blättern sie das Buch nicht, das da auf dem Kamine noch aufgeschlagen liegt, an der nämlichen Stelle, wo mein Vater zu lesen aufhörte, was er schon so oft gelesen hatte: Plutarchs Traktat, betitelt: wie man zu- hören soll. Er sprach oft mit mir davon, denn mit mir brach er sein Stillschweigen, um mir das Zuhören zu empfehlen. Das lernet sich nach und nach, sagte er, und ist eben so schwer zu lernen, als gut reden. Lies auch Plutarchs Traktat: über den Kützel, immer zu sprechen; der kluge Kanzler l'Hopital schätzte die- sen Traktat sehr hoch. Unsere junge Leute gleichen jenem Portikus mit 7 Stimmen, den man zu Olympias sah, sie wiederholen beständig, was sie gesagt haben, und Niemand horcht auf sie. Man möchte ihnen immer mit Aristoteles zurufen: Gott sey Dank! ich habe Beine um euch nicht anhören zu dürfen.
Und woher diese Fehler? sie haben nicht zuhören lernen. Die Kunst zuzuhören ist der Anfang der Kunst zu gefallen. Jm Sprechen zeigt man blos das Ver- langen liebenswürdig zu seyn, im Zuhören ist man es wirklich. Jn den ersten Jahren der Revolution lebte mein Vater auf dem Lande, und alle Parteien seines Dörfchens setzten ihn auf ihre Liste unter die Zahl Derje- nigen, die gut urtheilen. Keine Partei verfolgte ihn, alle ehrten sein Schweigen. Viele haben in jenen stürmischen Zeiten vom ihrem Schweigen Nutzen gezo- gen. -- Ohne zu reden, kann man für einen großen Redner gelten, man darf nur auf gewiße Art zuhören, die Leute aufmerksam dabei ansehen, hie und da einmal mit dem Kopfe nicken; am Ende glauben die Leute, man habe ihnen gerade so geantwortet wie sie es wünschten. Eines Tages, da mein Vater auf diese Art ganz stumm
blaͤttern sie das Buch nicht, das da auf dem Kamine noch aufgeschlagen liegt, an der naͤmlichen Stelle, wo mein Vater zu lesen aufhoͤrte, was er schon so oft gelesen hatte: Plutarchs Traktat, betitelt: wie man zu- hoͤren soll. Er sprach oft mit mir davon, denn mit mir brach er sein Stillschweigen, um mir das Zuhoͤren zu empfehlen. Das lernet sich nach und nach, sagte er, und ist eben so schwer zu lernen, als gut reden. Lies auch Plutarchs Traktat: uͤber den Kuͤtzel, immer zu sprechen; der kluge Kanzler l'Hopital schaͤtzte die- sen Traktat sehr hoch. Unsere junge Leute gleichen jenem Portikus mit 7 Stimmen, den man zu Olympias sah, sie wiederholen bestaͤndig, was sie gesagt haben, und Niemand horcht auf sie. Man moͤchte ihnen immer mit Aristoteles zurufen: Gott sey Dank! ich habe Beine um euch nicht anhoͤren zu duͤrfen.
Und woher diese Fehler? sie haben nicht zuhoͤren lernen. Die Kunst zuzuhoͤren ist der Anfang der Kunst zu gefallen. Jm Sprechen zeigt man blos das Ver- langen liebenswuͤrdig zu seyn, im Zuhoͤren ist man es wirklich. Jn den ersten Jahren der Revolution lebte mein Vater auf dem Lande, und alle Parteien seines Doͤrfchens setzten ihn auf ihre Liste unter die Zahl Derje- nigen, die gut urtheilen. Keine Partei verfolgte ihn, alle ehrten sein Schweigen. Viele haben in jenen stuͤrmischen Zeiten vom ihrem Schweigen Nutzen gezo- gen. — Ohne zu reden, kann man fuͤr einen großen Redner gelten, man darf nur auf gewiße Art zuhoͤren, die Leute aufmerksam dabei ansehen, hie und da einmal mit dem Kopfe nicken; am Ende glauben die Leute, man habe ihnen gerade so geantwortet wie sie es wuͤnschten. Eines Tages, da mein Vater auf diese Art ganz stumm
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blaͤttern sie das Buch nicht, das da auf dem Kamine
noch aufgeschlagen liegt, an der naͤmlichen Stelle, wo
mein Vater zu lesen aufhoͤrte, was er schon so oft gelesen
hatte: Plutarchs Traktat, betitelt: wie man zu-
hoͤren soll. Er sprach oft mit mir davon, denn mit
mir brach er sein Stillschweigen, um mir das Zuhoͤren
zu empfehlen. Das lernet sich nach und nach, sagte er,
und ist eben so schwer zu lernen, als gut reden. Lies
auch Plutarchs Traktat: uͤber den Kuͤtzel, immer
zu sprechen; der kluge Kanzler l'Hopital schaͤtzte die-
sen Traktat sehr hoch. Unsere junge Leute gleichen jenem
Portikus mit 7 Stimmen, den man zu Olympias
sah, sie wiederholen bestaͤndig, was sie gesagt haben,
und Niemand horcht auf sie. Man moͤchte ihnen immer
mit Aristoteles zurufen: Gott sey Dank! ich habe Beine
um euch nicht anhoͤren zu duͤrfen.
Und woher diese Fehler? sie haben nicht zuhoͤren
lernen. Die Kunst zuzuhoͤren ist der Anfang der Kunst
zu gefallen. Jm Sprechen zeigt man blos das Ver-
langen liebenswuͤrdig zu seyn, im Zuhoͤren ist man
es wirklich. Jn den ersten Jahren der Revolution lebte
mein Vater auf dem Lande, und alle Parteien seines
Doͤrfchens setzten ihn auf ihre Liste unter die Zahl Derje-
nigen, die gut urtheilen. Keine Partei verfolgte
ihn, alle ehrten sein Schweigen. Viele haben in jenen
stuͤrmischen Zeiten vom ihrem Schweigen Nutzen gezo-
gen. — Ohne zu reden, kann man fuͤr einen großen
Redner gelten, man darf nur auf gewiße Art zuhoͤren,
die Leute aufmerksam dabei ansehen, hie und da einmal
mit dem Kopfe nicken; am Ende glauben die Leute, man
habe ihnen gerade so geantwortet wie sie es wuͤnschten.
Eines Tages, da mein Vater auf diese Art ganz stumm
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/186>, abgerufen am 16.02.2025.
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