber Timpe
blieb zähe. Es handelte sich um ein Prinzip, das einmal
durchgefochten werden mußte. Dazu gesellte sich der Haß des
Feindes, der sich lieber selber wehe thut, ehe er dem Gegner
einen Triumph gönnt. Der Meister mußte schließlich das kleine
Kapital angreifen, das er sich während vieler Jahre sauer
erworben hatte, und das dereinst für seinen Sohn bestimmt
war; aber an diesen dachte er nicht mehr, war Franz doch

ſetzte ſich zu dem Vater ans Fenſter, plauderte mit ihm und
erzählte luſtige Schnurren, um ſeine üble Laune vergeſſen zu
machen; oder er ging zu ſeinem Weibe nach der Küche hin¬
aus und ſcherzte mit ihr wie in jungen Jahren. Er wollte
ſich dadurch Muth machen. Und wenn Frau Karoline ſeine
Hände ergriff und herzlich ſagte: „Vater, es wird ſchon wieder
beſſer werden, nur den Glauben an Gott nicht verlieren“, —
dann erwiderte er vergnügt: „Mutter, Du haſt Recht“, und
verließ ſie mit geſtärktem Vertrauen, um aufs Neue an ſeine
Arbeit zu gehen.

Am Anfange des Sommers ſtanden bereits vier Dreh¬
bänke ſtill. Das brachte Timpe faſt in Verzweiflung, denn
wenn das ſo weiter ging, hatte er in abſehbarer Zeit auch
für die anderen Geſellen keine Beſchäftigung mehr und konnte
gleich dem langen Herrn Brümmer mit der Pfeife im Munde
den ganzen Tag zum Fenſter hinausſehen. Wollte er dieſer
ſchlimmſten Gefahr aus dem Wege gehen, ſo mußte er den
letzten Verſuch machen, den Kampf mit Urban aufzunehmen.
Er begann alſo von Neuem zu rechnen und ſtellte den
Kunden, die ihm noch übrig geblieben waren, denſelben Preis
wie der große Konkurrent. Sein ganzer Verdienſt wurde
dadurch eingebüßt, ſodaß eigentlich die Arbeit nur noch ins
Haus kam, um die Geſellen zu beſchäftigen; aber Timpe
blieb zähe. Es handelte ſich um ein Prinzip, das einmal
durchgefochten werden mußte. Dazu geſellte ſich der Haß des
Feindes, der ſich lieber ſelber wehe thut, ehe er dem Gegner
einen Triumph gönnt. Der Meiſter mußte ſchließlich das kleine
Kapital angreifen, das er ſich während vieler Jahre ſauer
erworben hatte, und das dereinſt für ſeinen Sohn beſtimmt
war; aber an dieſen dachte er nicht mehr, war Franz doch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0179" n="167"/>
&#x017F;etzte &#x017F;ich zu dem Vater ans Fen&#x017F;ter, plauderte mit ihm und<lb/>
erzählte lu&#x017F;tige Schnurren, um &#x017F;eine üble Laune verge&#x017F;&#x017F;en zu<lb/>
machen; oder er ging zu &#x017F;einem Weibe nach der Küche hin¬<lb/>
aus und &#x017F;cherzte mit ihr wie in jungen Jahren. Er wollte<lb/>
&#x017F;ich dadurch Muth machen. Und wenn Frau Karoline &#x017F;eine<lb/>
Hände ergriff und herzlich &#x017F;agte: &#x201E;Vater, es wird &#x017F;chon wieder<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er werden, nur den Glauben an Gott nicht verlieren&#x201C;, &#x2014;<lb/>
dann erwiderte er vergnügt: &#x201E;Mutter, Du ha&#x017F;t Recht&#x201C;, und<lb/>
verließ &#x017F;ie mit ge&#x017F;tärktem Vertrauen, um aufs Neue an &#x017F;eine<lb/>
Arbeit zu gehen.</p><lb/>
        <p>Am Anfange des Sommers &#x017F;tanden bereits vier Dreh¬<lb/>
bänke &#x017F;till. Das brachte Timpe fa&#x017F;t in Verzweiflung, denn<lb/>
wenn das &#x017F;o weiter ging, hatte er in ab&#x017F;ehbarer Zeit auch<lb/>
für die anderen Ge&#x017F;ellen keine Be&#x017F;chäftigung mehr und konnte<lb/>
gleich dem langen Herrn Brümmer mit der Pfeife im Munde<lb/>
den ganzen Tag zum Fen&#x017F;ter hinaus&#x017F;ehen. Wollte er die&#x017F;er<lb/>
&#x017F;chlimm&#x017F;ten Gefahr aus dem Wege gehen, &#x017F;o mußte er den<lb/>
letzten Ver&#x017F;uch machen, den Kampf mit Urban aufzunehmen.<lb/>
Er begann al&#x017F;o von Neuem zu rechnen und &#x017F;tellte den<lb/>
Kunden, die ihm noch übrig geblieben waren, den&#x017F;elben Preis<lb/>
wie der große Konkurrent. Sein ganzer Verdien&#x017F;t wurde<lb/>
dadurch eingebüßt, &#x017F;odaß eigentlich die Arbeit nur noch ins<lb/>
Haus kam, um die Ge&#x017F;ellen zu be&#x017F;chäftigen; aber Timpe<lb/>
blieb zähe. Es handelte &#x017F;ich um ein Prinzip, das einmal<lb/>
durchgefochten werden mußte. Dazu ge&#x017F;ellte &#x017F;ich der Haß des<lb/>
Feindes, der &#x017F;ich lieber &#x017F;elber wehe thut, ehe er dem Gegner<lb/>
einen Triumph gönnt. Der Mei&#x017F;ter mußte &#x017F;chließlich das kleine<lb/>
Kapital angreifen, das er &#x017F;ich während vieler Jahre &#x017F;auer<lb/>
erworben hatte, und das derein&#x017F;t für &#x017F;einen Sohn be&#x017F;timmt<lb/>
war; aber an die&#x017F;en dachte er nicht mehr, war Franz doch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0179] ſetzte ſich zu dem Vater ans Fenſter, plauderte mit ihm und erzählte luſtige Schnurren, um ſeine üble Laune vergeſſen zu machen; oder er ging zu ſeinem Weibe nach der Küche hin¬ aus und ſcherzte mit ihr wie in jungen Jahren. Er wollte ſich dadurch Muth machen. Und wenn Frau Karoline ſeine Hände ergriff und herzlich ſagte: „Vater, es wird ſchon wieder beſſer werden, nur den Glauben an Gott nicht verlieren“, — dann erwiderte er vergnügt: „Mutter, Du haſt Recht“, und verließ ſie mit geſtärktem Vertrauen, um aufs Neue an ſeine Arbeit zu gehen. Am Anfange des Sommers ſtanden bereits vier Dreh¬ bänke ſtill. Das brachte Timpe faſt in Verzweiflung, denn wenn das ſo weiter ging, hatte er in abſehbarer Zeit auch für die anderen Geſellen keine Beſchäftigung mehr und konnte gleich dem langen Herrn Brümmer mit der Pfeife im Munde den ganzen Tag zum Fenſter hinausſehen. Wollte er dieſer ſchlimmſten Gefahr aus dem Wege gehen, ſo mußte er den letzten Verſuch machen, den Kampf mit Urban aufzunehmen. Er begann alſo von Neuem zu rechnen und ſtellte den Kunden, die ihm noch übrig geblieben waren, denſelben Preis wie der große Konkurrent. Sein ganzer Verdienſt wurde dadurch eingebüßt, ſodaß eigentlich die Arbeit nur noch ins Haus kam, um die Geſellen zu beſchäftigen; aber Timpe blieb zähe. Es handelte ſich um ein Prinzip, das einmal durchgefochten werden mußte. Dazu geſellte ſich der Haß des Feindes, der ſich lieber ſelber wehe thut, ehe er dem Gegner einen Triumph gönnt. Der Meiſter mußte ſchließlich das kleine Kapital angreifen, das er ſich während vieler Jahre ſauer erworben hatte, und das dereinſt für ſeinen Sohn beſtimmt war; aber an dieſen dachte er nicht mehr, war Franz doch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/179
Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/179>, abgerufen am 24.11.2024.