lichen Hause, schweifte auf dem Lande herum und gab sich für den Sohn einer angesehenen, durch die Revolu- tion heruntergekommenen Familie aus. Jugend, Unschuld und Wahrscheinlichkeit seiner Erzählungen verschafften ihm überall günstige Aufnahme und Unterstützung. Er hatte keinen Paß, aber Niemand fragte ihn darnach. Er wurde dreister, wagte es, nun auch in Städten sein Handwerk zu treiben, kam nach Cherburg. Hier wurde er bald als Vagabund arretirt. Sein Vater, der Schnei- der, erfuhr es, eilte herbei, ihn in Empfang zu nehmen, und wunderte sich nicht wenig, ihn mit Geld und Kleinodien reichlich versehen zu finden. Er nahm ihn wieder zurück nach St. Lo, wo aber der junge lebhafte Mensch nicht lange aushielt, sondern bald zum zweitenmale davon lief, im Departement du Calvados herum irrete, und, an Leib und Geist gewachsen, sein Mährchen noch besser er- sann, als das erstemal. Bald gab er sich für einen Sohn des Prinzen Monaco, bald des Herzogs von Ursel in den Niederlanden, aus. So stieg er von Stufe zu Stufe; es währte nicht lange, so war er schon ver- wandt mit Ludwig XVJ., mit Kaiser Joseph JJ. und mit dem Könige von Preußen; um seiner bedrohten Sicher- heit willen reis'te er in Frauenzimmerkleidern, und gab vor, er komme eben aus England zurück, wohin er sei- nem emigrirten Vater Geld gebracht.
Viele, sehr viele Leute von Rang und Erziehung wurden getäuscht, denn er schmeichelte ihren alten Vor- urtheilen, besonders nahmen sich die Damen seiner an, denn der schöne Jüngling sprach zu ihren Herzen. Seine Ebenteuer fiengen an einiges Aufsehen zu erregen; da wurde er in Weibertracht abermals arretirt und nach Bayeux ins Gefängniß gebracht. Bayeux ist nur 10 Mei-
lichen Hause, schweifte auf dem Lande herum und gab sich fuͤr den Sohn einer angesehenen, durch die Revolu- tion heruntergekommenen Familie aus. Jugend, Unschuld und Wahrscheinlichkeit seiner Erzaͤhlungen verschafften ihm uͤberall guͤnstige Aufnahme und Unterstuͤtzung. Er hatte keinen Paß, aber Niemand fragte ihn darnach. Er wurde dreister, wagte es, nun auch in Staͤdten sein Handwerk zu treiben, kam nach Cherburg. Hier wurde er bald als Vagabund arretirt. Sein Vater, der Schnei- der, erfuhr es, eilte herbei, ihn in Empfang zu nehmen, und wunderte sich nicht wenig, ihn mit Geld und Kleinodien reichlich versehen zu finden. Er nahm ihn wieder zuruͤck nach St. Lo, wo aber der junge lebhafte Mensch nicht lange aushielt, sondern bald zum zweitenmale davon lief, im Departement du Calvados herum irrete, und, an Leib und Geist gewachsen, sein Maͤhrchen noch besser er- sann, als das erstemal. Bald gab er sich fuͤr einen Sohn des Prinzen Monaco, bald des Herzogs von Ursel in den Niederlanden, aus. So stieg er von Stufe zu Stufe; es waͤhrte nicht lange, so war er schon ver- wandt mit Ludwig XVJ., mit Kaiser Joseph JJ. und mit dem Koͤnige von Preußen; um seiner bedrohten Sicher- heit willen reis'te er in Frauenzimmerkleidern, und gab vor, er komme eben aus England zuruͤck, wohin er sei- nem emigrirten Vater Geld gebracht.
Viele, sehr viele Leute von Rang und Erziehung wurden getaͤuscht, denn er schmeichelte ihren alten Vor- urtheilen, besonders nahmen sich die Damen seiner an, denn der schoͤne Juͤngling sprach zu ihren Herzen. Seine Ebenteuer fiengen an einiges Aufsehen zu erregen; da wurde er in Weibertracht abermals arretirt und nach Bayeux ins Gefaͤngniß gebracht. Bayeux ist nur 10 Mei-
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lichen Hause, schweifte auf dem Lande herum und gab
sich fuͤr den Sohn einer angesehenen, durch die Revolu-
tion heruntergekommenen Familie aus. Jugend, Unschuld
und Wahrscheinlichkeit seiner Erzaͤhlungen verschafften
ihm uͤberall guͤnstige Aufnahme und Unterstuͤtzung. Er
hatte keinen Paß, aber Niemand fragte ihn darnach.
Er wurde dreister, wagte es, nun auch in Staͤdten sein
Handwerk zu treiben, kam nach Cherburg. Hier wurde
er bald als Vagabund arretirt. Sein Vater, der Schnei-
der, erfuhr es, eilte herbei, ihn in Empfang zu nehmen,
und wunderte sich nicht wenig, ihn mit Geld und Kleinodien
reichlich versehen zu finden. Er nahm ihn wieder zuruͤck
nach St. Lo, wo aber der junge lebhafte Mensch nicht
lange aushielt, sondern bald zum zweitenmale davon lief,
im Departement du Calvados herum irrete, und, an
Leib und Geist gewachsen, sein Maͤhrchen noch besser er-
sann, als das erstemal. Bald gab er sich fuͤr einen
Sohn des Prinzen Monaco, bald des Herzogs von
Ursel in den Niederlanden, aus. So stieg er von Stufe
zu Stufe; es waͤhrte nicht lange, so war er schon ver-
wandt mit Ludwig XVJ., mit Kaiser Joseph JJ. und mit
dem Koͤnige von Preußen; um seiner bedrohten Sicher-
heit willen reis'te er in Frauenzimmerkleidern, und gab
vor, er komme eben aus England zuruͤck, wohin er sei-
nem emigrirten Vater Geld gebracht.
Viele, sehr viele Leute von Rang und Erziehung
wurden getaͤuscht, denn er schmeichelte ihren alten Vor-
urtheilen, besonders nahmen sich die Damen seiner an,
denn der schoͤne Juͤngling sprach zu ihren Herzen. Seine
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/91>, abgerufen am 31.07.2024.
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