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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Ecken herum. Man sah von dem ganzen Menschen eigentlich
weiter nichts, als die ewig geröthete Nasenspitze, welche der weit
heruntergerutschten Brille als letzter Halt diente. Selbst die
Hände waren tief in den Aermeln des Pelzes vergraben. Er
befreite sie nur dann von ihrer Hülle, wenn er zu seinem
seidenen Taschentuch greifen mußte, oder den Versuch machte,
mit dem Knöchel des Zeigefingers die Güte der Steine zu
probiren.

So lief er denn behende wie ein riesiges Wiesel zehn
Mal um das ausgedehnte Gebäude herum, reckte den Hals,
als müsse er die Höhe ermessen, und verschmähte es nicht,
hin und wieder die Leitern im Innern des Gebäudes zu be¬
steigen, um plötzlich seine würdige Gestalt im Rahmen eines
Fensters im ersten Stockwerk darzubieten. Dann schielte er
zum kleinen Häuschen Timpe's hinüber und schüttelte still
vor sich hin mit dem Kopf, als könne er irgend etwas nicht
begreifen. An einem dieser Inspektionstage erblickte er den
Meister im Gärtchen. Sofort stieg er die Leiter hinunter und
erschien in der Oeffnung der Mauer. Da es immer noch unent¬
schieden war, ob die letztere ganz niedergelegt werden solle, so
hatte man das große Loch mit einigen starken Bohlen versperrt.

Die eine derselben wurde nun bei Seite geschoben und
in dem engen Spalt zeigte sich Herrn Urban's von der Kälte
blau angelaufenes Gesicht.

"Nun, Meister Timpe, haben Sie sich immer noch nicht
besonnen? Sie wissen doch, was ich meine --" rief er nach
einem kurzen Gruß Johannes zu. Dieser rückte an seiner
Mütze und erwiderte: "Es wird nichts daraus, Herr Urban.
Wenn die Stadtbahn das Grundstück kaufen sollte, kann ich
den Profit auch allein in meine Tasche stecken."

Ecken herum. Man ſah von dem ganzen Menſchen eigentlich
weiter nichts, als die ewig geröthete Naſenſpitze, welche der weit
heruntergerutſchten Brille als letzter Halt diente. Selbſt die
Hände waren tief in den Aermeln des Pelzes vergraben. Er
befreite ſie nur dann von ihrer Hülle, wenn er zu ſeinem
ſeidenen Taſchentuch greifen mußte, oder den Verſuch machte,
mit dem Knöchel des Zeigefingers die Güte der Steine zu
probiren.

So lief er denn behende wie ein rieſiges Wieſel zehn
Mal um das ausgedehnte Gebäude herum, reckte den Hals,
als müſſe er die Höhe ermeſſen, und verſchmähte es nicht,
hin und wieder die Leitern im Innern des Gebäudes zu be¬
ſteigen, um plötzlich ſeine würdige Geſtalt im Rahmen eines
Fenſters im erſten Stockwerk darzubieten. Dann ſchielte er
zum kleinen Häuschen Timpe's hinüber und ſchüttelte ſtill
vor ſich hin mit dem Kopf, als könne er irgend etwas nicht
begreifen. An einem dieſer Inſpektionstage erblickte er den
Meiſter im Gärtchen. Sofort ſtieg er die Leiter hinunter und
erſchien in der Oeffnung der Mauer. Da es immer noch unent¬
ſchieden war, ob die letztere ganz niedergelegt werden ſolle, ſo
hatte man das große Loch mit einigen ſtarken Bohlen verſperrt.

Die eine derſelben wurde nun bei Seite geſchoben und
in dem engen Spalt zeigte ſich Herrn Urban's von der Kälte
blau angelaufenes Geſicht.

„Nun, Meiſter Timpe, haben Sie ſich immer noch nicht
beſonnen? Sie wiſſen doch, was ich meine —“ rief er nach
einem kurzen Gruß Johannes zu. Dieſer rückte an ſeiner
Mütze und erwiderte: „Es wird nichts daraus, Herr Urban.
Wenn die Stadtbahn das Grundſtück kaufen ſollte, kann ich
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[96/0108] Ecken herum. Man ſah von dem ganzen Menſchen eigentlich weiter nichts, als die ewig geröthete Naſenſpitze, welche der weit heruntergerutſchten Brille als letzter Halt diente. Selbſt die Hände waren tief in den Aermeln des Pelzes vergraben. Er befreite ſie nur dann von ihrer Hülle, wenn er zu ſeinem ſeidenen Taſchentuch greifen mußte, oder den Verſuch machte, mit dem Knöchel des Zeigefingers die Güte der Steine zu probiren. So lief er denn behende wie ein rieſiges Wieſel zehn Mal um das ausgedehnte Gebäude herum, reckte den Hals, als müſſe er die Höhe ermeſſen, und verſchmähte es nicht, hin und wieder die Leitern im Innern des Gebäudes zu be¬ ſteigen, um plötzlich ſeine würdige Geſtalt im Rahmen eines Fenſters im erſten Stockwerk darzubieten. Dann ſchielte er zum kleinen Häuschen Timpe's hinüber und ſchüttelte ſtill vor ſich hin mit dem Kopf, als könne er irgend etwas nicht begreifen. An einem dieſer Inſpektionstage erblickte er den Meiſter im Gärtchen. Sofort ſtieg er die Leiter hinunter und erſchien in der Oeffnung der Mauer. Da es immer noch unent¬ ſchieden war, ob die letztere ganz niedergelegt werden ſolle, ſo hatte man das große Loch mit einigen ſtarken Bohlen verſperrt. Die eine derſelben wurde nun bei Seite geſchoben und in dem engen Spalt zeigte ſich Herrn Urban's von der Kälte blau angelaufenes Geſicht. „Nun, Meiſter Timpe, haben Sie ſich immer noch nicht beſonnen? Sie wiſſen doch, was ich meine —“ rief er nach einem kurzen Gruß Johannes zu. Dieſer rückte an ſeiner Mütze und erwiderte: „Es wird nichts daraus, Herr Urban. Wenn die Stadtbahn das Grundſtück kaufen ſollte, kann ich den Profit auch allein in meine Taſche ſtecken.“

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/108>, abgerufen am 22.11.2024.