die mächtige Hauptwelle, die unter einer Bedachung zu der Fabrik hinüberlief, um den ganzen Maschinenapparat in Be¬ wegung zu setzen, noch nicht recht an ihre Riesenarbeit ge¬ wöhnen; denn mit dem schwirrenden Geräusch vermischte sich ein leises Pfeifen, das unheimlich das Ohr berührte. Der schwarze Qualm wurde durch den Wind auf die Dächer ge¬ drückt und hinterließ einen unangenehmen Geruch von Ruß- und Schwefeldampf.
Eine ganze Woche hindurch gab die Eröffnung der Fa¬ brik den Bewohnern der ehrwürdigen Häuser Veranlassung zu langen Gesprächen. Die Straßen hatten eine andere Physiog¬ nomie bekommen. Die Schaaren Arbeiter, die sie belebten, machten sie zu einer Verkehrsader des Viertels. Das Portal des Etablissements ragte wie ein Wahrzeichen industriellen Sieges. Das neue Berlin hatte in's alte eine Bresche ge¬ schlagen und überfluthete mit seinem frischen Leben die Ruinen. Selbst die schiefen Giebeldächer, die sonst mürrisch wie ver¬ schlafene Eulen auf die Menschen herabblickten, nahmen sich freundlicher und heller aus. In den Schankwirthschaften er¬ schallte bis in die Nacht hinein der Lärm der Zecher, und alles, was durch die Arbeiter Geld zu verdienen hoffte, machte ein vergnügtes Gesicht.
Am dritten Neujahrstage wurde die Einweihung der Fabrik durch eine Festlichkeit begangen, die in den großen Sälen eines Hotels in der Friedrichstadt stattfand. An diesem Banket nahmen nur das Komtor-Personal und eine Anzahl geladener Gäste mit ihren Damen Theil. Die Werkführer und Arbeiter hatten einen freien Tag bekommen, der ihnen vom Lohne nicht abgezogen werden sollte. In Anbetracht dessen, daß erst wenige Wochen seit Eröffnung der Fabrik
Kretzer, Meister Timpe. 9
die mächtige Hauptwelle, die unter einer Bedachung zu der Fabrik hinüberlief, um den ganzen Maſchinenapparat in Be¬ wegung zu ſetzen, noch nicht recht an ihre Rieſenarbeit ge¬ wöhnen; denn mit dem ſchwirrenden Geräuſch vermiſchte ſich ein leiſes Pfeifen, das unheimlich das Ohr berührte. Der ſchwarze Qualm wurde durch den Wind auf die Dächer ge¬ drückt und hinterließ einen unangenehmen Geruch von Ruß- und Schwefeldampf.
Eine ganze Woche hindurch gab die Eröffnung der Fa¬ brik den Bewohnern der ehrwürdigen Häuſer Veranlaſſung zu langen Geſprächen. Die Straßen hatten eine andere Phyſiog¬ nomie bekommen. Die Schaaren Arbeiter, die ſie belebten, machten ſie zu einer Verkehrsader des Viertels. Das Portal des Etabliſſements ragte wie ein Wahrzeichen induſtriellen Sieges. Das neue Berlin hatte in's alte eine Breſche ge¬ ſchlagen und überfluthete mit ſeinem friſchen Leben die Ruinen. Selbſt die ſchiefen Giebeldächer, die ſonſt mürriſch wie ver¬ ſchlafene Eulen auf die Menſchen herabblickten, nahmen ſich freundlicher und heller aus. In den Schankwirthſchaften er¬ ſchallte bis in die Nacht hinein der Lärm der Zecher, und alles, was durch die Arbeiter Geld zu verdienen hoffte, machte ein vergnügtes Geſicht.
Am dritten Neujahrstage wurde die Einweihung der Fabrik durch eine Feſtlichkeit begangen, die in den großen Sälen eines Hotels in der Friedrichſtadt ſtattfand. An dieſem Banket nahmen nur das Komtor-Perſonal und eine Anzahl geladener Gäſte mit ihren Damen Theil. Die Werkführer und Arbeiter hatten einen freien Tag bekommen, der ihnen vom Lohne nicht abgezogen werden ſollte. In Anbetracht deſſen, daß erſt wenige Wochen ſeit Eröffnung der Fabrik
Kretzer, Meiſter Timpe. 9
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0141"n="129"/>
die mächtige Hauptwelle, die unter einer Bedachung zu der<lb/>
Fabrik hinüberlief, um den ganzen Maſchinenapparat in Be¬<lb/>
wegung zu ſetzen, noch nicht recht an ihre Rieſenarbeit ge¬<lb/>
wöhnen; denn mit dem ſchwirrenden Geräuſch vermiſchte ſich<lb/>
ein leiſes Pfeifen, das unheimlich das Ohr berührte. Der<lb/>ſchwarze Qualm wurde durch den Wind auf die Dächer ge¬<lb/>
drückt und hinterließ einen unangenehmen Geruch von Ruß-<lb/>
und Schwefeldampf.</p><lb/><p>Eine ganze Woche hindurch gab die Eröffnung der Fa¬<lb/>
brik den Bewohnern der ehrwürdigen Häuſer Veranlaſſung zu<lb/>
langen Geſprächen. Die Straßen hatten eine andere Phyſiog¬<lb/>
nomie bekommen. Die Schaaren Arbeiter, die ſie belebten,<lb/>
machten ſie zu einer Verkehrsader des Viertels. Das Portal<lb/>
des Etabliſſements ragte wie ein Wahrzeichen induſtriellen<lb/>
Sieges. Das neue Berlin hatte in's alte eine Breſche ge¬<lb/>ſchlagen und überfluthete mit ſeinem friſchen Leben die Ruinen.<lb/>
Selbſt die ſchiefen Giebeldächer, die ſonſt mürriſch wie ver¬<lb/>ſchlafene Eulen auf die Menſchen herabblickten, nahmen ſich<lb/>
freundlicher und heller aus. In den Schankwirthſchaften er¬<lb/>ſchallte bis in die Nacht hinein der Lärm der Zecher, und<lb/>
alles, was durch die Arbeiter Geld zu verdienen hoffte, machte<lb/>
ein vergnügtes Geſicht.</p><lb/><p>Am dritten Neujahrstage wurde die Einweihung der<lb/>
Fabrik durch eine Feſtlichkeit begangen, die in den großen<lb/>
Sälen eines Hotels in der Friedrichſtadt ſtattfand. An dieſem<lb/>
Banket nahmen nur das Komtor-Perſonal und eine Anzahl<lb/>
geladener Gäſte mit ihren Damen Theil. Die Werkführer<lb/>
und Arbeiter hatten einen freien Tag bekommen, der ihnen<lb/>
vom Lohne nicht abgezogen werden ſollte. In Anbetracht<lb/>
deſſen, daß erſt wenige Wochen ſeit Eröffnung der Fabrik<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Kretzer</hi>, Meiſter Timpe. 9<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[129/0141]
die mächtige Hauptwelle, die unter einer Bedachung zu der
Fabrik hinüberlief, um den ganzen Maſchinenapparat in Be¬
wegung zu ſetzen, noch nicht recht an ihre Rieſenarbeit ge¬
wöhnen; denn mit dem ſchwirrenden Geräuſch vermiſchte ſich
ein leiſes Pfeifen, das unheimlich das Ohr berührte. Der
ſchwarze Qualm wurde durch den Wind auf die Dächer ge¬
drückt und hinterließ einen unangenehmen Geruch von Ruß-
und Schwefeldampf.
Eine ganze Woche hindurch gab die Eröffnung der Fa¬
brik den Bewohnern der ehrwürdigen Häuſer Veranlaſſung zu
langen Geſprächen. Die Straßen hatten eine andere Phyſiog¬
nomie bekommen. Die Schaaren Arbeiter, die ſie belebten,
machten ſie zu einer Verkehrsader des Viertels. Das Portal
des Etabliſſements ragte wie ein Wahrzeichen induſtriellen
Sieges. Das neue Berlin hatte in's alte eine Breſche ge¬
ſchlagen und überfluthete mit ſeinem friſchen Leben die Ruinen.
Selbſt die ſchiefen Giebeldächer, die ſonſt mürriſch wie ver¬
ſchlafene Eulen auf die Menſchen herabblickten, nahmen ſich
freundlicher und heller aus. In den Schankwirthſchaften er¬
ſchallte bis in die Nacht hinein der Lärm der Zecher, und
alles, was durch die Arbeiter Geld zu verdienen hoffte, machte
ein vergnügtes Geſicht.
Am dritten Neujahrstage wurde die Einweihung der
Fabrik durch eine Feſtlichkeit begangen, die in den großen
Sälen eines Hotels in der Friedrichſtadt ſtattfand. An dieſem
Banket nahmen nur das Komtor-Perſonal und eine Anzahl
geladener Gäſte mit ihren Damen Theil. Die Werkführer
und Arbeiter hatten einen freien Tag bekommen, der ihnen
vom Lohne nicht abgezogen werden ſollte. In Anbetracht
deſſen, daß erſt wenige Wochen ſeit Eröffnung der Fabrik
Kretzer, Meiſter Timpe. 9
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/141>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.