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Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892.

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Indem ich ausdrücklich bemerke, dass ich die Bedeutung des
Alkohols unter dem Gesichtspunkte des reinen Genussmittels und
ebenso seine Anwendung auf Grund der verschiedensten körperlichen
Indicationen hier absichtlich übergehe und meiner Aufgabe gemäss
nur seine Wirkung auf den Ablauf der psychischen Vorgänge berück-
sichtige, muss ich doch zum Schlusse noch einmal betonen, dass die
rationelle Verwerthung des Alkoholeinflusses ihre sicheren Grenzen
überall in dem baldigen Eintritte der Lähmungserscheinungen findet.
Bei der einmaligen, wurfweisen Anwendung ist demnach die Grösse
der einfachen Gabe je nach der Individualität nicht höher, als auf
etwa 15--20 gr zu bemessen, wenn man die erregenden Wirkungen
ausnutzen will. Soll für längere Zeit eine leichte Anregung erzielt
werden, so müssten in Zwischenpausen von etwa 20 Minuten kleinere
Gaben von ungefähr 5--8 gr gegeben werden. Eine halbe Flasche
Wein mit einem Alkoholgehalt von 10 % würde unter diesen Um-
ständen etwa für 2 1/2 Stunden ausreichen. Allerdings wird auch so,
wie unsere Versuche darthun, allmählich die lähmende Wirkung immer
mehr über die anregende die Oberhand gewinnen.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass die hier gezogenen Grenzen ganz
allgemein erheblich überschritten werden
, und dass sich
thatsächlich der Arbeiter wie der "Gebildete" ungezählte Male durch den
Alkohol in einen Zustand intellectueller Verblödung und moralischer Halt-
losigkeit versetzt, den man ohne Weiteres als pathologisch bezeichnen muss.
Der Grund dafür liegt einmal in der grossen Nachsicht, mit welcher die
öffentliche Meinung dieses Aufgeben der persönlichen Würde zu beurtheilen
pflegt, zum Theil vielleicht auch in der weit verbreiteten Unkenntniss
über die Gefahren des Alkoholmissbrauches. Eine sehr wichtige Rolle
aber spielt dabei jedenfalls auch der aus unsern Versuchsergebnissen
leicht erklärliche Umstand, dass der Alkohol die Widerstands-
fähigkeit gegenüber der Verführung herabsetzt
. Der
Wunsch, die euphorische Stimmung festzuhalten und zu steigern, findet
sehr bald kein Hinderniss mehr in ruhiger Ueberlegung der Folgen,
sondern führt zu immer weiter fortgesetztem Alkoholgenuss. Natürlich
bestehen auch hier sehr grosse individuelle Unterschiede je nach der ur-
sprünglichen moralischen Veranlagung; haltlose Naturen erliegen der
verführerischen Wirkung des Alkohols weit leichter, als charakterfeste.

Namentlich in den zuletzt berührten Verhältnissen liegt die Be-
rechtigung jener Bestrebungen, welche den Genuss des Alkohols aus
dem normalen Leben überhaupt verbannen wollen. Das agitatorische
Auftreten dieser Richtung hat mit einer gewissen Nothwendigkeit zu

Indem ich ausdrücklich bemerke, dass ich die Bedeutung des
Alkohols unter dem Gesichtspunkte des reinen Genussmittels und
ebenso seine Anwendung auf Grund der verschiedensten körperlichen
Indicationen hier absichtlich übergehe und meiner Aufgabe gemäss
nur seine Wirkung auf den Ablauf der psychischen Vorgänge berück-
sichtige, muss ich doch zum Schlusse noch einmal betonen, dass die
rationelle Verwerthung des Alkoholeinflusses ihre sicheren Grenzen
überall in dem baldigen Eintritte der Lähmungserscheinungen findet.
Bei der einmaligen, wurfweisen Anwendung ist demnach die Grösse
der einfachen Gabe je nach der Individualität nicht höher, als auf
etwa 15—20 gr zu bemessen, wenn man die erregenden Wirkungen
ausnutzen will. Soll für längere Zeit eine leichte Anregung erzielt
werden, so müssten in Zwischenpausen von etwa 20 Minuten kleinere
Gaben von ungefähr 5—8 gr gegeben werden. Eine halbe Flasche
Wein mit einem Alkoholgehalt von 10 % würde unter diesen Um-
ständen etwa für 2 ½ Stunden ausreichen. Allerdings wird auch so,
wie unsere Versuche darthun, allmählich die lähmende Wirkung immer
mehr über die anregende die Oberhand gewinnen.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass die hier gezogenen Grenzen ganz
allgemein erheblich überschritten werden
, und dass sich
thatsächlich der Arbeiter wie der „Gebildete“ ungezählte Male durch den
Alkohol in einen Zustand intellectueller Verblödung und moralischer Halt-
losigkeit versetzt, den man ohne Weiteres als pathologisch bezeichnen muss.
Der Grund dafür liegt einmal in der grossen Nachsicht, mit welcher die
öffentliche Meinung dieses Aufgeben der persönlichen Würde zu beurtheilen
pflegt, zum Theil vielleicht auch in der weit verbreiteten Unkenntniss
über die Gefahren des Alkoholmissbrauches. Eine sehr wichtige Rolle
aber spielt dabei jedenfalls auch der aus unsern Versuchsergebnissen
leicht erklärliche Umstand, dass der Alkohol die Widerstands-
fähigkeit gegenüber der Verführung herabsetzt
. Der
Wunsch, die euphorische Stimmung festzuhalten und zu steigern, findet
sehr bald kein Hinderniss mehr in ruhiger Ueberlegung der Folgen,
sondern führt zu immer weiter fortgesetztem Alkoholgenuss. Natürlich
bestehen auch hier sehr grosse individuelle Unterschiede je nach der ur-
sprünglichen moralischen Veranlagung; haltlose Naturen erliegen der
verführerischen Wirkung des Alkohols weit leichter, als charakterfeste.

Namentlich in den zuletzt berührten Verhältnissen liegt die Be-
rechtigung jener Bestrebungen, welche den Genuss des Alkohols aus
dem normalen Leben überhaupt verbannen wollen. Das agitatorische
Auftreten dieser Richtung hat mit einer gewissen Nothwendigkeit zu

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[208/0224] Indem ich ausdrücklich bemerke, dass ich die Bedeutung des Alkohols unter dem Gesichtspunkte des reinen Genussmittels und ebenso seine Anwendung auf Grund der verschiedensten körperlichen Indicationen hier absichtlich übergehe und meiner Aufgabe gemäss nur seine Wirkung auf den Ablauf der psychischen Vorgänge berück- sichtige, muss ich doch zum Schlusse noch einmal betonen, dass die rationelle Verwerthung des Alkoholeinflusses ihre sicheren Grenzen überall in dem baldigen Eintritte der Lähmungserscheinungen findet. Bei der einmaligen, wurfweisen Anwendung ist demnach die Grösse der einfachen Gabe je nach der Individualität nicht höher, als auf etwa 15—20 gr zu bemessen, wenn man die erregenden Wirkungen ausnutzen will. Soll für längere Zeit eine leichte Anregung erzielt werden, so müssten in Zwischenpausen von etwa 20 Minuten kleinere Gaben von ungefähr 5—8 gr gegeben werden. Eine halbe Flasche Wein mit einem Alkoholgehalt von 10 % würde unter diesen Um- ständen etwa für 2 ½ Stunden ausreichen. Allerdings wird auch so, wie unsere Versuche darthun, allmählich die lähmende Wirkung immer mehr über die anregende die Oberhand gewinnen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die hier gezogenen Grenzen ganz allgemein erheblich überschritten werden, und dass sich thatsächlich der Arbeiter wie der „Gebildete“ ungezählte Male durch den Alkohol in einen Zustand intellectueller Verblödung und moralischer Halt- losigkeit versetzt, den man ohne Weiteres als pathologisch bezeichnen muss. Der Grund dafür liegt einmal in der grossen Nachsicht, mit welcher die öffentliche Meinung dieses Aufgeben der persönlichen Würde zu beurtheilen pflegt, zum Theil vielleicht auch in der weit verbreiteten Unkenntniss über die Gefahren des Alkoholmissbrauches. Eine sehr wichtige Rolle aber spielt dabei jedenfalls auch der aus unsern Versuchsergebnissen leicht erklärliche Umstand, dass der Alkohol die Widerstands- fähigkeit gegenüber der Verführung herabsetzt. Der Wunsch, die euphorische Stimmung festzuhalten und zu steigern, findet sehr bald kein Hinderniss mehr in ruhiger Ueberlegung der Folgen, sondern führt zu immer weiter fortgesetztem Alkoholgenuss. Natürlich bestehen auch hier sehr grosse individuelle Unterschiede je nach der ur- sprünglichen moralischen Veranlagung; haltlose Naturen erliegen der verführerischen Wirkung des Alkohols weit leichter, als charakterfeste. Namentlich in den zuletzt berührten Verhältnissen liegt die Be- rechtigung jener Bestrebungen, welche den Genuss des Alkohols aus dem normalen Leben überhaupt verbannen wollen. Das agitatorische Auftreten dieser Richtung hat mit einer gewissen Nothwendigkeit zu

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Zitationshilfe: Kraepelin, Emil: Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Jena, 1892, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraepelin_arzneimittel_1892/224>, abgerufen am 27.11.2024.