den einsamen Gängen durch die dunklen Straßen hatte sich mit der Zeit ein Philosoph aus ihm gebildet, der, in des Wortes bester Bedeutung, sein Licht nur im Dunkeln leuchten ließ. Und da ein Philosoph mindestens einen ver¬ trauten Abnehmer seiner Ideen haben muß, so hatte sich denn auch im Laufe der Jahre ein solcher in einem gleichaltrigen, bereits mit einer stattlichen Zahl Dienstjahre befrachteten Schutzmann des Reviers gefunden, welcher den seltenen und merkwürdigen Namen Liebegott führte.
Herr Alexander Liebegott erfreute sich eines behäbigen Körperumfanges, der den Neid seiner sämmtlichen Kollegen und die Freude aller derjenigen zweifelhaften Individuen bildete, welche in nächtlicher Stunde auf der Flucht vor ihm begriffen waren, und denen er niemals auf den Fersen zu bleiben vermochte. Auf den Schultern ruhte ein Riesenkopf, in dessen kürbisfarbenem Gesichte eine etwas großgerathene Nase in sanftestem Violett erstrahlte und ein mächtiger Schnurrbart traurig seine ungedrehten Spitzen hängen ließ, so daß das würdige Antlitz dem eines See¬ löwen glich.
Krusemeyer und Liebegott waren, soweit die Gelegenheit sich darbot, auf ihren nächtlichen Gängen ein unzertrennliches Paar, dessen Hang zu philo¬ sophischen, höchst sonderbaren Gesprächen eben so groß war, wie die uneigennützige Freundschaft zu einander und die Liebe zu gewissen alkoholduftenden "Erheiterungstropfen", die in kalten Winternächten dazu dienen mußten, das Gespräch über die großen Vorgänge dieser Welt zu gleicher Zeit mit der Wachsamkeit anzufeuern. Im Uebrigen waren sie zwei pflichtgetreue Beamte, welche die Achtung ihrer Vorgesetzten
den einſamen Gängen durch die dunklen Straßen hatte ſich mit der Zeit ein Philoſoph aus ihm gebildet, der, in des Wortes beſter Bedeutung, ſein Licht nur im Dunkeln leuchten ließ. Und da ein Philoſoph mindeſtens einen ver¬ trauten Abnehmer ſeiner Ideen haben muß, ſo hatte ſich denn auch im Laufe der Jahre ein ſolcher in einem gleichaltrigen, bereits mit einer ſtattlichen Zahl Dienſtjahre befrachteten Schutzmann des Reviers gefunden, welcher den ſeltenen und merkwürdigen Namen Liebegott führte.
Herr Alexander Liebegott erfreute ſich eines behäbigen Körperumfanges, der den Neid ſeiner ſämmtlichen Kollegen und die Freude aller derjenigen zweifelhaften Individuen bildete, welche in nächtlicher Stunde auf der Flucht vor ihm begriffen waren, und denen er niemals auf den Ferſen zu bleiben vermochte. Auf den Schultern ruhte ein Rieſenkopf, in deſſen kürbisfarbenem Geſichte eine etwas großgerathene Naſe in ſanfteſtem Violett erſtrahlte und ein mächtiger Schnurrbart traurig ſeine ungedrehten Spitzen hängen ließ, ſo daß das würdige Antlitz dem eines See¬ löwen glich.
Kruſemeyer und Liebegott waren, ſoweit die Gelegenheit ſich darbot, auf ihren nächtlichen Gängen ein unzertrennliches Paar, deſſen Hang zu philo¬ ſophiſchen, höchſt ſonderbaren Geſprächen eben ſo groß war, wie die uneigennützige Freundſchaft zu einander und die Liebe zu gewiſſen alkoholduftenden „Erheiterungstropfen“, die in kalten Winternächten dazu dienen mußten, das Geſpräch über die großen Vorgänge dieſer Welt zu gleicher Zeit mit der Wachſamkeit anzufeuern. Im Uebrigen waren ſie zwei pflichtgetreue Beamte, welche die Achtung ihrer Vorgeſetzten
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den einſamen Gängen durch die dunklen Straßen hatte
ſich mit der Zeit ein Philoſoph aus ihm gebildet, der,
in des Wortes beſter Bedeutung, ſein Licht nur im Dunkeln
leuchten ließ. Und da ein Philoſoph mindeſtens einen ver¬
trauten Abnehmer ſeiner Ideen haben muß, ſo hatte ſich denn
auch im Laufe der Jahre ein ſolcher in einem gleichaltrigen,
bereits mit einer ſtattlichen Zahl Dienſtjahre befrachteten
Schutzmann des Reviers gefunden, welcher den ſeltenen und
merkwürdigen Namen Liebegott führte.
Herr Alexander Liebegott erfreute ſich eines behäbigen
Körperumfanges, der den Neid ſeiner ſämmtlichen
Kollegen und die Freude aller derjenigen zweifelhaften
Individuen bildete, welche in nächtlicher Stunde auf
der Flucht vor ihm begriffen waren, und denen er niemals
auf den Ferſen zu bleiben vermochte. Auf den Schultern
ruhte ein Rieſenkopf, in deſſen kürbisfarbenem Geſichte eine
etwas großgerathene Naſe in ſanfteſtem Violett erſtrahlte und
ein mächtiger Schnurrbart traurig ſeine ungedrehten Spitzen
hängen ließ, ſo daß das würdige Antlitz dem eines See¬
löwen glich.
Kruſemeyer und Liebegott waren, ſoweit die
Gelegenheit ſich darbot, auf ihren nächtlichen Gängen
ein unzertrennliches Paar, deſſen Hang zu philo¬
ſophiſchen, höchſt ſonderbaren Geſprächen eben ſo groß
war, wie die uneigennützige Freundſchaft zu einander und die
Liebe zu gewiſſen alkoholduftenden „Erheiterungstropfen“, die
in kalten Winternächten dazu dienen mußten, das Geſpräch
über die großen Vorgänge dieſer Welt zu gleicher Zeit mit
der Wachſamkeit anzufeuern. Im Uebrigen waren ſie zwei
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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/17>, abgerufen am 21.11.2024.
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