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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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das große Balkonzimmer, Emma in einer nichts weniger als
angenehmen Stimmung zurücklassend; denn sie war durch die
Liebenswürdigkeit, mit der Urban Franzen immer aufs Neue
entgegentrat, entwaffnet. Um aber ihrem Stiefvater zu be¬
weisen, daß sie sich durchaus nicht getroffen fühle, unterdrückte
sie ihren Unmuth mit Gewalt und kehrte ebenfalls zu der
Gesellschaft zurück.

Hier begann nach und nach die Gemüthlichkeit sich
zu steigern. Herr Knispel, der Allerweltshumorist,
nahm auf einige Zeit die Aufmerksamkeit der Herr¬
schaften in Anspruch. Dem Drängen der Damen nach¬
gebend, hatte er sich vor der Glasthür des auf
einen Rohrsessel gestellt und deklamirte ein platt¬
deutsches Gedicht von Reuter mit einer solchen Ausdrucks¬
fähigkeit und Komik daß der Frau Rose, die eine geborene
Mecklenburgerin war, vor Lachen die Thränen über die Wan¬
gen liefen, alles in die heiterste Stimmung gerieth und selbst
der lange, hagere Herr Ramm aus seiner Reservirtheit her¬
austrat und die Behauptung wagte, Fritz Reuter sei doch
wirklich ein bedeutender Humorist gewesen. Urban, der bei
jeder Gelegenheit beweisen wollte, daß er für Alles Verständ¬
niß besitze, rief mehrmals sehr laut "Bravo! Bravo!" und
klaschte zum Schluß gewaltig in die Hände. Die jungen
Damen waren mit diesem einen Vortrag nicht zufrieden. Sie
umringten den Deklamator und flehten in allen Tonarten:
"Ach noch etwas anderes, lieber Herr Knispel" . . . . "Sie
haben ja soviel davon auf Lager, bester Herr Knispel . . . ."

Frau Urban machte jedoch dem Zureden ein Ende, in¬
dem sie zur Tafel ins Nebenzimmer bat. Es wurde den
Besuchern an derartigen Abenden gewöhnlich mit Thee

das große Balkonzimmer, Emma in einer nichts weniger als
angenehmen Stimmung zurücklaſſend; denn ſie war durch die
Liebenswürdigkeit, mit der Urban Franzen immer aufs Neue
entgegentrat, entwaffnet. Um aber ihrem Stiefvater zu be¬
weiſen, daß ſie ſich durchaus nicht getroffen fühle, unterdrückte
ſie ihren Unmuth mit Gewalt und kehrte ebenfalls zu der
Geſellſchaft zurück.

Hier begann nach und nach die Gemüthlichkeit ſich
zu ſteigern. Herr Kniſpel, der Allerweltshumoriſt,
nahm auf einige Zeit die Aufmerkſamkeit der Herr¬
ſchaften in Anſpruch. Dem Drängen der Damen nach¬
gebend, hatte er ſich vor der Glasthür des auf
einen Rohrſeſſel geſtellt und deklamirte ein platt¬
deutſches Gedicht von Reuter mit einer ſolchen Ausdrucks¬
fähigkeit und Komik daß der Frau Roſé, die eine geborene
Mecklenburgerin war, vor Lachen die Thränen über die Wan¬
gen liefen, alles in die heiterſte Stimmung gerieth und ſelbſt
der lange, hagere Herr Ramm aus ſeiner Reſervirtheit her¬
austrat und die Behauptung wagte, Fritz Reuter ſei doch
wirklich ein bedeutender Humoriſt geweſen. Urban, der bei
jeder Gelegenheit beweiſen wollte, daß er für Alles Verſtänd¬
niß beſitze, rief mehrmals ſehr laut „Bravo! Bravo!“ und
klaſchte zum Schluß gewaltig in die Hände. Die jungen
Damen waren mit dieſem einen Vortrag nicht zufrieden. Sie
umringten den Deklamator und flehten in allen Tonarten:
„Ach noch etwas anderes, lieber Herr Knispel“ . . . . „Sie
haben ja ſoviel davon auf Lager, beſter Herr Knispel . . . .“

Frau Urban machte jedoch dem Zureden ein Ende, in¬
dem ſie zur Tafel ins Nebenzimmer bat. Es wurde den
Beſuchern an derartigen Abenden gewöhnlich mit Thee

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[119/0131] das große Balkonzimmer, Emma in einer nichts weniger als angenehmen Stimmung zurücklaſſend; denn ſie war durch die Liebenswürdigkeit, mit der Urban Franzen immer aufs Neue entgegentrat, entwaffnet. Um aber ihrem Stiefvater zu be¬ weiſen, daß ſie ſich durchaus nicht getroffen fühle, unterdrückte ſie ihren Unmuth mit Gewalt und kehrte ebenfalls zu der Geſellſchaft zurück. Hier begann nach und nach die Gemüthlichkeit ſich zu ſteigern. Herr Kniſpel, der Allerweltshumoriſt, nahm auf einige Zeit die Aufmerkſamkeit der Herr¬ ſchaften in Anſpruch. Dem Drängen der Damen nach¬ gebend, hatte er ſich vor der Glasthür des auf einen Rohrſeſſel geſtellt und deklamirte ein platt¬ deutſches Gedicht von Reuter mit einer ſolchen Ausdrucks¬ fähigkeit und Komik daß der Frau Roſé, die eine geborene Mecklenburgerin war, vor Lachen die Thränen über die Wan¬ gen liefen, alles in die heiterſte Stimmung gerieth und ſelbſt der lange, hagere Herr Ramm aus ſeiner Reſervirtheit her¬ austrat und die Behauptung wagte, Fritz Reuter ſei doch wirklich ein bedeutender Humoriſt geweſen. Urban, der bei jeder Gelegenheit beweiſen wollte, daß er für Alles Verſtänd¬ niß beſitze, rief mehrmals ſehr laut „Bravo! Bravo!“ und klaſchte zum Schluß gewaltig in die Hände. Die jungen Damen waren mit dieſem einen Vortrag nicht zufrieden. Sie umringten den Deklamator und flehten in allen Tonarten: „Ach noch etwas anderes, lieber Herr Knispel“ . . . . „Sie haben ja ſoviel davon auf Lager, beſter Herr Knispel . . . .“ Frau Urban machte jedoch dem Zureden ein Ende, in¬ dem ſie zur Tafel ins Nebenzimmer bat. Es wurde den Beſuchern an derartigen Abenden gewöhnlich mit Thee

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/131>, abgerufen am 23.11.2024.