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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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bei Jamrath. Timpe stieg die Stufen hinab und öffnete
die Thür.

"So spät noch auf!" sagte er nach einem Gruße, trat
ganz ein und reichte dem fleißigen Manne seine Schnupf¬
tabaksdose hin. Er habe Arbeit vor, die am nächsten Morgen
abgeliefert werden müsse, erwiderte Nölte. Das Magazin,
für welches er arbeite, fackele nicht lange. Es kämen
genug Leute, die sich noch billiger anböten. Zum
Unglück sei ihm der Lehrling noch am Tage vor¬
her ausgerückt. Zwei Jahre lang habe er sich mit dem
Bengel gequält, um ihm etwas beizubringen, und nun, da er
von ihm zu profitiren hoffte, ginge die Range heidi, um sich
wahrscheinlich in irgend einer Fabrik als Geselle anzubieten.
Das Maß dazu besitze er allerdings.

"Das war einmal richtig gesprochen von Ihnen, Herr
Timpe -- ich meine da heute Abend bei Jamrath", fuhr er
fort; "ich könnte ein Liedchen von der Fabrikarbeit singen,
aber ich wollte mich nicht gern in das Gespräch mischen.
Wozu auch? Am Biertisch ist das weiter nichts, als Dreschen
leeren Strohes, die Köpfe erhitzen sich unnütz, und den
einzigen Vortheil davon hat nur der Wirth . . . Es wird
für uns Handwerker nicht anders werden auf Erden, als
bis eine neue Sündfluth kommt und die Fabriken und
Schornsteine verschlingt. Da wird der Werth der Menschen,
die übrig bleiben, sich erst beweisen. Jeder wird zu
zeigen haben, was er gelernt hat. Wir müssen in den Ur¬
stand zurücktreten, habe ich gestern gelesen, und das wird wohl
das Beste sein. Haben die Menschen, die vor tausend Jahren
ihren Acker bebauten und sich die Dinge, die sie brauchten,
selbst anfertigten, nicht viel glücklicher gelebt? O, Meister

bei Jamrath. Timpe ſtieg die Stufen hinab und öffnete
die Thür.

„So ſpät noch auf!“ ſagte er nach einem Gruße, trat
ganz ein und reichte dem fleißigen Manne ſeine Schnupf¬
tabaksdoſe hin. Er habe Arbeit vor, die am nächſten Morgen
abgeliefert werden müſſe, erwiderte Nölte. Das Magazin,
für welches er arbeite, fackele nicht lange. Es kämen
genug Leute, die ſich noch billiger anböten. Zum
Unglück ſei ihm der Lehrling noch am Tage vor¬
her ausgerückt. Zwei Jahre lang habe er ſich mit dem
Bengel gequält, um ihm etwas beizubringen, und nun, da er
von ihm zu profitiren hoffte, ginge die Range heidi, um ſich
wahrſcheinlich in irgend einer Fabrik als Geſelle anzubieten.
Das Maß dazu beſitze er allerdings.

„Das war einmal richtig geſprochen von Ihnen, Herr
Timpe — ich meine da heute Abend bei Jamrath“, fuhr er
fort; „ich könnte ein Liedchen von der Fabrikarbeit ſingen,
aber ich wollte mich nicht gern in das Geſpräch miſchen.
Wozu auch? Am Biertiſch iſt das weiter nichts, als Dreſchen
leeren Strohes, die Köpfe erhitzen ſich unnütz, und den
einzigen Vortheil davon hat nur der Wirth . . . Es wird
für uns Handwerker nicht anders werden auf Erden, als
bis eine neue Sündfluth kommt und die Fabriken und
Schornſteine verſchlingt. Da wird der Werth der Menſchen,
die übrig bleiben, ſich erſt beweiſen. Jeder wird zu
zeigen haben, was er gelernt hat. Wir müſſen in den Ur¬
ſtand zurücktreten, habe ich geſtern geleſen, und das wird wohl
das Beſte ſein. Haben die Menſchen, die vor tauſend Jahren
ihren Acker bebauten und ſich die Dinge, die ſie brauchten,
ſelbſt anfertigten, nicht viel glücklicher gelebt? O, Meiſter

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[148/0160] bei Jamrath. Timpe ſtieg die Stufen hinab und öffnete die Thür. „So ſpät noch auf!“ ſagte er nach einem Gruße, trat ganz ein und reichte dem fleißigen Manne ſeine Schnupf¬ tabaksdoſe hin. Er habe Arbeit vor, die am nächſten Morgen abgeliefert werden müſſe, erwiderte Nölte. Das Magazin, für welches er arbeite, fackele nicht lange. Es kämen genug Leute, die ſich noch billiger anböten. Zum Unglück ſei ihm der Lehrling noch am Tage vor¬ her ausgerückt. Zwei Jahre lang habe er ſich mit dem Bengel gequält, um ihm etwas beizubringen, und nun, da er von ihm zu profitiren hoffte, ginge die Range heidi, um ſich wahrſcheinlich in irgend einer Fabrik als Geſelle anzubieten. Das Maß dazu beſitze er allerdings. „Das war einmal richtig geſprochen von Ihnen, Herr Timpe — ich meine da heute Abend bei Jamrath“, fuhr er fort; „ich könnte ein Liedchen von der Fabrikarbeit ſingen, aber ich wollte mich nicht gern in das Geſpräch miſchen. Wozu auch? Am Biertiſch iſt das weiter nichts, als Dreſchen leeren Strohes, die Köpfe erhitzen ſich unnütz, und den einzigen Vortheil davon hat nur der Wirth . . . Es wird für uns Handwerker nicht anders werden auf Erden, als bis eine neue Sündfluth kommt und die Fabriken und Schornſteine verſchlingt. Da wird der Werth der Menſchen, die übrig bleiben, ſich erſt beweiſen. Jeder wird zu zeigen haben, was er gelernt hat. Wir müſſen in den Ur¬ ſtand zurücktreten, habe ich geſtern geleſen, und das wird wohl das Beſte ſein. Haben die Menſchen, die vor tauſend Jahren ihren Acker bebauten und ſich die Dinge, die ſie brauchten, ſelbſt anfertigten, nicht viel glücklicher gelebt? O, Meiſter

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/160>, abgerufen am 25.11.2024.