Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Als Franz noch bemüht war, dem Ehepaar die Unzer¬
trennbarkeit dieses echt französischen Odeurs von der "guten
Gesellschaft" (er betonte diese Worte ausdrücklich) ausein¬
ander zu setzen, schreckten sie leicht zusammen, denn sie ver¬
nahmen wie im Nebenzimmer der Stock des Großvaters auf
die Erde gesetzt wurde und das Geräusch seiner Tritte näher
kam. Gleich darauf trat der Alte ein. Er hatte bereits
längst gemerkt, daß man ihm wieder etwas zu verheimlichen
versuche, und von Groll erfüllt seinen Sorgenstuhl verlassen,
um sich zu überzeugen, was man vorhabe. Bei seinem Her¬
eintreten merkte er an der Lichtfülle, die auf seine Augen¬
lider eindrang, daß etwas Außergewöhnliches vorgehen müsse.
Als er die Thür geschlossen hatte, blieb er stehen, hob den
Kopf, blähte die Nase und sagte:

"Das riecht ja hier wie in einer Apotheke. Diese ewige
Geheimthuerei paßt mir nicht mehr! Ich gehöre mit zur
Familie; was hier im Hause vorgeht, kann ich ebenfalls er¬
fahren. In früheren Zeiten hatte man sich gegenseitig
nichts zu verbergen, sprach offen und ehrlich mit einander,
wenn es auch einmal ein paar Grobheiten gab. Heutzutage
aber scheint die Welt nur noch verlogen zu sein und Jeder¬
mann darauf auszugehen, seinen Nächsten zum Narren zu
haben ... Geht nur mit eurem Söhnlein zum Balle,
präsentirt ihn wie einen Modeaffen: ihr werdet doch die
Drechslermeister Timpe'schen Eheleute bleiben. Es schenkt
euch Niemand einen Dreier."

Man merkte nur zu sehr: er hatte wieder einen Anfall
von Gallsucht bekommen, der ihn über die Fliege an der
Wand sich ärgern ließ. Franz wollte aufbrausen. Seit langer
Zeit bereits hatte er den Entschluß gefaßt, diesem, seiner An¬

Als Franz noch bemüht war, dem Ehepaar die Unzer¬
trennbarkeit dieſes echt franzöſiſchen Odeurs von der „guten
Geſellſchaft“ (er betonte dieſe Worte ausdrücklich) ausein¬
ander zu ſetzen, ſchreckten ſie leicht zuſammen, denn ſie ver¬
nahmen wie im Nebenzimmer der Stock des Großvaters auf
die Erde geſetzt wurde und das Geräuſch ſeiner Tritte näher
kam. Gleich darauf trat der Alte ein. Er hatte bereits
längſt gemerkt, daß man ihm wieder etwas zu verheimlichen
verſuche, und von Groll erfüllt ſeinen Sorgenſtuhl verlaſſen,
um ſich zu überzeugen, was man vorhabe. Bei ſeinem Her¬
eintreten merkte er an der Lichtfülle, die auf ſeine Augen¬
lider eindrang, daß etwas Außergewöhnliches vorgehen müſſe.
Als er die Thür geſchloſſen hatte, blieb er ſtehen, hob den
Kopf, blähte die Naſe und ſagte:

„Das riecht ja hier wie in einer Apotheke. Dieſe ewige
Geheimthuerei paßt mir nicht mehr! Ich gehöre mit zur
Familie; was hier im Hauſe vorgeht, kann ich ebenfalls er¬
fahren. In früheren Zeiten hatte man ſich gegenſeitig
nichts zu verbergen, ſprach offen und ehrlich mit einander,
wenn es auch einmal ein paar Grobheiten gab. Heutzutage
aber ſcheint die Welt nur noch verlogen zu ſein und Jeder¬
mann darauf auszugehen, ſeinen Nächſten zum Narren zu
haben ... Geht nur mit eurem Söhnlein zum Balle,
präſentirt ihn wie einen Modeaffen: ihr werdet doch die
Drechslermeiſter Timpe'ſchen Eheleute bleiben. Es ſchenkt
euch Niemand einen Dreier.“

Man merkte nur zu ſehr: er hatte wieder einen Anfall
von Gallſucht bekommen, der ihn über die Fliege an der
Wand ſich ärgern ließ. Franz wollte aufbrauſen. Seit langer
Zeit bereits hatte er den Entſchluß gefaßt, dieſem, ſeiner An¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0115" n="103"/>
        <p>Als Franz noch bemüht war, dem Ehepaar die Unzer¬<lb/>
trennbarkeit die&#x017F;es echt franzö&#x017F;i&#x017F;chen Odeurs von der &#x201E;guten<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft&#x201C; (er betonte die&#x017F;e Worte ausdrücklich) ausein¬<lb/>
ander zu &#x017F;etzen, &#x017F;chreckten &#x017F;ie leicht zu&#x017F;ammen, denn &#x017F;ie ver¬<lb/>
nahmen wie im Nebenzimmer der Stock des Großvaters auf<lb/>
die Erde ge&#x017F;etzt wurde und das Geräu&#x017F;ch &#x017F;einer Tritte näher<lb/>
kam. Gleich darauf trat der Alte ein. Er hatte bereits<lb/>
läng&#x017F;t gemerkt, daß man ihm wieder etwas zu verheimlichen<lb/>
ver&#x017F;uche, und von Groll erfüllt &#x017F;einen Sorgen&#x017F;tuhl verla&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
um &#x017F;ich zu überzeugen, was man vorhabe. Bei &#x017F;einem Her¬<lb/>
eintreten merkte er an der Lichtfülle, die auf &#x017F;eine Augen¬<lb/>
lider eindrang, daß etwas Außergewöhnliches vorgehen mü&#x017F;&#x017F;e.<lb/>
Als er die Thür ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en hatte, blieb er &#x017F;tehen, hob den<lb/>
Kopf, blähte die Na&#x017F;e und &#x017F;agte:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das riecht ja hier wie in einer Apotheke. Die&#x017F;e ewige<lb/>
Geheimthuerei paßt mir nicht mehr! Ich gehöre mit zur<lb/>
Familie; was hier im Hau&#x017F;e vorgeht, kann ich ebenfalls er¬<lb/>
fahren. In früheren Zeiten hatte man &#x017F;ich gegen&#x017F;eitig<lb/>
nichts zu verbergen, &#x017F;prach offen und ehrlich mit einander,<lb/>
wenn es auch einmal ein paar Grobheiten gab. Heutzutage<lb/>
aber &#x017F;cheint die Welt nur noch verlogen zu &#x017F;ein und Jeder¬<lb/>
mann darauf auszugehen, &#x017F;einen Näch&#x017F;ten zum Narren zu<lb/>
haben ... Geht nur mit eurem Söhnlein zum Balle,<lb/>
prä&#x017F;entirt ihn wie einen Modeaffen: ihr werdet doch die<lb/>
Drechslermei&#x017F;ter Timpe'&#x017F;chen Eheleute bleiben. Es &#x017F;chenkt<lb/>
euch Niemand einen Dreier.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Man merkte nur zu &#x017F;ehr: er hatte wieder einen Anfall<lb/>
von Gall&#x017F;ucht bekommen, der ihn über die Fliege an der<lb/>
Wand &#x017F;ich ärgern ließ. Franz wollte aufbrau&#x017F;en. Seit langer<lb/>
Zeit bereits hatte er den Ent&#x017F;chluß gefaßt, die&#x017F;em, &#x017F;einer An¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0115] Als Franz noch bemüht war, dem Ehepaar die Unzer¬ trennbarkeit dieſes echt franzöſiſchen Odeurs von der „guten Geſellſchaft“ (er betonte dieſe Worte ausdrücklich) ausein¬ ander zu ſetzen, ſchreckten ſie leicht zuſammen, denn ſie ver¬ nahmen wie im Nebenzimmer der Stock des Großvaters auf die Erde geſetzt wurde und das Geräuſch ſeiner Tritte näher kam. Gleich darauf trat der Alte ein. Er hatte bereits längſt gemerkt, daß man ihm wieder etwas zu verheimlichen verſuche, und von Groll erfüllt ſeinen Sorgenſtuhl verlaſſen, um ſich zu überzeugen, was man vorhabe. Bei ſeinem Her¬ eintreten merkte er an der Lichtfülle, die auf ſeine Augen¬ lider eindrang, daß etwas Außergewöhnliches vorgehen müſſe. Als er die Thür geſchloſſen hatte, blieb er ſtehen, hob den Kopf, blähte die Naſe und ſagte: „Das riecht ja hier wie in einer Apotheke. Dieſe ewige Geheimthuerei paßt mir nicht mehr! Ich gehöre mit zur Familie; was hier im Hauſe vorgeht, kann ich ebenfalls er¬ fahren. In früheren Zeiten hatte man ſich gegenſeitig nichts zu verbergen, ſprach offen und ehrlich mit einander, wenn es auch einmal ein paar Grobheiten gab. Heutzutage aber ſcheint die Welt nur noch verlogen zu ſein und Jeder¬ mann darauf auszugehen, ſeinen Nächſten zum Narren zu haben ... Geht nur mit eurem Söhnlein zum Balle, präſentirt ihn wie einen Modeaffen: ihr werdet doch die Drechslermeiſter Timpe'ſchen Eheleute bleiben. Es ſchenkt euch Niemand einen Dreier.“ Man merkte nur zu ſehr: er hatte wieder einen Anfall von Gallſucht bekommen, der ihn über die Fliege an der Wand ſich ärgern ließ. Franz wollte aufbrauſen. Seit langer Zeit bereits hatte er den Entſchluß gefaßt, dieſem, ſeiner An¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/115
Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/115>, abgerufen am 24.11.2024.