mit diesem Ausgange, und fängt nunmehr an, seine Rolle im Departement Calvados, und zwar zu Vire, zu spielen. Hier macht er wenig Proselyten, wird bald aufs neue arretirt, und diesesmal mit mehrer Srenge zu zweijähriger Gefangenschaft verurtheilt. Da die Einwohner von Vire ihn bloß als einen jungen Tauge- nichts betrachteten, so würde er diese zwei Jahre sehr übel zugebracht haben, hätten nicht die Getreuen von Chalons ihn fortwährend unterstützt, wobei Madame Saignes die trostreiche Korrespondenz führte. Diese Frau meinte es wirklich gut mit ihm, sie wünschte auch, er mögte die Zeit seiner Gefangenschaft dazu anwenden, sich zu unterrichten; aber er gab sich dem Trunke, und verließ nach zwei Jahren das Gefängniß schlechter als vorher. Madame Saignes holte ihn selbst von Vire ab, um ihn zurück nach Schalons in den Kreis seiner Ge- treuen zu führen. Dort wurde Alles auf das herrlichste zu seinem Empfange vorbereitet; er kommt, wird kom- plementirt, man streut ihm Blumen, man behandelt ihn mit ausgezeichneter Ehrfurcht, das Horn des Ueberflußes wird von neuem über den Schneiderssohn von St. Lo ausgeschüttet.
Die Polizey kam bald auf die Spur, aber die Ge- treuen erhielten Wind davon, man berathschlagte, und fand für gut, den Dauphin auf Reisen zu schicken. Seine Reiseroute richtete man so ein, daß er überall Vertraute fand, die, von seinem hohen Stande unterrichtet, ihm die gebührende Aufmerksamkeit bewiesen. So war er einmal zu Rheims, und zweimal zu Vitri-le-Fran- cais, auch oft auf Landgütern, überall wechselten Bälle, Konzerte, Feste aller Art. Zu Vitry wohnt er prächtig und bequem in dem Hause der Madame de Rambecourt
mit diesem Ausgange, und faͤngt nunmehr an, seine Rolle im Departement Calvados, und zwar zu Vire, zu spielen. Hier macht er wenig Proselyten, wird bald aufs neue arretirt, und diesesmal mit mehrer Srenge zu zweijaͤhriger Gefangenschaft verurtheilt. Da die Einwohner von Vire ihn bloß als einen jungen Tauge- nichts betrachteten, so wuͤrde er diese zwei Jahre sehr uͤbel zugebracht haben, haͤtten nicht die Getreuen von Chalons ihn fortwaͤhrend unterstuͤtzt, wobei Madame Saignes die trostreiche Korrespondenz fuͤhrte. Diese Frau meinte es wirklich gut mit ihm, sie wuͤnschte auch, er moͤgte die Zeit seiner Gefangenschaft dazu anwenden, sich zu unterrichten; aber er gab sich dem Trunke, und verließ nach zwei Jahren das Gefaͤngniß schlechter als vorher. Madame Saignes holte ihn selbst von Vire ab, um ihn zuruͤck nach Schalons in den Kreis seiner Ge- treuen zu fuͤhren. Dort wurde Alles auf das herrlichste zu seinem Empfange vorbereitet; er kommt, wird kom- plementirt, man streut ihm Blumen, man behandelt ihn mit ausgezeichneter Ehrfurcht, das Horn des Ueberflußes wird von neuem uͤber den Schneiderssohn von St. Lo ausgeschuͤttet.
Die Polizey kam bald auf die Spur, aber die Ge- treuen erhielten Wind davon, man berathschlagte, und fand fuͤr gut, den Dauphin auf Reisen zu schicken. Seine Reiseroute richtete man so ein, daß er uͤberall Vertraute fand, die, von seinem hohen Stande unterrichtet, ihm die gebuͤhrende Aufmerksamkeit bewiesen. So war er einmal zu Rheims, und zweimal zu Vitri-le-Fran- çais, auch oft auf Landguͤtern, uͤberall wechselten Baͤlle, Konzerte, Feste aller Art. Zu Vitry wohnt er praͤchtig und bequem in dem Hause der Madame de Rambecourt
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mit diesem Ausgange, und faͤngt nunmehr an, seine
Rolle im Departement Calvados, und zwar zu Vire, zu
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aufs neue arretirt, und diesesmal mit mehrer Srenge zu
zweijaͤhriger Gefangenschaft verurtheilt. Da die
Einwohner von Vire ihn bloß als einen jungen Tauge-
nichts betrachteten, so wuͤrde er diese zwei Jahre sehr
uͤbel zugebracht haben, haͤtten nicht die Getreuen von
Chalons ihn fortwaͤhrend unterstuͤtzt, wobei Madame
Saignes die trostreiche Korrespondenz fuͤhrte. Diese Frau
meinte es wirklich gut mit ihm, sie wuͤnschte auch, er
moͤgte die Zeit seiner Gefangenschaft dazu anwenden, sich
zu unterrichten; aber er gab sich dem Trunke, und
verließ nach zwei Jahren das Gefaͤngniß schlechter als
vorher. Madame Saignes holte ihn selbst von Vire ab,
um ihn zuruͤck nach Schalons in den Kreis seiner Ge-
treuen zu fuͤhren. Dort wurde Alles auf das herrlichste
zu seinem Empfange vorbereitet; er kommt, wird kom-
plementirt, man streut ihm Blumen, man behandelt ihn
mit ausgezeichneter Ehrfurcht, das Horn des Ueberflußes
wird von neuem uͤber den Schneiderssohn von St. Lo
ausgeschuͤttet.
Die Polizey kam bald auf die Spur, aber die Ge-
treuen erhielten Wind davon, man berathschlagte, und
fand fuͤr gut, den Dauphin auf Reisen zu schicken. Seine
Reiseroute richtete man so ein, daß er uͤberall Vertraute
fand, die, von seinem hohen Stande unterrichtet, ihm
die gebuͤhrende Aufmerksamkeit bewiesen. So war er
einmal zu Rheims, und zweimal zu Vitri-le-Fran-
çais, auch oft auf Landguͤtern, uͤberall wechselten Baͤlle,
Konzerte, Feste aller Art. Zu Vitry wohnt er praͤchtig
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/95>, abgerufen am 08.07.2024.
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