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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Alwine, das älteste Fräulein Kirchberg durfte sich bereits
glückliche Braut nennen. Ihr Verlobter, ein sehr begabter
Architekt, von einnehmender, echt männlicher Erscheinung,
stammte aus einer sehr wohlhabenden Familie, die durch lang¬
jährige Freundschaft mit Frau Urban verbunden war. Da
man es hier mit einer tadellosen, glänzenden Partie
zu thun hatte, in der beide Theile "gleich schwer wogen", so
erregte das junge Pärchen den geheimen Neid aller derjenigen
Mütter, die sich bisher einer derartigen glücklichen Aussicht
für ihre Töchter nicht erfreuen durften. Und da Fräulein
Alwine mehr durch Erziehung und Bildung, als durch Schönheit
glänzte, so war es von Allen Frau Ramm, welche oft zu der
Frau des Rentiers die Meinung äußerte, daß der "Herr
Architekt" auch noch "eine Andere" bekommen könnte. Es
war wohl nur der reine Zufall, wenn nach diesen Worten
ihr Blick zu Theresen hinüberglitt.

Unter den jungen Leuten, die sonst noch die Gunst der
Hausfrau zusammengeführt hatte, dürfte außer dem Geschäfts¬
führer Herrn Urbans nur noch Herr Knispel erwähnenswerth
sein: ein blutjunger Mann von fast mädchenhafter Zierlichkeit,
dessen Humor keine Grenzen kannte, der jede Minute bereit ge¬
wesen wäre, aus Aufmerksamkeit gegen die Damen sein Leben
zu lassen und in Folge dessen bei diesen sehr beliebt war,
wenn schon man ihn wie einen kleinen lustigen Kobold be¬
handelte, dem gegenüber man glaubte sich alles erlauben zu
dürfen.

Urban sorgte dafür, daß sein Lehrling mit den anwesen¬
den, ihm fremden Personen sehr rasch vertraut wurde; und
Franz verstand es auch, sich so artig zu benehmen, so wohl¬
gesetzte Komplimente zu machen, das Vortheilhafte seines

Kretzer, Meister Timpe. 8

Alwine, das älteſte Fräulein Kirchberg durfte ſich bereits
glückliche Braut nennen. Ihr Verlobter, ein ſehr begabter
Architekt, von einnehmender, echt männlicher Erſcheinung,
ſtammte aus einer ſehr wohlhabenden Familie, die durch lang¬
jährige Freundſchaft mit Frau Urban verbunden war. Da
man es hier mit einer tadelloſen, glänzenden Partie
zu thun hatte, in der beide Theile „gleich ſchwer wogen“, ſo
erregte das junge Pärchen den geheimen Neid aller derjenigen
Mütter, die ſich bisher einer derartigen glücklichen Ausſicht
für ihre Töchter nicht erfreuen durften. Und da Fräulein
Alwine mehr durch Erziehung und Bildung, als durch Schönheit
glänzte, ſo war es von Allen Frau Ramm, welche oft zu der
Frau des Rentiers die Meinung äußerte, daß der „Herr
Architekt“ auch noch „eine Andere“ bekommen könnte. Es
war wohl nur der reine Zufall, wenn nach dieſen Worten
ihr Blick zu Thereſen hinüberglitt.

Unter den jungen Leuten, die ſonſt noch die Gunſt der
Hausfrau zuſammengeführt hatte, dürfte außer dem Geſchäfts¬
führer Herrn Urbans nur noch Herr Knispel erwähnenswerth
ſein: ein blutjunger Mann von faſt mädchenhafter Zierlichkeit,
deſſen Humor keine Grenzen kannte, der jede Minute bereit ge¬
weſen wäre, aus Aufmerkſamkeit gegen die Damen ſein Leben
zu laſſen und in Folge deſſen bei dieſen ſehr beliebt war,
wenn ſchon man ihn wie einen kleinen luſtigen Kobold be¬
handelte, dem gegenüber man glaubte ſich alles erlauben zu
dürfen.

Urban ſorgte dafür, daß ſein Lehrling mit den anweſen¬
den, ihm fremden Perſonen ſehr raſch vertraut wurde; und
Franz verſtand es auch, ſich ſo artig zu benehmen, ſo wohl¬
geſetzte Komplimente zu machen, das Vortheilhafte ſeines

Kretzer, Meiſter Timpe. 8
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[113/0125] Alwine, das älteſte Fräulein Kirchberg durfte ſich bereits glückliche Braut nennen. Ihr Verlobter, ein ſehr begabter Architekt, von einnehmender, echt männlicher Erſcheinung, ſtammte aus einer ſehr wohlhabenden Familie, die durch lang¬ jährige Freundſchaft mit Frau Urban verbunden war. Da man es hier mit einer tadelloſen, glänzenden Partie zu thun hatte, in der beide Theile „gleich ſchwer wogen“, ſo erregte das junge Pärchen den geheimen Neid aller derjenigen Mütter, die ſich bisher einer derartigen glücklichen Ausſicht für ihre Töchter nicht erfreuen durften. Und da Fräulein Alwine mehr durch Erziehung und Bildung, als durch Schönheit glänzte, ſo war es von Allen Frau Ramm, welche oft zu der Frau des Rentiers die Meinung äußerte, daß der „Herr Architekt“ auch noch „eine Andere“ bekommen könnte. Es war wohl nur der reine Zufall, wenn nach dieſen Worten ihr Blick zu Thereſen hinüberglitt. Unter den jungen Leuten, die ſonſt noch die Gunſt der Hausfrau zuſammengeführt hatte, dürfte außer dem Geſchäfts¬ führer Herrn Urbans nur noch Herr Knispel erwähnenswerth ſein: ein blutjunger Mann von faſt mädchenhafter Zierlichkeit, deſſen Humor keine Grenzen kannte, der jede Minute bereit ge¬ weſen wäre, aus Aufmerkſamkeit gegen die Damen ſein Leben zu laſſen und in Folge deſſen bei dieſen ſehr beliebt war, wenn ſchon man ihn wie einen kleinen luſtigen Kobold be¬ handelte, dem gegenüber man glaubte ſich alles erlauben zu dürfen. Urban ſorgte dafür, daß ſein Lehrling mit den anweſen¬ den, ihm fremden Perſonen ſehr raſch vertraut wurde; und Franz verſtand es auch, ſich ſo artig zu benehmen, ſo wohl¬ geſetzte Komplimente zu machen, das Vortheilhafte ſeines Kretzer, Meiſter Timpe. 8

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/125>, abgerufen am 25.11.2024.