vorzeitigen Reaction, wie die Ausgiebigkeit der secundären Verkürzung bei den Wahlversuchen, sowie das gleichzeitige Gefühl rascherer Re- action erklären. Andererseits kann die anfängliche Verlängerung der psychischen Zeiten, gerade weil sie mit einer Neigung zu vorzeitigen Reactionen einhergeht, wol nur auf den Wahrnehmungsact zurück- geführt werden, dessen Erschwerung sich auch subjectiv sehr deutlich geltend macht. Unter dieser Voraussetzung würde es leicht erklär- lich sein, dass die gemessenen Zeiten, da sie das Resultat zweier ent- gegengesetzter Beeinflussungen widerspiegeln, zwei verschiedene Stadien der psychischen Wirkung des Amylnitrits erkennen lassen. Zunächst überwiegt anscheinend die Verlangsamung der Auffassung über die Erleichterung der Bewegungsauslösung. Nehmen wir nun an, dass die Stärke der ersteren Wirkung etwas rascher abnimmt, als diejenige der letzteren, so muss ein Zeitpunkt kommen, an welchem die Be- schleunigung auf motorischem Gebiete über die Verlangsamung auf sensorischem überwiegt, bis schliesslich mit dem Nachlasse auch jener ersteren das normale Gleichgewicht sich wiederherstellt.
In ganz ähnlicher Weise könnte man sich auch ein Bild der Aether- und Chloroformwirkung zusammensetzen. Dabei ist jedoch zu bemerken, dass die Erleichterung der Bewegungsauslösung bei diesen beiden Mitteln stufenweise abnimmt. Beim Aether spricht ausser der secundären Beschleunigung wenigstens noch das Auftreten vorzeitiger Reactionen für das Vorhandensein jener Wirkung, beim Chloroform nur jene erstere Erfahrung. Zudem sehen wir, dass diese Erscheinung hier überhaupt nur noch bei leichter Narkose zur Ent- wicklung gelangt, bei intensiverer Vergiftung dagegen gänzlich ausbleibt. Dieses Verhalten könnte entweder auf die grössere Stärke und Nach- haltigkeit der sensorischen Abstumpfung, oder aber auf den Eintritt einer motorischen Lähmung zurückgeführt werden. Die letztere Auf- fassung ist mir im Hinblicke auf die bekannten Wirkungen beider Narkotica am wahrscheinlichsten.
Unter Berücksichtigung aller einzelnen Umstände würden wir somit zu dem Schlusse kommen, dass die Wirkung der drei genannten Inhalationsmittel eine doppelte ist; sie erschweren die Auffassung und erleichtern die Auslösung von Bewegungen. Die sensorischen Func- tionen würden von ihnen schon gelähmt, wo wir auf motorischem Ge- biete noch Reizerscheinungen vor uns hätten. Erst mit wachsender Intensität der Vergiftung könnten dann auch die motorischen Vorgänge in den Bereich der Lähmung einbezogen werden, am raschesten beim Chloroform, langsamer beim Aether und vielleicht gar nicht beim
vorzeitigen Reaction, wie die Ausgiebigkeit der secundären Verkürzung bei den Wahlversuchen, sowie das gleichzeitige Gefühl rascherer Re- action erklären. Andererseits kann die anfängliche Verlängerung der psychischen Zeiten, gerade weil sie mit einer Neigung zu vorzeitigen Reactionen einhergeht, wol nur auf den Wahrnehmungsact zurück- geführt werden, dessen Erschwerung sich auch subjectiv sehr deutlich geltend macht. Unter dieser Voraussetzung würde es leicht erklär- lich sein, dass die gemessenen Zeiten, da sie das Resultat zweier ent- gegengesetzter Beeinflussungen widerspiegeln, zwei verschiedene Stadien der psychischen Wirkung des Amylnitrits erkennen lassen. Zunächst überwiegt anscheinend die Verlangsamung der Auffassung über die Erleichterung der Bewegungsauslösung. Nehmen wir nun an, dass die Stärke der ersteren Wirkung etwas rascher abnimmt, als diejenige der letzteren, so muss ein Zeitpunkt kommen, an welchem die Be- schleunigung auf motorischem Gebiete über die Verlangsamung auf sensorischem überwiegt, bis schliesslich mit dem Nachlasse auch jener ersteren das normale Gleichgewicht sich wiederherstellt.
In ganz ähnlicher Weise könnte man sich auch ein Bild der Aether- und Chloroformwirkung zusammensetzen. Dabei ist jedoch zu bemerken, dass die Erleichterung der Bewegungsauslösung bei diesen beiden Mitteln stufenweise abnimmt. Beim Aether spricht ausser der secundären Beschleunigung wenigstens noch das Auftreten vorzeitiger Reactionen für das Vorhandensein jener Wirkung, beim Chloroform nur jene erstere Erfahrung. Zudem sehen wir, dass diese Erscheinung hier überhaupt nur noch bei leichter Narkose zur Ent- wicklung gelangt, bei intensiverer Vergiftung dagegen gänzlich ausbleibt. Dieses Verhalten könnte entweder auf die grössere Stärke und Nach- haltigkeit der sensorischen Abstumpfung, oder aber auf den Eintritt einer motorischen Lähmung zurückgeführt werden. Die letztere Auf- fassung ist mir im Hinblicke auf die bekannten Wirkungen beider Narkotica am wahrscheinlichsten.
Unter Berücksichtigung aller einzelnen Umstände würden wir somit zu dem Schlusse kommen, dass die Wirkung der drei genannten Inhalationsmittel eine doppelte ist; sie erschweren die Auffassung und erleichtern die Auslösung von Bewegungen. Die sensorischen Func- tionen würden von ihnen schon gelähmt, wo wir auf motorischem Ge- biete noch Reizerscheinungen vor uns hätten. Erst mit wachsender Intensität der Vergiftung könnten dann auch die motorischen Vorgänge in den Bereich der Lähmung einbezogen werden, am raschesten beim Chloroform, langsamer beim Aether und vielleicht gar nicht beim
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vorzeitigen Reaction, wie die Ausgiebigkeit der secundären Verkürzung
bei den Wahlversuchen, sowie das gleichzeitige Gefühl rascherer Re-
action erklären. Andererseits kann die anfängliche Verlängerung der
psychischen Zeiten, gerade weil sie mit einer Neigung zu vorzeitigen
Reactionen einhergeht, wol nur auf den Wahrnehmungsact zurück-
geführt werden, dessen Erschwerung sich auch subjectiv sehr deutlich
geltend macht. Unter dieser Voraussetzung würde es leicht erklär-
lich sein, dass die gemessenen Zeiten, da sie das Resultat zweier ent-
gegengesetzter Beeinflussungen widerspiegeln, zwei verschiedene Stadien
der psychischen Wirkung des Amylnitrits erkennen lassen. Zunächst
überwiegt anscheinend die Verlangsamung der Auffassung über die
Erleichterung der Bewegungsauslösung. Nehmen wir nun an, dass
die Stärke der ersteren Wirkung etwas rascher abnimmt, als diejenige
der letzteren, so muss ein Zeitpunkt kommen, an welchem die Be-
schleunigung auf motorischem Gebiete über die Verlangsamung auf
sensorischem überwiegt, bis schliesslich mit dem Nachlasse auch jener
ersteren das normale Gleichgewicht sich wiederherstellt.
In ganz ähnlicher Weise könnte man sich auch ein Bild der
Aether- und Chloroformwirkung zusammensetzen. Dabei ist jedoch
zu bemerken, dass die Erleichterung der Bewegungsauslösung bei
diesen beiden Mitteln stufenweise abnimmt. Beim Aether spricht
ausser der secundären Beschleunigung wenigstens noch das Auftreten
vorzeitiger Reactionen für das Vorhandensein jener Wirkung, beim
Chloroform nur jene erstere Erfahrung. Zudem sehen wir, dass diese
Erscheinung hier überhaupt nur noch bei leichter Narkose zur Ent-
wicklung gelangt, bei intensiverer Vergiftung dagegen gänzlich ausbleibt.
Dieses Verhalten könnte entweder auf die grössere Stärke und Nach-
haltigkeit der sensorischen Abstumpfung, oder aber auf den Eintritt
einer motorischen Lähmung zurückgeführt werden. Die letztere Auf-
fassung ist mir im Hinblicke auf die bekannten Wirkungen beider
Narkotica am wahrscheinlichsten.
Unter Berücksichtigung aller einzelnen Umstände würden wir
somit zu dem Schlusse kommen, dass die Wirkung der drei genannten
Inhalationsmittel eine doppelte ist; sie erschweren die Auffassung und
erleichtern die Auslösung von Bewegungen. Die sensorischen Func-
tionen würden von ihnen schon gelähmt, wo wir auf motorischem Ge-
biete noch Reizerscheinungen vor uns hätten. Erst mit wachsender
Intensität der Vergiftung könnten dann auch die motorischen Vorgänge
in den Bereich der Lähmung einbezogen werden, am raschesten beim
Chloroform, langsamer beim Aether und vielleicht gar nicht beim
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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/231>, abgerufen am 17.02.2025.
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