Namen unter Rousseau's Büste gekritzelt finden, mich ei- ner lächerlichen Eitelkeit beschuldigen möchten, erwähne ich, daß nicht mir, sondern der schönen Hand meiner muthwilligen Begleiterinn, diesen Sünde zugerechnet wer- den muß.
Ein wenig durchfrohren traten wir in die Küche, setzten uns vor den Kamin, und hörten die einfach rüh- renden Klagen des guten hübschen Mädchens mit an, dem man vor wenig Tagen seinen Bruder von der Seite ge- nommen, und als Soldat zu einer fernen Bestimmung versandt hatte. Nur zwei Söhne besaß die alte Mutter; der ältere war schon längst hinaus, ich glaube an die spanische Gränze, und sie hatte Nichts wieder von ihm gehört. Den jüngern, jetzt den einzigen, hoffte sie zu behalten, weil er ihr Stückchen Feld baute und sie er- nährte -- aber vergebens! er mußte fort. Von der Gränze der nächsten Provinz schrieb er noch einmal ein klägliches Lebewohl, und nun -- meinte die Schwester mit feuchten Augen -- nun werden wir wohl auch Nichts mehr von ihm zu hören bekommen.
Schon manchmal hat die Frage sich mir aufgedrängt: wenn Rousseau zu den Zeiten der Revolution und nach- her gelebt hätte, was würde er gesagt haben? -- Die Einsiedeley im Thal Montmorency hätte ihn nicht vor traurigen Eindrücken geschützt.
Wir flohen bald, wie der Mensch zu thun pflegt, den Anblick eines Kummers, dem wir nicht abhelfen konnten. Auch wurde es spät, wir rollten nach Paris zurück. -- Eine heitere Wehmuth bezeichnete den Rest dieses schönen Tages.
Namen unter Rousseau's Buͤste gekritzelt finden, mich ei- ner laͤcherlichen Eitelkeit beschuldigen moͤchten, erwaͤhne ich, daß nicht mir, sondern der schoͤnen Hand meiner muthwilligen Begleiterinn, diesen Suͤnde zugerechnet wer- den muß.
Ein wenig durchfrohren traten wir in die Kuͤche, setzten uns vor den Kamin, und hoͤrten die einfach ruͤh- renden Klagen des guten huͤbschen Maͤdchens mit an, dem man vor wenig Tagen seinen Bruder von der Seite ge- nommen, und als Soldat zu einer fernen Bestimmung versandt hatte. Nur zwei Soͤhne besaß die alte Mutter; der aͤltere war schon laͤngst hinaus, ich glaube an die spanische Graͤnze, und sie hatte Nichts wieder von ihm gehoͤrt. Den juͤngern, jetzt den einzigen, hoffte sie zu behalten, weil er ihr Stuͤckchen Feld baute und sie er- naͤhrte — aber vergebens! er mußte fort. Von der Graͤnze der naͤchsten Provinz schrieb er noch einmal ein klaͤgliches Lebewohl, und nun — meinte die Schwester mit feuchten Augen — nun werden wir wohl auch Nichts mehr von ihm zu hoͤren bekommen.
Schon manchmal hat die Frage sich mir aufgedraͤngt: wenn Rousseau zu den Zeiten der Revolution und nach- her gelebt haͤtte, was wuͤrde er gesagt haben? — Die Einsiedeley im Thal Montmorency haͤtte ihn nicht vor traurigen Eindruͤcken geschuͤtzt.
Wir flohen bald, wie der Mensch zu thun pflegt, den Anblick eines Kummers, dem wir nicht abhelfen konnten. Auch wurde es spaͤt, wir rollten nach Paris zuruͤck. — Eine heitere Wehmuth bezeichnete den Rest dieses schoͤnen Tages.
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Namen unter Rousseau's Buͤste gekritzelt finden, mich ei-
ner laͤcherlichen Eitelkeit beschuldigen moͤchten, erwaͤhne
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muthwilligen Begleiterinn, diesen Suͤnde zugerechnet wer-
den muß.
Ein wenig durchfrohren traten wir in die Kuͤche,
setzten uns vor den Kamin, und hoͤrten die einfach ruͤh-
renden Klagen des guten huͤbschen Maͤdchens mit an, dem
man vor wenig Tagen seinen Bruder von der Seite ge-
nommen, und als Soldat zu einer fernen Bestimmung
versandt hatte. Nur zwei Soͤhne besaß die alte Mutter;
der aͤltere war schon laͤngst hinaus, ich glaube an die
spanische Graͤnze, und sie hatte Nichts wieder von ihm
gehoͤrt. Den juͤngern, jetzt den einzigen, hoffte sie zu
behalten, weil er ihr Stuͤckchen Feld baute und sie er-
naͤhrte — aber vergebens! er mußte fort. Von der
Graͤnze der naͤchsten Provinz schrieb er noch einmal ein
klaͤgliches Lebewohl, und nun — meinte die Schwester
mit feuchten Augen — nun werden wir wohl auch Nichts
mehr von ihm zu hoͤren bekommen.
Schon manchmal hat die Frage sich mir aufgedraͤngt:
wenn Rousseau zu den Zeiten der Revolution und nach-
her gelebt haͤtte, was wuͤrde er gesagt haben? — Die
Einsiedeley im Thal Montmorency haͤtte ihn nicht vor
traurigen Eindruͤcken geschuͤtzt.
Wir flohen bald, wie der Mensch zu thun pflegt,
den Anblick eines Kummers, dem wir nicht abhelfen
konnten. Auch wurde es spaͤt, wir rollten nach Paris
zuruͤck. — Eine heitere Wehmuth bezeichnete den Rest
dieses schoͤnen Tages.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/9>, abgerufen am 16.02.2025.
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