Der Arzt. Seitdem man nicht mehr Ader läßt, und nicht mehr soviel Tisane zu trinken giebt, ist unsre Kunst verloren. Die Vapeurs und Nervenkrankheiten sind ganz aus der Mode, keine hübsche Frau will auch nur ein paarmal wöchentlich in Ohnmacht fallen, um in- teressant zu erscheinen. Jm Gegentheil sie laufen mir Nichts dir Nichts halbnackend herum, und bekommen höchstens eine langweilige Schwindsucht.
Der Küster. Das ist es eben, was auch mich in Verzweiflung bringt. Jch hatte das Begraben in meinem Kirchspiele gepachtet, und rechnete wenigstens auf zehn Todte wöchentlich. Jch bin ruinirt.
Der Arzt. Meine Schuld ist es nicht. Von meinen Kranken stirbt immer richtig die Hälfte.
Der Jude. Uns geht es am schlimmsten. Jeder- mann will heut zu Tage Jude seyn. An jedem Hause liest man: Bureau de pret, mont de piete, u. s. w. Der Name Jude wird ganz vergessen. Man geht, wenn man Geld braucht, zum Ersten, Besten, Christ oder Jude, und wird von Einem wie vom Andern bedient. Ueberdieß hat man den Termin der Volljährigkeit leider abgekürzt, und die jungen Leute haben gar zu viele Mit- tel sich selbst zu helfen. Unter dem ancien regime hat- ten wir vier Jahre länger zu arbeiten, und das wa- ren gerade die rechten Aerntejahre.
Der Autor. Und ich, meine Herren! liege ich denn auf Rosen? Meinen Sie, dem Schriftsteller fließe Milch und Honig? Seit 20 Jahren schreibe ich; und sehen Sie, wie mein Rock aussieht. Alles hab' ich ver- sucht, Nichts ist gelungen. Jch hatte meinen Gläubi- gern ein herrliches Schauspiel verpfändet; eh bien! es ist ausgepfiffen worden, denn man hat keinen Geschmack
Der Arzt. Seitdem man nicht mehr Ader laͤßt, und nicht mehr soviel Tisane zu trinken giebt, ist unsre Kunst verloren. Die Vapeurs und Nervenkrankheiten sind ganz aus der Mode, keine huͤbsche Frau will auch nur ein paarmal woͤchentlich in Ohnmacht fallen, um in- teressant zu erscheinen. Jm Gegentheil sie laufen mir Nichts dir Nichts halbnackend herum, und bekommen hoͤchstens eine langweilige Schwindsucht.
Der Kuͤster. Das ist es eben, was auch mich in Verzweiflung bringt. Jch hatte das Begraben in meinem Kirchspiele gepachtet, und rechnete wenigstens auf zehn Todte woͤchentlich. Jch bin ruinirt.
Der Arzt. Meine Schuld ist es nicht. Von meinen Kranken stirbt immer richtig die Haͤlfte.
Der Jude. Uns geht es am schlimmsten. Jeder- mann will heut zu Tage Jude seyn. An jedem Hause liest man: Bureau de prêt, mont de piété, u. s. w. Der Name Jude wird ganz vergessen. Man geht, wenn man Geld braucht, zum Ersten, Besten, Christ oder Jude, und wird von Einem wie vom Andern bedient. Ueberdieß hat man den Termin der Volljaͤhrigkeit leider abgekuͤrzt, und die jungen Leute haben gar zu viele Mit- tel sich selbst zu helfen. Unter dem ancien regime hat- ten wir vier Jahre laͤnger zu arbeiten, und das wa- ren gerade die rechten Aerntejahre.
Der Autor. Und ich, meine Herren! liege ich denn auf Rosen? Meinen Sie, dem Schriftsteller fließe Milch und Honig? Seit 20 Jahren schreibe ich; und sehen Sie, wie mein Rock aussieht. Alles hab' ich ver- sucht, Nichts ist gelungen. Jch hatte meinen Glaͤubi- gern ein herrliches Schauspiel verpfaͤndet; eh bien! es ist ausgepfiffen worden, denn man hat keinen Geschmack
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0031"n="31"/><p><hirendition="#g">Der Arzt.</hi> Seitdem man nicht mehr Ader laͤßt,<lb/>
und nicht mehr soviel Tisane zu trinken giebt, ist unsre<lb/>
Kunst verloren. Die Vapeurs und Nervenkrankheiten<lb/>
sind ganz aus der Mode, keine huͤbsche Frau will auch<lb/>
nur ein paarmal woͤchentlich in Ohnmacht fallen, um in-<lb/>
teressant zu erscheinen. Jm Gegentheil sie laufen mir<lb/>
Nichts dir Nichts halbnackend herum, und bekommen<lb/>
hoͤchstens eine langweilige Schwindsucht.</p><lb/><p><hirendition="#g">Der Kuͤster.</hi> Das ist es eben, was auch mich<lb/>
in Verzweiflung bringt. Jch hatte das Begraben in<lb/>
meinem Kirchspiele gepachtet, und rechnete wenigstens<lb/>
auf zehn Todte woͤchentlich. Jch bin ruinirt.</p><lb/><p><hirendition="#g">Der Arzt. Meine</hi> Schuld ist es nicht. Von<lb/>
meinen Kranken stirbt immer richtig die Haͤlfte.</p><lb/><p><hirendition="#g">Der Jude.</hi> Uns geht es am schlimmsten. Jeder-<lb/>
mann will heut zu Tage <hirendition="#g">Jude</hi> seyn. An jedem Hause<lb/>
liest man: Bureau de prêt, mont de piété, u. s. w.<lb/>
Der Name <hirendition="#g">Jude</hi> wird ganz vergessen. Man geht,<lb/>
wenn man Geld braucht, zum Ersten, Besten, Christ<lb/>
oder Jude, und wird von Einem wie vom Andern bedient.<lb/>
Ueberdieß hat man den Termin der Volljaͤhrigkeit leider<lb/>
abgekuͤrzt, und die jungen Leute haben gar zu viele Mit-<lb/>
tel sich selbst zu helfen. Unter dem ancien regime hat-<lb/>
ten wir vier Jahre laͤnger zu <hirendition="#g">arbeiten,</hi> und das wa-<lb/>
ren gerade die rechten Aerntejahre.</p><lb/><p><hirendition="#g">Der Autor.</hi> Und ich, meine Herren! liege <hirendition="#g">ich</hi><lb/>
denn auf Rosen? Meinen Sie, dem Schriftsteller fließe<lb/>
Milch und Honig? Seit 20 Jahren schreibe ich; und<lb/>
sehen Sie, wie mein Rock aussieht. Alles hab' ich ver-<lb/>
sucht, Nichts ist gelungen. Jch hatte meinen Glaͤubi-<lb/>
gern ein herrliches Schauspiel verpfaͤndet; eh bien! es<lb/>
ist ausgepfiffen worden, denn man hat keinen Geschmack<lb/></p></div></body></text></TEI>
[31/0031]
Der Arzt. Seitdem man nicht mehr Ader laͤßt,
und nicht mehr soviel Tisane zu trinken giebt, ist unsre
Kunst verloren. Die Vapeurs und Nervenkrankheiten
sind ganz aus der Mode, keine huͤbsche Frau will auch
nur ein paarmal woͤchentlich in Ohnmacht fallen, um in-
teressant zu erscheinen. Jm Gegentheil sie laufen mir
Nichts dir Nichts halbnackend herum, und bekommen
hoͤchstens eine langweilige Schwindsucht.
Der Kuͤster. Das ist es eben, was auch mich
in Verzweiflung bringt. Jch hatte das Begraben in
meinem Kirchspiele gepachtet, und rechnete wenigstens
auf zehn Todte woͤchentlich. Jch bin ruinirt.
Der Arzt. Meine Schuld ist es nicht. Von
meinen Kranken stirbt immer richtig die Haͤlfte.
Der Jude. Uns geht es am schlimmsten. Jeder-
mann will heut zu Tage Jude seyn. An jedem Hause
liest man: Bureau de prêt, mont de piété, u. s. w.
Der Name Jude wird ganz vergessen. Man geht,
wenn man Geld braucht, zum Ersten, Besten, Christ
oder Jude, und wird von Einem wie vom Andern bedient.
Ueberdieß hat man den Termin der Volljaͤhrigkeit leider
abgekuͤrzt, und die jungen Leute haben gar zu viele Mit-
tel sich selbst zu helfen. Unter dem ancien regime hat-
ten wir vier Jahre laͤnger zu arbeiten, und das wa-
ren gerade die rechten Aerntejahre.
Der Autor. Und ich, meine Herren! liege ich
denn auf Rosen? Meinen Sie, dem Schriftsteller fließe
Milch und Honig? Seit 20 Jahren schreibe ich; und
sehen Sie, wie mein Rock aussieht. Alles hab' ich ver-
sucht, Nichts ist gelungen. Jch hatte meinen Glaͤubi-
gern ein herrliches Schauspiel verpfaͤndet; eh bien! es
ist ausgepfiffen worden, denn man hat keinen Geschmack
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/31>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.