Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.Ein teutscher Arzt ist in Paris eben nicht in ei- Man klagt über die jungen Leute, daß sie Nichts Ein teutscher Arzt ist in Paris eben nicht in ei- Man klagt uͤber die jungen Leute, daß sie Nichts <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0185" n="185"/> <p>Ein <hi rendition="#g">teutscher</hi> Arzt ist in Paris eben nicht in ei-<lb/> ner beneidenswerthen Lage. Die Einkuͤnfte sind gering.<lb/> Man muß <hi rendition="#g">fordern,</hi> und dazu kann der bescheidene<lb/> Teutsche sich anfangs nicht entschließen. Viele Reiche<lb/> machen Banquerotte. Ueberdieß kommt eine Menge<lb/> teutsches Gesindel nach Paris, in der Hoffnung, Gluͤck<lb/> zu machen, findt sich getaͤuscht, erkrankt durch Mangel<lb/> und Kummer, wendet sich an den teutschen Arzt, und<lb/> kann oft von diesem nur durch Wein und nahrhafte Spei-<lb/> sen, die er selbst bezahlen muß, geheilt werden. Dabei<lb/><hi rendition="#g">soll</hi> er noch Equipage halten, die ihm jaͤhrlich gegen<lb/> tausend Thaler kostet; oder doch halb so Viel, wenn er<lb/> sich mit einem einspaͤnnigen Kabriolet behilft, denn die<lb/> vornehmsten Leute fahren jetzt, um der Schnelligkeit wil-<lb/> len, in Kabriolets. Freilich entsteht aber auch daraus<lb/> viel Ungluͤck, weil sie sich selbst kutschiren muͤssen, welches<lb/> in den engen Straßen von Paris keine leichte Kunst ist.</p><lb/> <p>Man klagt uͤber die jungen Leute, daß sie Nichts<lb/> wissen, und doch uͤber Alles absprechen. Als ob das<lb/> jetzt nicht uͤberall so waͤre! Niemand versteht, Niemand<lb/> lernt mehr die große Kunst zu <hi rendition="#g">hoͤren</hi> und zu <hi rendition="#g">schwei-</hi><lb/> gen. „Sehen Sie, sagte ein alter Franzos, da pflegte<lb/> er zu sitzen, in diesem Großvaterstuhl, ich glaube ihn<lb/> noch zu sehen, meinen guten Vater, er <hi rendition="#g">sprach</hi> Wenig,<lb/> aber <hi rendition="#g">hoͤrte</hi> vortrefflich. Seine Aufmerksamkeit lieh Al-<lb/> lem, was gesprochen wurde, ein erhoͤhtes Jnteresse,<lb/> seine lebhafte Augen redeten; er sah Sie nur an, und<lb/> Sie mußten glauben, er habe Jhnen geantwortet. Da<lb/> haͤngt sein Bild, nach dem Leben getroffen, man sollte<lb/> meynen, <hi rendition="#g">er hoͤrte</hi> noch zu. — O ich bitte Sie, ver-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [185/0185]
Ein teutscher Arzt ist in Paris eben nicht in ei-
ner beneidenswerthen Lage. Die Einkuͤnfte sind gering.
Man muß fordern, und dazu kann der bescheidene
Teutsche sich anfangs nicht entschließen. Viele Reiche
machen Banquerotte. Ueberdieß kommt eine Menge
teutsches Gesindel nach Paris, in der Hoffnung, Gluͤck
zu machen, findt sich getaͤuscht, erkrankt durch Mangel
und Kummer, wendet sich an den teutschen Arzt, und
kann oft von diesem nur durch Wein und nahrhafte Spei-
sen, die er selbst bezahlen muß, geheilt werden. Dabei
soll er noch Equipage halten, die ihm jaͤhrlich gegen
tausend Thaler kostet; oder doch halb so Viel, wenn er
sich mit einem einspaͤnnigen Kabriolet behilft, denn die
vornehmsten Leute fahren jetzt, um der Schnelligkeit wil-
len, in Kabriolets. Freilich entsteht aber auch daraus
viel Ungluͤck, weil sie sich selbst kutschiren muͤssen, welches
in den engen Straßen von Paris keine leichte Kunst ist.
Man klagt uͤber die jungen Leute, daß sie Nichts
wissen, und doch uͤber Alles absprechen. Als ob das
jetzt nicht uͤberall so waͤre! Niemand versteht, Niemand
lernt mehr die große Kunst zu hoͤren und zu schwei-
gen. „Sehen Sie, sagte ein alter Franzos, da pflegte
er zu sitzen, in diesem Großvaterstuhl, ich glaube ihn
noch zu sehen, meinen guten Vater, er sprach Wenig,
aber hoͤrte vortrefflich. Seine Aufmerksamkeit lieh Al-
lem, was gesprochen wurde, ein erhoͤhtes Jnteresse,
seine lebhafte Augen redeten; er sah Sie nur an, und
Sie mußten glauben, er habe Jhnen geantwortet. Da
haͤngt sein Bild, nach dem Leben getroffen, man sollte
meynen, er hoͤrte noch zu. — O ich bitte Sie, ver-
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