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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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kam fortwährend auf die auswärtige Politik zu sprechen, ge¬
rieth mit Jedermann in Streit, und bandelte schließlich als
letzter Gast spät in der Nacht mit dem Wirth an, wobei er
über dessen Opposition so erregt wurde, daß er beim Hinaus¬
gehen laut zurückrief: "Ich betrete Ihr Lokal nicht mehr, ver¬
lassen Sie sich drauf!" Am anderen Abend aber saß er wie
gewöhnlich kampfeslustig auf seinem alten Platz.

Auch Baldrun, ein wohlhabend gewordener Schornstein¬
fegermeister aus der Holzmarktstraße, ist zu erwähnen. Er
hatte ein reiches Wanderleben hinter sich und als Geselle den
Krimkrieg mitgemacht, wobei er sich einen verkrüppelten Arm
geholt hatte. Bei jeder Gelegenheit schimpfte er furchtbar
über die Russen, deren geschworener Feind er war.

Die originellste Erscheinung war jedenfalls Anton Nölte,
ein in sehr bescheidenen Verhältnissen lebender Klempner¬
meister, der vor Jahren ein Dutzend Gesellen beschäftigt hatte,
nun aber mit einem Lehrling um die Existenz seiner Familie
kämpfte. Sommer und Winter erschien er ohne Kopfbedeckung
und verzehrte nicht mehr als eine kleine Weiße. Er setzte
sich dabei niemals, sondern ging von einem Tisch zum an¬
dern, wo "Schafskopf" gespielt wurde, guckte Jedem eine
Weile in die Karten, theilte unentgeltlichen Rath aus,
wobei er gelassen die größten Grobheiten einsteckte, griff in
die fremden Schnupftabacksdosen und verschwand nach einer
Stunde in ebenso gedrückter Stimmung, wie er gekommen
war, um in seinem Keller am Sperrhaken bis in die Nacht
hinein zu hämmern.

An jedem Donnerstag war das ganze Philisterium ver¬
sammelt. An diesem Abend gab es regelmäßig Pökelfleisch
mit Erbsen und Sauerkohl, das Nationalgericht der Berliner.

kam fortwährend auf die auswärtige Politik zu ſprechen, ge¬
rieth mit Jedermann in Streit, und bandelte ſchließlich als
letzter Gaſt ſpät in der Nacht mit dem Wirth an, wobei er
über deſſen Oppoſition ſo erregt wurde, daß er beim Hinaus¬
gehen laut zurückrief: „Ich betrete Ihr Lokal nicht mehr, ver¬
laſſen Sie ſich drauf!“ Am anderen Abend aber ſaß er wie
gewöhnlich kampfesluſtig auf ſeinem alten Platz.

Auch Baldrun, ein wohlhabend gewordener Schornſtein¬
fegermeiſter aus der Holzmarktſtraße, iſt zu erwähnen. Er
hatte ein reiches Wanderleben hinter ſich und als Geſelle den
Krimkrieg mitgemacht, wobei er ſich einen verkrüppelten Arm
geholt hatte. Bei jeder Gelegenheit ſchimpfte er furchtbar
über die Ruſſen, deren geſchworener Feind er war.

Die originellſte Erſcheinung war jedenfalls Anton Nölte,
ein in ſehr beſcheidenen Verhältniſſen lebender Klempner¬
meiſter, der vor Jahren ein Dutzend Geſellen beſchäftigt hatte,
nun aber mit einem Lehrling um die Exiſtenz ſeiner Familie
kämpfte. Sommer und Winter erſchien er ohne Kopfbedeckung
und verzehrte nicht mehr als eine kleine Weiße. Er ſetzte
ſich dabei niemals, ſondern ging von einem Tiſch zum an¬
dern, wo „Schafskopf“ geſpielt wurde, guckte Jedem eine
Weile in die Karten, theilte unentgeltlichen Rath aus,
wobei er gelaſſen die größten Grobheiten einſteckte, griff in
die fremden Schnupftabacksdoſen und verſchwand nach einer
Stunde in ebenſo gedrückter Stimmung, wie er gekommen
war, um in ſeinem Keller am Sperrhaken bis in die Nacht
hinein zu hämmern.

An jedem Donnerſtag war das ganze Philiſterium ver¬
ſammelt. An dieſem Abend gab es regelmäßig Pökelfleiſch
mit Erbſen und Sauerkohl, das Nationalgericht der Berliner.

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[136/0148] kam fortwährend auf die auswärtige Politik zu ſprechen, ge¬ rieth mit Jedermann in Streit, und bandelte ſchließlich als letzter Gaſt ſpät in der Nacht mit dem Wirth an, wobei er über deſſen Oppoſition ſo erregt wurde, daß er beim Hinaus¬ gehen laut zurückrief: „Ich betrete Ihr Lokal nicht mehr, ver¬ laſſen Sie ſich drauf!“ Am anderen Abend aber ſaß er wie gewöhnlich kampfesluſtig auf ſeinem alten Platz. Auch Baldrun, ein wohlhabend gewordener Schornſtein¬ fegermeiſter aus der Holzmarktſtraße, iſt zu erwähnen. Er hatte ein reiches Wanderleben hinter ſich und als Geſelle den Krimkrieg mitgemacht, wobei er ſich einen verkrüppelten Arm geholt hatte. Bei jeder Gelegenheit ſchimpfte er furchtbar über die Ruſſen, deren geſchworener Feind er war. Die originellſte Erſcheinung war jedenfalls Anton Nölte, ein in ſehr beſcheidenen Verhältniſſen lebender Klempner¬ meiſter, der vor Jahren ein Dutzend Geſellen beſchäftigt hatte, nun aber mit einem Lehrling um die Exiſtenz ſeiner Familie kämpfte. Sommer und Winter erſchien er ohne Kopfbedeckung und verzehrte nicht mehr als eine kleine Weiße. Er ſetzte ſich dabei niemals, ſondern ging von einem Tiſch zum an¬ dern, wo „Schafskopf“ geſpielt wurde, guckte Jedem eine Weile in die Karten, theilte unentgeltlichen Rath aus, wobei er gelaſſen die größten Grobheiten einſteckte, griff in die fremden Schnupftabacksdoſen und verſchwand nach einer Stunde in ebenſo gedrückter Stimmung, wie er gekommen war, um in ſeinem Keller am Sperrhaken bis in die Nacht hinein zu hämmern. An jedem Donnerſtag war das ganze Philiſterium ver¬ ſammelt. An dieſem Abend gab es regelmäßig Pökelfleiſch mit Erbſen und Sauerkohl, das Nationalgericht der Berliner.

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/148>, abgerufen am 24.11.2024.