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Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884).

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Jn Berlin war's. Der süddeutsche Vetter besuchte die nord-
deutsche Cousine. Nach mancher Frage und Antwort über die
großen und kleinen Familienglieder kam der Verlauf des täg-
lichen Lebens zur Erörterung. "Und was treibt ihr Abends?"
fragte der Vetter. -- "Abends wird gelesen." -- "Ebers?" --
"Natürlich!" -- "Ebers ist ja wohl jetzt Mode?" -- "Ja, wenn
du so willst." -- "Nein, ich will das nicht. Jch habe noch keine
Zeile von diesem Modeschriftsteller gelesen. Jch kann mir gefallen
lassen, daß mir die Mode jahraus jahrein die Form meines Hutes,
den Schnitt meines Ueberziehers vorschreibt. -- Jch, der Einzelne,
kann mir das nicht verschaffen, was mein Stand verloren hat,
eine Tracht, noch weniger kann ich mir eine Kleidermode, welche
mir gerade gefällt, stereotypiren. Aber in der Welt der Literatur
lasse ich mir schlechterdings von keiner Mode Vorschriften machen,
da bleibe ich souveräner Herr und -- -- lasse Ebers liegen.
Meine Lektüre bestimme ich als unumschränkter Herrscher." Fast
verschüchtert wagte die zehn Jahre ältere Cousine zu sagen:
"Wenn man mit der Gesellschaft verkehrt, muß man doch auch
die Lieblingsbücher der jeweiligen Gegenwart lesen." "Das würde
bei mir nur möglich sein, wenn ich nicht aus Connivenz, sondern
trotz Renitenz gegen literarische Mode mich mit einem Mode-
schriftsteller bekannt machte. Andere, welchen innerlich alle Mode-
schriftstellerei ebenfalls widerstrebt, mögen aus kulturgeschichtlichem
Jnteresse sich mit derartiger Literatur bekannt machen." --

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Jn Berlin war’s. Der ſüddeutſche Vetter beſuchte die nord-
deutſche Couſine. Nach mancher Frage und Antwort über die
großen und kleinen Familienglieder kam der Verlauf des täg-
lichen Lebens zur Erörterung. „Und was treibt ihr Abends?‟
fragte der Vetter. — „Abends wird geleſen.‟ — „Ebers?‟ —
„Natürlich!‟ — „Ebers iſt ja wohl jetzt Mode?‟ — „Ja, wenn
du ſo willſt.‟ — „Nein, ich will das nicht. Jch habe noch keine
Zeile von dieſem Modeſchriftſteller geleſen. Jch kann mir gefallen
laſſen, daß mir die Mode jahraus jahrein die Form meines Hutes,
den Schnitt meines Ueberziehers vorſchreibt. — Jch, der Einzelne,
kann mir das nicht verſchaffen, was mein Stand verloren hat,
eine Tracht, noch weniger kann ich mir eine Kleidermode, welche
mir gerade gefällt, ſtereotypiren. Aber in der Welt der Literatur
laſſe ich mir ſchlechterdings von keiner Mode Vorſchriften machen,
da bleibe ich ſouveräner Herr und — — laſſe Ebers liegen.
Meine Lektüre beſtimme ich als unumſchränkter Herrſcher.‟ Faſt
verſchüchtert wagte die zehn Jahre ältere Couſine zu ſagen:
„Wenn man mit der Geſellſchaft verkehrt, muß man doch auch
die Lieblingsbücher der jeweiligen Gegenwart leſen.‟ „Das würde
bei mir nur möglich ſein, wenn ich nicht aus Connivenz, ſondern
trotz Renitenz gegen literariſche Mode mich mit einem Mode-
ſchriftſteller bekannt machte. Andere, welchen innerlich alle Mode-
ſchriftſtellerei ebenfalls widerſtrebt, mögen aus kulturgeſchichtlichem
Jntereſſe ſich mit derartiger Literatur bekannt machen.‟ —

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[[3] 195/0003] Jn Berlin war’s. Der ſüddeutſche Vetter beſuchte die nord- deutſche Couſine. Nach mancher Frage und Antwort über die großen und kleinen Familienglieder kam der Verlauf des täg- lichen Lebens zur Erörterung. „Und was treibt ihr Abends?‟ fragte der Vetter. — „Abends wird geleſen.‟ — „Ebers?‟ — „Natürlich!‟ — „Ebers iſt ja wohl jetzt Mode?‟ — „Ja, wenn du ſo willſt.‟ — „Nein, ich will das nicht. Jch habe noch keine Zeile von dieſem Modeſchriftſteller geleſen. Jch kann mir gefallen laſſen, daß mir die Mode jahraus jahrein die Form meines Hutes, den Schnitt meines Ueberziehers vorſchreibt. — Jch, der Einzelne, kann mir das nicht verſchaffen, was mein Stand verloren hat, eine Tracht, noch weniger kann ich mir eine Kleidermode, welche mir gerade gefällt, ſtereotypiren. Aber in der Welt der Literatur laſſe ich mir ſchlechterdings von keiner Mode Vorſchriften machen, da bleibe ich ſouveräner Herr und — — laſſe Ebers liegen. Meine Lektüre beſtimme ich als unumſchränkter Herrſcher.‟ Faſt verſchüchtert wagte die zehn Jahre ältere Couſine zu ſagen: „Wenn man mit der Geſellſchaft verkehrt, muß man doch auch die Lieblingsbücher der jeweiligen Gegenwart leſen.‟ „Das würde bei mir nur möglich ſein, wenn ich nicht aus Connivenz, ſondern trotz Renitenz gegen literariſche Mode mich mit einem Mode- ſchriftſteller bekannt machte. Andere, welchen innerlich alle Mode- ſchriftſtellerei ebenfalls widerſtrebt, mögen aus kulturgeſchichtlichem Jntereſſe ſich mit derartiger Literatur bekannt machen.‟ — 1 *

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Zitationshilfe: Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884), S. [3] 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraus_professorenroman_1884/3>, abgerufen am 21.11.2024.