Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.ein Nachtlager, weil er ohne Paß reis't. Eine pariser Etwa eine Meile von Chalons verschwindet er, Po- Von jetzt an, im Arresthause zu Chalons, affektirt ein Nachtlager, weil er ohne Paß reis't. Eine pariser Etwa eine Meile von Chalons verschwindet er, Po- Von jetzt an, im Arresthause zu Chalons, affektirt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0093" n="93"/> ein Nachtlager, weil er ohne Paß reis't. Eine pariser<lb/> Kaufmannsfrau, Laravine, die sich gerade zu Meaux<lb/> aufhaͤlt, erbarmt sich seiner, und erlaubt ihm in ihrem<lb/> Waarenlager zu schlafen. Diese Gefaͤlligkeit giebt ihm<lb/> Muth, mehr bei ihr zu wagen, und es gluͤckt. Er sagt<lb/> ihr, er sey der Sohn eines reichen Paͤchters zu Damery,<lb/> jetzt auf der Flucht, um der Aushebung zum Rekruten<lb/> zu entgehen. Madame Laravine schenkt ihm noch 4 Louis,<lb/> und er miethet sich einen Platz auf der Diligenze nach<lb/> Straßburg.</p><lb/> <p>Etwa eine Meile von Chalons verschwindet er, Po-<lb/> stillion und Kondukteur erwarten ihn lange vergebens.<lb/> Er geht nach dem Dorfe Mery, und will sein Maͤhrchen<lb/> auf dem Schlosse Guignaucourt auskramen; allein, hier<lb/> traut man ihm nicht, er wird arretirt und zum Friedens-<lb/> richter nach Cernon gebraucht. Auf die Frage: Wer er<lb/> sey? versetzt er geheimnißvoll, er habe darauf Nichts zu<lb/> antworten. Man liefert ihn aus nach Chalons. Hier<lb/> wird er abermals um seinen Namen gefragt, und antwor-<lb/> tet stolz: „Man wird ihn nur zu fruͤh erfahren.“ —<lb/> Endlich sagt er, er heiße Louis-Antoine-Jean-François<lb/> de Longueville, sein Vater sey todt, seine Mutter Ma-<lb/> dame Sainte-Emilie, wohnhaft zu Beuzeville bei Pont-<lb/> Audemer im Departement de l Eure. Man muß geste-<lb/> hen, daß man nicht umstaͤndlicher luͤgen kann.</p><lb/> <p>Von jetzt an, im Arresthause zu Chalons, affektirt<lb/> Hervagault einen vornehmen Ton und ein geheimnißvol-<lb/> les Wesen, reizt die Neubegier, giebt Winke, und kurz,<lb/> es waͤhrt nicht lange, so murmelt man sich ins Ohr:<lb/> Es ist der Dauphin! der Sohn Ludwigs des Sechszehn-<lb/> ten! — Der Kerkermeister selbst glaubt das Maͤhrchen,<lb/> und thut ihm Vorschub. Zwei Kaufmannsfrauen aus<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [93/0093]
ein Nachtlager, weil er ohne Paß reis't. Eine pariser
Kaufmannsfrau, Laravine, die sich gerade zu Meaux
aufhaͤlt, erbarmt sich seiner, und erlaubt ihm in ihrem
Waarenlager zu schlafen. Diese Gefaͤlligkeit giebt ihm
Muth, mehr bei ihr zu wagen, und es gluͤckt. Er sagt
ihr, er sey der Sohn eines reichen Paͤchters zu Damery,
jetzt auf der Flucht, um der Aushebung zum Rekruten
zu entgehen. Madame Laravine schenkt ihm noch 4 Louis,
und er miethet sich einen Platz auf der Diligenze nach
Straßburg.
Etwa eine Meile von Chalons verschwindet er, Po-
stillion und Kondukteur erwarten ihn lange vergebens.
Er geht nach dem Dorfe Mery, und will sein Maͤhrchen
auf dem Schlosse Guignaucourt auskramen; allein, hier
traut man ihm nicht, er wird arretirt und zum Friedens-
richter nach Cernon gebraucht. Auf die Frage: Wer er
sey? versetzt er geheimnißvoll, er habe darauf Nichts zu
antworten. Man liefert ihn aus nach Chalons. Hier
wird er abermals um seinen Namen gefragt, und antwor-
tet stolz: „Man wird ihn nur zu fruͤh erfahren.“ —
Endlich sagt er, er heiße Louis-Antoine-Jean-François
de Longueville, sein Vater sey todt, seine Mutter Ma-
dame Sainte-Emilie, wohnhaft zu Beuzeville bei Pont-
Audemer im Departement de l Eure. Man muß geste-
hen, daß man nicht umstaͤndlicher luͤgen kann.
Von jetzt an, im Arresthause zu Chalons, affektirt
Hervagault einen vornehmen Ton und ein geheimnißvol-
les Wesen, reizt die Neubegier, giebt Winke, und kurz,
es waͤhrt nicht lange, so murmelt man sich ins Ohr:
Es ist der Dauphin! der Sohn Ludwigs des Sechszehn-
ten! — Der Kerkermeister selbst glaubt das Maͤhrchen,
und thut ihm Vorschub. Zwei Kaufmannsfrauen aus
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