gewesen war, versicherte ihn Einer aus der Gesellschaft, es freue ihn außerordentlich zu sehen, daß er seiner Mey- nung sey. Giebt man den Leuten keine Antwort, so machen sie sich selber eine nach ihrem Wunsche. -- Wer nicht zuzuhören versteht, sondern nur immer wiederholt, was Andere geplaudert haben, der gleicht den kleinen Eimerchen an einem Schöpfrade, die sich immer- während anfüllen, und sogleich wieder ausleeren."
Eine Dame von Welt will zuerst gefallen, dann und wann liebenswürdig seyn, endlich Hochachtung ver- dienen, das Letztere nur, wenn nichts Besseres mehr zu thun ist, oder um sich auszuzeichnen, denn es giebt eine Koketterie in der Moral, wie in der Kleidung, und glücklicher Weise wird die Tugend zuweilen Mode.
Jch habe keine Zeit Sie hochzuschätzen, (sagt eine solche Dame zu einem ehrlichen Manne, der ihr lange Weile macht,) wenn Sie mir gefallen könn- ten, so wäre das weit schneller geschehen.
Mit dem Ehrentitel Artiste wird eine gewaltige Mä- keley getrieben. Artiste en marbre, heißt ein gewöhn- licher Steinhauer; Artiste en peinture, ein Hausan- streicher. Monsieur Joly ist der berühmteste Artiste en cheveux. Er fährt in seiner Equipage vor, hüpft her- ein, grüßt kaum, und scheint den Hut etwas abzuneh- men, weil es ihm zu warm ist. Er tritt vor den Spie- gel, mustert seinen Frack, seine lederne Beinkleider und Stiefeln; dann küßt er der Dame die Hand, läßt sich eine Schachtel bringen, zieht allerlei Haarkram heraus,
gewesen war, versicherte ihn Einer aus der Gesellschaft, es freue ihn außerordentlich zu sehen, daß er seiner Mey- nung sey. Giebt man den Leuten keine Antwort, so machen sie sich selber eine nach ihrem Wunsche. — Wer nicht zuzuhoͤren versteht, sondern nur immer wiederholt, was Andere geplaudert haben, der gleicht den kleinen Eimerchen an einem Schoͤpfrade, die sich immer- waͤhrend anfuͤllen, und sogleich wieder ausleeren.“
Eine Dame von Welt will zuerst gefallen, dann und wann liebenswuͤrdig seyn, endlich Hochachtung ver- dienen, das Letztere nur, wenn nichts Besseres mehr zu thun ist, oder um sich auszuzeichnen, denn es giebt eine Koketterie in der Moral, wie in der Kleidung, und gluͤcklicher Weise wird die Tugend zuweilen Mode.
Jch habe keine Zeit Sie hochzuschaͤtzen, (sagt eine solche Dame zu einem ehrlichen Manne, der ihr lange Weile macht,) wenn Sie mir gefallen koͤnn- ten, so waͤre das weit schneller geschehen.
Mit dem Ehrentitel Artiste wird eine gewaltige Maͤ- keley getrieben. Artiste en marbre, heißt ein gewoͤhn- licher Steinhauer; Artiste en peinture, ein Hausan- streicher. Monsieur Joly ist der beruͤhmteste Artiste en cheveux. Er faͤhrt in seiner Equipage vor, huͤpft her- ein, gruͤßt kaum, und scheint den Hut etwas abzuneh- men, weil es ihm zu warm ist. Er tritt vor den Spie- gel, mustert seinen Frack, seine lederne Beinkleider und Stiefeln; dann kuͤßt er der Dame die Hand, laͤßt sich eine Schachtel bringen, zieht allerlei Haarkram heraus,
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gewesen war, versicherte ihn Einer aus der Gesellschaft,
es freue ihn außerordentlich zu sehen, daß er seiner Mey-
nung sey. Giebt man den Leuten keine Antwort, so
machen sie sich selber eine nach ihrem Wunsche. — Wer
nicht zuzuhoͤren versteht, sondern nur immer wiederholt,
was Andere geplaudert haben, der gleicht den kleinen
Eimerchen an einem Schoͤpfrade, die sich immer-
waͤhrend anfuͤllen, und sogleich wieder ausleeren.“
Eine Dame von Welt will zuerst gefallen, dann
und wann liebenswuͤrdig seyn, endlich Hochachtung ver-
dienen, das Letztere nur, wenn nichts Besseres mehr zu
thun ist, oder um sich auszuzeichnen, denn es giebt eine
Koketterie in der Moral, wie in der Kleidung, und
gluͤcklicher Weise wird die Tugend zuweilen Mode.
Jch habe keine Zeit Sie hochzuschaͤtzen, (sagt
eine solche Dame zu einem ehrlichen Manne, der ihr
lange Weile macht,) wenn Sie mir gefallen koͤnn-
ten, so waͤre das weit schneller geschehen.
Mit dem Ehrentitel Artiste wird eine gewaltige Maͤ-
keley getrieben. Artiste en marbre, heißt ein gewoͤhn-
licher Steinhauer; Artiste en peinture, ein Hausan-
streicher. Monsieur Joly ist der beruͤhmteste Artiste en
cheveux. Er faͤhrt in seiner Equipage vor, huͤpft her-
ein, gruͤßt kaum, und scheint den Hut etwas abzuneh-
men, weil es ihm zu warm ist. Er tritt vor den Spie-
gel, mustert seinen Frack, seine lederne Beinkleider und
Stiefeln; dann kuͤßt er der Dame die Hand, laͤßt sich
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/187>, abgerufen am 31.07.2024.
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