war eine würdige Vorbereitung auf den Anblick von Rousseau's Einsiedeley, die, als wir eine Weile im Thal von Montmorency herumgekreuzt waren, von einem bu- schigten Hügel uns bescheiden winkte. Als wir uns nä- herten, sah ich im Geist den botanisirenden Rousseau auf den Anhöhen unter den Bäumen, oder als gutmüthi- gen Zuschauer neben den Tanzplätzen der Bauern. Das Haus, welches jetzt im Sommer von dem liebenswürdi- gen alten Gretry bewohnt wird, ist sehr klein, sehr ein- fach, und wird im Winter nur durch eine alte Frau und ein junges Mädchen, ihre Tochter, bewacht. Wir fan- den bloß die letztere zu Haus, die uns mit freundlicher Bereitwilligkeit in Rousseau's Zimmer führte, dessen Tapeten noch die nämlichen sind, wie zu seiner Zeit. Jch setzte mich an denselben Tisch, an dem er hor- chend niederschrieb, was die Natur ihm diktirte; ich zog die Schublade heraus, und fand dasselbe Dinten- faß, dessen er sich bedient hatte; auf dem Kamin stand auch noch sein Leuchter. Jch schweige von meinen Em- pfindungen. Wenn die Vergangenheit den Menschen mit einer starken Erinnerung ergreift, so raubt sie ihm auch gleich die Sprache. Für die Gegenwart gab der Himmel uns Töne, für die Vergangenheit nur Seuf- zer. -- Eine Taube flatterte im Zimmer umher, sie war so zahm, so gut -- wir öffneten ihr vergebens das Fenster. Gern hätten wir an die Seelenwanderung geglaubt.
Wir stiegen hinab in das Gärtchen, wo Rousseau oft gepflanzt, gegraben. Jn einer Nische der Mauer steht seine Büste hinter einer Glasthür, darunter ein artiger Vers, der mir entfallen ist. Um der Fremden willen, die vielleicht nach mir dahin kommen, und wenn sie meinen
war eine wuͤrdige Vorbereitung auf den Anblick von Rousseau's Einsiedeley, die, als wir eine Weile im Thal von Montmorency herumgekreuzt waren, von einem bu- schigten Huͤgel uns bescheiden winkte. Als wir uns naͤ- herten, sah ich im Geist den botanisirenden Rousseau auf den Anhoͤhen unter den Baͤumen, oder als gutmuͤthi- gen Zuschauer neben den Tanzplaͤtzen der Bauern. Das Haus, welches jetzt im Sommer von dem liebenswuͤrdi- gen alten Gretry bewohnt wird, ist sehr klein, sehr ein- fach, und wird im Winter nur durch eine alte Frau und ein junges Maͤdchen, ihre Tochter, bewacht. Wir fan- den bloß die letztere zu Haus, die uns mit freundlicher Bereitwilligkeit in Rousseau's Zimmer fuͤhrte, dessen Tapeten noch die naͤmlichen sind, wie zu seiner Zeit. Jch setzte mich an denselben Tisch, an dem er hor- chend niederschrieb, was die Natur ihm diktirte; ich zog die Schublade heraus, und fand dasselbe Dinten- faß, dessen er sich bedient hatte; auf dem Kamin stand auch noch sein Leuchter. Jch schweige von meinen Em- pfindungen. Wenn die Vergangenheit den Menschen mit einer starken Erinnerung ergreift, so raubt sie ihm auch gleich die Sprache. Fuͤr die Gegenwart gab der Himmel uns Toͤne, fuͤr die Vergangenheit nur Seuf- zer. — Eine Taube flatterte im Zimmer umher, sie war so zahm, so gut — wir oͤffneten ihr vergebens das Fenster. Gern haͤtten wir an die Seelenwanderung geglaubt.
Wir stiegen hinab in das Gaͤrtchen, wo Rousseau oft gepflanzt, gegraben. Jn einer Nische der Mauer steht seine Buͤste hinter einer Glasthuͤr, darunter ein artiger Vers, der mir entfallen ist. Um der Fremden willen, die vielleicht nach mir dahin kommen, und wenn sie meinen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0008"n="8"/>
war eine wuͤrdige Vorbereitung auf den Anblick von<lb/>
Rousseau's Einsiedeley, die, als wir eine Weile im Thal<lb/>
von Montmorency herumgekreuzt waren, von einem bu-<lb/>
schigten Huͤgel uns bescheiden winkte. Als wir uns naͤ-<lb/>
herten, sah ich im Geist den botanisirenden Rousseau<lb/>
auf den Anhoͤhen unter den Baͤumen, oder als gutmuͤthi-<lb/>
gen Zuschauer neben den Tanzplaͤtzen der Bauern. Das<lb/>
Haus, welches jetzt im Sommer von dem liebenswuͤrdi-<lb/>
gen alten Gretry bewohnt wird, ist sehr klein, sehr ein-<lb/>
fach, und wird im Winter nur durch eine alte Frau und<lb/>
ein junges Maͤdchen, ihre Tochter, bewacht. Wir fan-<lb/>
den bloß die letztere zu Haus, die uns mit freundlicher<lb/>
Bereitwilligkeit in Rousseau's Zimmer fuͤhrte, dessen<lb/>
Tapeten noch die naͤmlichen sind, wie zu seiner Zeit.<lb/>
Jch setzte mich an denselben Tisch, an dem er hor-<lb/>
chend niederschrieb, was die Natur ihm diktirte; <hirendition="#g">ich</hi><lb/>
zog die Schublade heraus, und fand dasselbe Dinten-<lb/>
faß, dessen <hirendition="#g">er</hi> sich bedient hatte; auf dem Kamin stand<lb/>
auch noch sein Leuchter. Jch schweige von meinen Em-<lb/>
pfindungen. Wenn die Vergangenheit den Menschen<lb/>
mit einer starken Erinnerung ergreift, so raubt sie ihm<lb/>
auch gleich die Sprache. Fuͤr die Gegenwart gab der<lb/>
Himmel uns <hirendition="#g">Toͤne,</hi> fuͤr die Vergangenheit nur <hirendition="#g">Seuf-<lb/>
zer.</hi>— Eine Taube flatterte im Zimmer umher, sie<lb/>
war so zahm, so gut — wir oͤffneten ihr vergebens<lb/>
das Fenster. Gern haͤtten wir an die Seelenwanderung<lb/>
geglaubt.</p><lb/><p>Wir stiegen hinab in das Gaͤrtchen, wo Rousseau<lb/>
oft gepflanzt, gegraben. Jn einer Nische der Mauer steht<lb/>
seine Buͤste hinter einer Glasthuͤr, darunter ein artiger<lb/>
Vers, der mir entfallen ist. Um der Fremden willen, die<lb/>
vielleicht nach mir dahin kommen, und wenn sie meinen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[8/0008]
war eine wuͤrdige Vorbereitung auf den Anblick von
Rousseau's Einsiedeley, die, als wir eine Weile im Thal
von Montmorency herumgekreuzt waren, von einem bu-
schigten Huͤgel uns bescheiden winkte. Als wir uns naͤ-
herten, sah ich im Geist den botanisirenden Rousseau
auf den Anhoͤhen unter den Baͤumen, oder als gutmuͤthi-
gen Zuschauer neben den Tanzplaͤtzen der Bauern. Das
Haus, welches jetzt im Sommer von dem liebenswuͤrdi-
gen alten Gretry bewohnt wird, ist sehr klein, sehr ein-
fach, und wird im Winter nur durch eine alte Frau und
ein junges Maͤdchen, ihre Tochter, bewacht. Wir fan-
den bloß die letztere zu Haus, die uns mit freundlicher
Bereitwilligkeit in Rousseau's Zimmer fuͤhrte, dessen
Tapeten noch die naͤmlichen sind, wie zu seiner Zeit.
Jch setzte mich an denselben Tisch, an dem er hor-
chend niederschrieb, was die Natur ihm diktirte; ich
zog die Schublade heraus, und fand dasselbe Dinten-
faß, dessen er sich bedient hatte; auf dem Kamin stand
auch noch sein Leuchter. Jch schweige von meinen Em-
pfindungen. Wenn die Vergangenheit den Menschen
mit einer starken Erinnerung ergreift, so raubt sie ihm
auch gleich die Sprache. Fuͤr die Gegenwart gab der
Himmel uns Toͤne, fuͤr die Vergangenheit nur Seuf-
zer. — Eine Taube flatterte im Zimmer umher, sie
war so zahm, so gut — wir oͤffneten ihr vergebens
das Fenster. Gern haͤtten wir an die Seelenwanderung
geglaubt.
Wir stiegen hinab in das Gaͤrtchen, wo Rousseau
oft gepflanzt, gegraben. Jn einer Nische der Mauer steht
seine Buͤste hinter einer Glasthuͤr, darunter ein artiger
Vers, der mir entfallen ist. Um der Fremden willen, die
vielleicht nach mir dahin kommen, und wenn sie meinen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/8>, abgerufen am 08.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.