Sie sind gewißermaßen seine Bürgen. Die homeri- schen Helden unterlassen es nie. Plato selbst hält es nicht für zu gering, zu bemerken, daß Alcibiades, durch den Eurysaces, bis zu Jupiter hinauf rechnen konnte, und daß Sokrates den Dädalus und Vul- kan zu Ahnherren hatte. --
Was ist das für ein Volk, das bei den olympischen Spielen sich das Geschlechtsregister des Leonidas her- erzählen läßt? Was ist das für ein Volk, das die Ge- duld hat, von der Rednerbühne herab den Cäsar die lange Reihe seiner Ahnen nennen zu hören? -- Die Griechen! die Römer! -- Man wäge auf einer Seite die Uebereinstimmung aller Völker, aller Zeiten, unter allen Regierungen und Formen derselben; auf der andern die Weisheit einiger Tage, der man die große Ent- deckung verdanket, daß ein Sohn mit seinem Vater gar Nichts zu schaffen hat.
Was allgemein ist, kann kein Vorurtheil seyn. Nicht nur Europa, selbst die neue Welt hängt an diesem Glau- ben, und kein Wilder in Nordamerika verläßt seine Woh- nung, ohne die Gebeine seiner Väter mitzunehmen. Das älteste bekannte Volk, die Chineser, verehrt seine Voräl- tern sogar noch abgöttisch. Vom Palast bis zur Hütte sucht der Mensch sein Andenken auf kommende Jahrhun- derte fortzupflanzen. Von diesem Wunsche beseelt, säet der Greis den Saamen eines Baumes, dessen drittes Blatt er vielleicht kaum erleben wird. Durch seine Vorältern (das heißt Erinnerungen) hängt er mit der Vergan- genheit zusammen; durch seine Kinder (das heißt Hoff- nungen) mit der Zukunft. Jn der physischen Ord- nung der Dinge gehen die Jndividuen unter, die Gattun- gen bleiben ewig; eben so in der moralischen. Der ist
Sie sind gewißermaßen seine Buͤrgen. Die homeri- schen Helden unterlassen es nie. Plato selbst haͤlt es nicht fuͤr zu gering, zu bemerken, daß Alcibiades, durch den Eurysaces, bis zu Jupiter hinauf rechnen konnte, und daß Sokrates den Daͤdalus und Vul- kan zu Ahnherren hatte. —
Was ist das fuͤr ein Volk, das bei den olympischen Spielen sich das Geschlechtsregister des Leonidas her- erzaͤhlen laͤßt? Was ist das fuͤr ein Volk, das die Ge- duld hat, von der Rednerbuͤhne herab den Caͤsar die lange Reihe seiner Ahnen nennen zu hoͤren? — Die Griechen! die Roͤmer! — Man waͤge auf einer Seite die Uebereinstimmung aller Voͤlker, aller Zeiten, unter allen Regierungen und Formen derselben; auf der andern die Weisheit einiger Tage, der man die große Ent- deckung verdanket, daß ein Sohn mit seinem Vater gar Nichts zu schaffen hat.
Was allgemein ist, kann kein Vorurtheil seyn. Nicht nur Europa, selbst die neue Welt haͤngt an diesem Glau- ben, und kein Wilder in Nordamerika verlaͤßt seine Woh- nung, ohne die Gebeine seiner Vaͤter mitzunehmen. Das aͤlteste bekannte Volk, die Chineser, verehrt seine Voraͤl- tern sogar noch abgoͤttisch. Vom Palast bis zur Huͤtte sucht der Mensch sein Andenken auf kommende Jahrhun- derte fortzupflanzen. Von diesem Wunsche beseelt, saͤet der Greis den Saamen eines Baumes, dessen drittes Blatt er vielleicht kaum erleben wird. Durch seine Voraͤltern (das heißt Erinnerungen) haͤngt er mit der Vergan- genheit zusammen; durch seine Kinder (das heißt Hoff- nungen) mit der Zukunft. Jn der physischen Ord- nung der Dinge gehen die Jndividuen unter, die Gattun- gen bleiben ewig; eben so in der moralischen. Der ist
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0035"n="35"/>
Sie sind gewißermaßen seine <hirendition="#g">Buͤrgen.</hi> Die homeri-<lb/>
schen Helden unterlassen es nie. <hirendition="#g">Plato</hi> selbst haͤlt es<lb/>
nicht fuͤr zu gering, zu bemerken, daß <hirendition="#g">Alcibiades,</hi><lb/>
durch den <hirendition="#g">Eurysaces,</hi> bis zu Jupiter hinauf rechnen<lb/>
konnte, und daß <hirendition="#g">Sokrates</hi> den <hirendition="#g">Daͤdalus</hi> und <hirendition="#g">Vul-<lb/>
kan</hi> zu Ahnherren hatte. —</p><lb/><p>Was ist das fuͤr ein Volk, das bei den olympischen<lb/>
Spielen sich das Geschlechtsregister des <hirendition="#g">Leonidas</hi> her-<lb/>
erzaͤhlen laͤßt? Was ist das fuͤr ein Volk, das die Ge-<lb/>
duld hat, von der Rednerbuͤhne herab den Caͤsar die<lb/>
lange Reihe seiner Ahnen nennen zu hoͤren? — Die<lb/><hirendition="#g">Griechen!</hi> die <hirendition="#g">Roͤmer!</hi>— Man waͤge auf einer<lb/>
Seite die Uebereinstimmung aller Voͤlker, aller Zeiten,<lb/>
unter allen Regierungen und Formen derselben; auf der<lb/>
andern die Weisheit einiger Tage, der man die große Ent-<lb/>
deckung verdanket, daß ein Sohn mit seinem Vater gar<lb/>
Nichts zu schaffen hat.</p><lb/><p>Was allgemein ist, kann kein Vorurtheil seyn. Nicht<lb/>
nur Europa, selbst die neue Welt haͤngt an diesem Glau-<lb/>
ben, und kein Wilder in Nordamerika verlaͤßt seine Woh-<lb/>
nung, ohne die Gebeine seiner Vaͤter mitzunehmen. Das<lb/>
aͤlteste bekannte Volk, die Chineser, verehrt seine Voraͤl-<lb/>
tern sogar noch abgoͤttisch. Vom Palast bis zur Huͤtte<lb/>
sucht der Mensch sein Andenken auf kommende Jahrhun-<lb/>
derte fortzupflanzen. Von diesem Wunsche beseelt, saͤet<lb/>
der Greis den Saamen eines Baumes, dessen drittes Blatt<lb/>
er vielleicht kaum erleben wird. Durch seine Voraͤltern<lb/>
(das heißt <hirendition="#g">Erinnerungen)</hi> haͤngt er mit der Vergan-<lb/>
genheit zusammen; durch seine Kinder (das heißt <hirendition="#g">Hoff-<lb/>
nungen)</hi> mit der Zukunft. Jn der physischen Ord-<lb/>
nung der Dinge gehen die Jndividuen unter, die Gattun-<lb/>
gen bleiben ewig; eben so in der moralischen. Der ist<lb/></p></div></body></text></TEI>
[35/0035]
Sie sind gewißermaßen seine Buͤrgen. Die homeri-
schen Helden unterlassen es nie. Plato selbst haͤlt es
nicht fuͤr zu gering, zu bemerken, daß Alcibiades,
durch den Eurysaces, bis zu Jupiter hinauf rechnen
konnte, und daß Sokrates den Daͤdalus und Vul-
kan zu Ahnherren hatte. —
Was ist das fuͤr ein Volk, das bei den olympischen
Spielen sich das Geschlechtsregister des Leonidas her-
erzaͤhlen laͤßt? Was ist das fuͤr ein Volk, das die Ge-
duld hat, von der Rednerbuͤhne herab den Caͤsar die
lange Reihe seiner Ahnen nennen zu hoͤren? — Die
Griechen! die Roͤmer! — Man waͤge auf einer
Seite die Uebereinstimmung aller Voͤlker, aller Zeiten,
unter allen Regierungen und Formen derselben; auf der
andern die Weisheit einiger Tage, der man die große Ent-
deckung verdanket, daß ein Sohn mit seinem Vater gar
Nichts zu schaffen hat.
Was allgemein ist, kann kein Vorurtheil seyn. Nicht
nur Europa, selbst die neue Welt haͤngt an diesem Glau-
ben, und kein Wilder in Nordamerika verlaͤßt seine Woh-
nung, ohne die Gebeine seiner Vaͤter mitzunehmen. Das
aͤlteste bekannte Volk, die Chineser, verehrt seine Voraͤl-
tern sogar noch abgoͤttisch. Vom Palast bis zur Huͤtte
sucht der Mensch sein Andenken auf kommende Jahrhun-
derte fortzupflanzen. Von diesem Wunsche beseelt, saͤet
der Greis den Saamen eines Baumes, dessen drittes Blatt
er vielleicht kaum erleben wird. Durch seine Voraͤltern
(das heißt Erinnerungen) haͤngt er mit der Vergan-
genheit zusammen; durch seine Kinder (das heißt Hoff-
nungen) mit der Zukunft. Jn der physischen Ord-
nung der Dinge gehen die Jndividuen unter, die Gattun-
gen bleiben ewig; eben so in der moralischen. Der ist
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/35>, abgerufen am 31.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.