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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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und ihm gefolgt war, athmete er auf und fragte, ob zu Hause
etwas Unangenehmes passirt wäre? Und als Timpe ihn be¬
ruhigt hatte und nun erklärte, weswegen er eigentlich hierher
gekommen sei, überschüttete ihn Franz mit einem Wortschwall,
aus dem nur zu deutlich das Bestreben hervorging, seinen
Vater so bald als möglich von hier fort zu bringen.

"Morgen, morgen, Vater, sollst Du Alles erfahren. Ihr
werdet zufrieden sein ... Geh nur jetzt, ich bitte Dich!
Was soll die Mutter denken, wenn Du so spät nach Hause
kommst."

"Aber mein Bier ist noch nicht bezahlt --"

"Das werde ich besorgen."

"Aber Deine Freunde -- willst Du mich nicht mit ihnen
bekannt machen?"

"Ein anderes Mal, Du sollst sie alle kennen lernen,
verlaß Dich darauf ... Sie sind heute zu bekneipt ...
Geh' nur jetzt ... Es ist so spät ..."

Und Meister Timpe sah das ein und ging. Wie sonderbar
das Benehmen seines Sohnes war, wie unmuthig er über
die Störung erschien, wie er sich umblickte, als wünschte
er nicht belauscht zu werden! Plötzlich blieb der Alte
stehen und starrte vor sich hin. Ein entsetzlicher Gedanke
durchzuckte ihn. Es war nicht anders zu deuten. Franz schämte
sich seiner. Er war ihm nicht fein genug gekleidet, zu gering
für seine Freunde. Und je weiter er schritt, je fürchterlicher
dämmerte ihm die Wahrheit, je mehr nahm der Gedanke
Form und Gestalt an. Immer nebelhafter wurde das Ideal¬
bild Franzens, immer greifbarer das Zerrbild einer fremden
Kreatur. Timpe seufzte laut auf. Er spürte die Kälte
nicht, die Schneeflocken nicht, die der Wind ihm in's Gesicht

und ihm gefolgt war, athmete er auf und fragte, ob zu Hauſe
etwas Unangenehmes paſſirt wäre? Und als Timpe ihn be¬
ruhigt hatte und nun erklärte, weswegen er eigentlich hierher
gekommen ſei, überſchüttete ihn Franz mit einem Wortſchwall,
aus dem nur zu deutlich das Beſtreben hervorging, ſeinen
Vater ſo bald als möglich von hier fort zu bringen.

„Morgen, morgen, Vater, ſollſt Du Alles erfahren. Ihr
werdet zufrieden ſein ... Geh nur jetzt, ich bitte Dich!
Was ſoll die Mutter denken, wenn Du ſo ſpät nach Hauſe
kommſt.“

„Aber mein Bier iſt noch nicht bezahlt —“

„Das werde ich beſorgen.“

„Aber Deine Freunde — willſt Du mich nicht mit ihnen
bekannt machen?“

„Ein anderes Mal, Du ſollſt ſie alle kennen lernen,
verlaß Dich darauf ... Sie ſind heute zu bekneipt ...
Geh' nur jetzt ... Es iſt ſo ſpät ...“

Und Meiſter Timpe ſah das ein und ging. Wie ſonderbar
das Benehmen ſeines Sohnes war, wie unmuthig er über
die Störung erſchien, wie er ſich umblickte, als wünſchte
er nicht belauſcht zu werden! Plötzlich blieb der Alte
ſtehen und ſtarrte vor ſich hin. Ein entſetzlicher Gedanke
durchzuckte ihn. Es war nicht anders zu deuten. Franz ſchämte
ſich ſeiner. Er war ihm nicht fein genug gekleidet, zu gering
für ſeine Freunde. Und je weiter er ſchritt, je fürchterlicher
dämmerte ihm die Wahrheit, je mehr nahm der Gedanke
Form und Geſtalt an. Immer nebelhafter wurde das Ideal¬
bild Franzens, immer greifbarer das Zerrbild einer fremden
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[152/0164] und ihm gefolgt war, athmete er auf und fragte, ob zu Hauſe etwas Unangenehmes paſſirt wäre? Und als Timpe ihn be¬ ruhigt hatte und nun erklärte, weswegen er eigentlich hierher gekommen ſei, überſchüttete ihn Franz mit einem Wortſchwall, aus dem nur zu deutlich das Beſtreben hervorging, ſeinen Vater ſo bald als möglich von hier fort zu bringen. „Morgen, morgen, Vater, ſollſt Du Alles erfahren. Ihr werdet zufrieden ſein ... Geh nur jetzt, ich bitte Dich! Was ſoll die Mutter denken, wenn Du ſo ſpät nach Hauſe kommſt.“ „Aber mein Bier iſt noch nicht bezahlt —“ „Das werde ich beſorgen.“ „Aber Deine Freunde — willſt Du mich nicht mit ihnen bekannt machen?“ „Ein anderes Mal, Du ſollſt ſie alle kennen lernen, verlaß Dich darauf ... Sie ſind heute zu bekneipt ... Geh' nur jetzt ... Es iſt ſo ſpät ...“ Und Meiſter Timpe ſah das ein und ging. Wie ſonderbar das Benehmen ſeines Sohnes war, wie unmuthig er über die Störung erſchien, wie er ſich umblickte, als wünſchte er nicht belauſcht zu werden! Plötzlich blieb der Alte ſtehen und ſtarrte vor ſich hin. Ein entſetzlicher Gedanke durchzuckte ihn. Es war nicht anders zu deuten. Franz ſchämte ſich ſeiner. Er war ihm nicht fein genug gekleidet, zu gering für ſeine Freunde. Und je weiter er ſchritt, je fürchterlicher dämmerte ihm die Wahrheit, je mehr nahm der Gedanke Form und Geſtalt an. Immer nebelhafter wurde das Ideal¬ bild Franzens, immer greifbarer das Zerrbild einer fremden Kreatur. Timpe ſeufzte laut auf. Er ſpürte die Kälte nicht, die Schneeflocken nicht, die der Wind ihm in's Geſicht

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/164>, abgerufen am 22.11.2024.