kel, Literatur und schönen Künsten ins Tageslicht hin- ein, macht durch einen Calembourg einen würdigen Ge- lehrten lächerlich, unterbricht das interessanteste Gespräch von soliden Dingen durch alberne Kleinigkeiten, mysti- fizirt, wenn es darauf ankommt, seinen eigenen Va- ter, rühmt sich, das neueste Stück ausgepfiffen zu haben, und was dergleichen modische Heldenthaten mehr sind. -- Vom Walzen giebt er, sich selbst zuerst belachend, eine Definition: "Es ist ein vertrauter Tanz," sagt er, "der "die Amalgamation beider Tänzer erfodert, und dahin "fließt wie Oel auf einem glatten Marmor." -- Er- blickt er beim Souper einen jener Aepfelkuchen, den die Franzosen Charlotte nennen, so bemerkt er sehr wi- tzig: "Jch möchte wohl der Werther dieser Charlotte seyn." -- Es giebt Menschen, die sich über einen solchen aufgeblasenen Jungen ärgern können, ich selbst ärgerte mich vormals, doch schon seit langer Zeit hab' ich ein treffliches Mittel dagegen: ich denke mir nämlich, wel- che Rolle dieser Mensch nach 10 oder 15 Jahren spielen wird? Und dann tritt jedesmal Mitleid an die Stelle des Aergers.
Der freie Ton an öffentlichen Orten, wo alle Klas- sen gemischt sind, lockt natürlich eine Menge junger Leute dahin, die sich gar keinen Zwang auflegen mögen, und die finden hier ihre Schule der Höflichkeit. Ma- dame Recamier kam einst nach Fraskati und be- zahlte bei dieser Gelegenheit das Vergnügen schön zu seyn ziemlich theuer. Man litt mit ihr, wenn man sah, wie sie in der Menge herum schwamm, sich hin und her wandte, dem Erdrücken zu entrennen suchte. Man stieg auf die Stühle, um sie zu sehen, die Hälse verlän- gerten sich, die Letztern drängten die Vordern, und ver-
kel, Literatur und schoͤnen Kuͤnsten ins Tageslicht hin- ein, macht durch einen Calembourg einen wuͤrdigen Ge- lehrten laͤcherlich, unterbricht das interessanteste Gespraͤch von soliden Dingen durch alberne Kleinigkeiten, mysti- fizirt, wenn es darauf ankommt, seinen eigenen Va- ter, ruͤhmt sich, das neueste Stuͤck ausgepfiffen zu haben, und was dergleichen modische Heldenthaten mehr sind. — Vom Walzen giebt er, sich selbst zuerst belachend, eine Definition: „Es ist ein vertrauter Tanz,“ sagt er, „der „die Amalgamation beider Taͤnzer erfodert, und dahin „fließt wie Oel auf einem glatten Marmor.“ — Er- blickt er beim Souper einen jener Aepfelkuchen, den die Franzosen Charlotte nennen, so bemerkt er sehr wi- tzig: „Jch moͤchte wohl der Werther dieser Charlotte seyn.“ — Es giebt Menschen, die sich uͤber einen solchen aufgeblasenen Jungen aͤrgern koͤnnen, ich selbst aͤrgerte mich vormals, doch schon seit langer Zeit hab' ich ein treffliches Mittel dagegen: ich denke mir naͤmlich, wel- che Rolle dieser Mensch nach 10 oder 15 Jahren spielen wird? Und dann tritt jedesmal Mitleid an die Stelle des Aergers.
Der freie Ton an oͤffentlichen Orten, wo alle Klas- sen gemischt sind, lockt natuͤrlich eine Menge junger Leute dahin, die sich gar keinen Zwang auflegen moͤgen, und die finden hier ihre Schule der Hoͤflichkeit. Ma- dame Recamier kam einst nach Fraskati und be- zahlte bei dieser Gelegenheit das Vergnuͤgen schoͤn zu seyn ziemlich theuer. Man litt mit ihr, wenn man sah, wie sie in der Menge herum schwamm, sich hin und her wandte, dem Erdruͤcken zu entrennen suchte. Man stieg auf die Stuͤhle, um sie zu sehen, die Haͤlse verlaͤn- gerten sich, die Letztern draͤngten die Vordern, und ver-
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kel, Literatur und schoͤnen Kuͤnsten ins Tageslicht hin-
ein, macht durch einen Calembourg einen wuͤrdigen Ge-
lehrten laͤcherlich, unterbricht das interessanteste Gespraͤch
von soliden Dingen durch alberne Kleinigkeiten, mysti-
fizirt, wenn es darauf ankommt, seinen eigenen Va-
ter, ruͤhmt sich, das neueste Stuͤck ausgepfiffen zu haben,
und was dergleichen modische Heldenthaten mehr sind. —
Vom Walzen giebt er, sich selbst zuerst belachend, eine
Definition: „Es ist ein vertrauter Tanz,“ sagt er, „der
„die Amalgamation beider Taͤnzer erfodert, und dahin
„fließt wie Oel auf einem glatten Marmor.“ — Er-
blickt er beim Souper einen jener Aepfelkuchen, den die
Franzosen Charlotte nennen, so bemerkt er sehr wi-
tzig: „Jch moͤchte wohl der Werther dieser Charlotte
seyn.“ — Es giebt Menschen, die sich uͤber einen solchen
aufgeblasenen Jungen aͤrgern koͤnnen, ich selbst aͤrgerte
mich vormals, doch schon seit langer Zeit hab' ich ein
treffliches Mittel dagegen: ich denke mir naͤmlich, wel-
che Rolle dieser Mensch nach 10 oder 15 Jahren spielen
wird? Und dann tritt jedesmal Mitleid an die Stelle
des Aergers.
Der freie Ton an oͤffentlichen Orten, wo alle Klas-
sen gemischt sind, lockt natuͤrlich eine Menge junger Leute
dahin, die sich gar keinen Zwang auflegen moͤgen, und
die finden hier ihre Schule der Hoͤflichkeit. Ma-
dame Recamier kam einst nach Fraskati und be-
zahlte bei dieser Gelegenheit das Vergnuͤgen schoͤn zu
seyn ziemlich theuer. Man litt mit ihr, wenn man sah,
wie sie in der Menge herum schwamm, sich hin und
her wandte, dem Erdruͤcken zu entrennen suchte. Man
stieg auf die Stuͤhle, um sie zu sehen, die Haͤlse verlaͤn-
gerten sich, die Letztern draͤngten die Vordern, und ver-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/177>, abgerufen am 16.02.2025.
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