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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

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nuancen, für Personen ist gänzlich unabhängig von demjenigen für
Namen oder Zahlen. Im ersteren Falle spielen offenbar die sinnlichen
Erinnerungsbilder, im zweiten die Sprachvorstellungen die Haupt-
rolle, deren wichtigster Bestandtheil wol meistens Bewegungsvorstel-
lungen sind. Die Fähigkeit, Grössenverhältnisse abzuschätzen, sich
räumlich zu orientiren, das Zeitbewusstsein hängen wahrscheinlich
ebenfalls in erster Linie mit motorischen Erinnerungsbildern zu-
sammen; sie stehen daher in gar keiner Beziehung zur Entwicklung
der optischen Phantasie und anderer ähnlicher Richtungen der Re-
production.

Sehr deutlich treten die Unterschiede zwischen sensorischer und
motorischer Veranlagung bei den verschiedenen Arten der musika-
lischen Begabung hervor. Hier begegnet uns auf der einen Seite das
absolute Tongedächtniss, die Fähigkeit, jeden Ton in seiner absoluten
Höhe sofort zu erkennen und zu benennen; auf der andern Seite steht
die Fertigkeit, Intervalle und Tonfolgen, sei es auf Grund von Noten-
zeichen, sei es aus der Erinnerung zu reproduciren. Im ersteren Falle
handelt es sich um eine sensorische Begabung. Das Individuum ver-
fügt über die sinnlichen Erinnerungsbilder aller einzelnen Töne, ver-
mag bei jedem Akkord die verschiedenen Componenten ohne Weiteres
zu bezeichnen und jede beliebige Melodie sofort in den conventionellen
Zeichen aufzuschreiben, sie dabei in eine andere Tonart zu übertragen
u. s. f. Im letzteren Falle vollzieht sich die Reproduction wesent-
lich mit Hülfe von Bewegungsvorstellungen, welche sich durch mecha-
nische Einübung aneinanderknüpfen. Hier haftet die Erinnerung erst
dann fester, wenn die Person eine Melodie selbst ein oder mehrere
Male gesungen oder gespielt hat, während sie dort von der eigenen
Muskelaction durchaus unabhängig ist. Hier schieben sich durch den
Einfluss früher fixirter Bewegungscoordinationen in die Wiedergabe
überaus häufig unbemerkte kleine Abweichungen ein; beim senso-
rischen Musikgedächtniss dagegen pflegt sich die Tonfolge mit Hülfe
der Notenbezeichnungen in viel grösserer Treue einzuprägen. Diese
letztere Fähigkeit ist im Ganzen erheblich seltener, als jene erstere.
Ich werde nie den verblüffenden Eindruck vergessen, den es auf mich
machte, als ich bei einem befreundeten Collegen zum ersten Male ent-
deckte, dass das Erkennen absoluter Tonhöhen nicht einfach ein
schwieriges Kunststück sei, sondern dass es Menschen gebe, deren
musikalisches Gedächtniss sich vollständig auf dieser Grundlage auf-
baut. Es würde uns natürlich hier viel zu weit führen, wenn wir die

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vermögen“ zu betrachten geneigt war. Das Gedächtniss für Farben-
nuancen, für Personen ist gänzlich unabhängig von demjenigen für
Namen oder Zahlen. Im ersteren Falle spielen offenbar die sinnlichen
Erinnerungsbilder, im zweiten die Sprachvorstellungen die Haupt-
rolle, deren wichtigster Bestandtheil wol meistens Bewegungsvorstel-
lungen sind. Die Fähigkeit, Grössenverhältnisse abzuschätzen, sich
räumlich zu orientiren, das Zeitbewusstsein hängen wahrscheinlich
ebenfalls in erster Linie mit motorischen Erinnerungsbildern zu-
sammen; sie stehen daher in gar keiner Beziehung zur Entwicklung
der optischen Phantasie und anderer ähnlicher Richtungen der Re-
production.

Sehr deutlich treten die Unterschiede zwischen sensorischer und
motorischer Veranlagung bei den verschiedenen Arten der musika-
lischen Begabung hervor. Hier begegnet uns auf der einen Seite das
absolute Tongedächtniss, die Fähigkeit, jeden Ton in seiner absoluten
Höhe sofort zu erkennen und zu benennen; auf der andern Seite steht
die Fertigkeit, Intervalle und Tonfolgen, sei es auf Grund von Noten-
zeichen, sei es aus der Erinnerung zu reproduciren. Im ersteren Falle
handelt es sich um eine sensorische Begabung. Das Individuum ver-
fügt über die sinnlichen Erinnerungsbilder aller einzelnen Töne, ver-
mag bei jedem Akkord die verschiedenen Componenten ohne Weiteres
zu bezeichnen und jede beliebige Melodie sofort in den conventionellen
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u. s. f. Im letzteren Falle vollzieht sich die Reproduction wesent-
lich mit Hülfe von Bewegungsvorstellungen, welche sich durch mecha-
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Muskelaction durchaus unabhängig ist. Hier schieben sich durch den
Einfluss früher fixirter Bewegungscoordinationen in die Wiedergabe
überaus häufig unbemerkte kleine Abweichungen ein; beim senso-
rischen Musikgedächtniss dagegen pflegt sich die Tonfolge mit Hülfe
der Notenbezeichnungen in viel grösserer Treue einzuprägen. Diese
letztere Fähigkeit ist im Ganzen erheblich seltener, als jene erstere.
Ich werde nie den verblüffenden Eindruck vergessen, den es auf mich
machte, als ich bei einem befreundeten Collegen zum ersten Male ent-
deckte, dass das Erkennen absoluter Tonhöhen nicht einfach ein
schwieriges Kunststück sei, sondern dass es Menschen gebe, deren
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baut. Es würde uns natürlich hier viel zu weit führen, wenn wir die

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[241/0257] vermögen“ zu betrachten geneigt war. Das Gedächtniss für Farben- nuancen, für Personen ist gänzlich unabhängig von demjenigen für Namen oder Zahlen. Im ersteren Falle spielen offenbar die sinnlichen Erinnerungsbilder, im zweiten die Sprachvorstellungen die Haupt- rolle, deren wichtigster Bestandtheil wol meistens Bewegungsvorstel- lungen sind. Die Fähigkeit, Grössenverhältnisse abzuschätzen, sich räumlich zu orientiren, das Zeitbewusstsein hängen wahrscheinlich ebenfalls in erster Linie mit motorischen Erinnerungsbildern zu- sammen; sie stehen daher in gar keiner Beziehung zur Entwicklung der optischen Phantasie und anderer ähnlicher Richtungen der Re- production. Sehr deutlich treten die Unterschiede zwischen sensorischer und motorischer Veranlagung bei den verschiedenen Arten der musika- lischen Begabung hervor. Hier begegnet uns auf der einen Seite das absolute Tongedächtniss, die Fähigkeit, jeden Ton in seiner absoluten Höhe sofort zu erkennen und zu benennen; auf der andern Seite steht die Fertigkeit, Intervalle und Tonfolgen, sei es auf Grund von Noten- zeichen, sei es aus der Erinnerung zu reproduciren. Im ersteren Falle handelt es sich um eine sensorische Begabung. Das Individuum ver- fügt über die sinnlichen Erinnerungsbilder aller einzelnen Töne, ver- mag bei jedem Akkord die verschiedenen Componenten ohne Weiteres zu bezeichnen und jede beliebige Melodie sofort in den conventionellen Zeichen aufzuschreiben, sie dabei in eine andere Tonart zu übertragen u. s. f. Im letzteren Falle vollzieht sich die Reproduction wesent- lich mit Hülfe von Bewegungsvorstellungen, welche sich durch mecha- nische Einübung aneinanderknüpfen. Hier haftet die Erinnerung erst dann fester, wenn die Person eine Melodie selbst ein oder mehrere Male gesungen oder gespielt hat, während sie dort von der eigenen Muskelaction durchaus unabhängig ist. Hier schieben sich durch den Einfluss früher fixirter Bewegungscoordinationen in die Wiedergabe überaus häufig unbemerkte kleine Abweichungen ein; beim senso- rischen Musikgedächtniss dagegen pflegt sich die Tonfolge mit Hülfe der Notenbezeichnungen in viel grösserer Treue einzuprägen. Diese letztere Fähigkeit ist im Ganzen erheblich seltener, als jene erstere. Ich werde nie den verblüffenden Eindruck vergessen, den es auf mich machte, als ich bei einem befreundeten Collegen zum ersten Male ent- deckte, dass das Erkennen absoluter Tonhöhen nicht einfach ein schwieriges Kunststück sei, sondern dass es Menschen gebe, deren musikalisches Gedächtniss sich vollständig auf dieser Grundlage auf- baut. Es würde uns natürlich hier viel zu weit führen, wenn wir die Kraepelin, Beeinflussung. 16

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Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/257>, abgerufen am 24.11.2024.