Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

mag Gott wissen. Es waren viele Autoren darunter.
Doch sind in der That die Autoren in Paris nicht so nei-
disch als bei uns. -- Noch bei der dritten Vorstellung
mußte das Orchester ausgeräumt werden, um der herzu-
strömenden Menge Platz zu machen.

6) Das Theatre du Vaudeville kann bloß Franzo-
sen interessiren: denn erstens, gleichen diese Gassenhauer-
melodien sich alle auf ein Haar; wer eine gehört hat,
der kennt sie alle; und zweitens, treffen die epigramma-
tischen Spitzen ihrer Liederchen meistens Gegenstände, die
nur in Paris bekannt, und auch da nur einige Tage in
der Mode sind. Jch habe den Felrin gesehen, der mir
Langeweile machte, und den blinden Cassander,
über den ich nicht lachen konnte; doch macht Fanchon
das Leyermädchen
eine Ausnahme, wie auch Ber-
quin,
beide von Bouilly. Fanchon wurde durch Ma-
dame Belmont allerliebst gespielt; ich prophezeihe aber,
daß unsere Unzelmann sie übertreffen werde. Jn dem
letztgenannten Stücke (Berquin) war es Schade, daß
eine Mutter auftrat, von der man Anstand und Sitt-
samkeit erwartete, die aber den Entresols des Palais Ro-
yal entlaufen zu seyn schien. -- Der Saal ist niedlich.
-- eine sonderbare Gewohnheit herrscht hier im Publi-
kum. Kein Zipfel eines Shawls darf über die Loge
herabhängen, sonst schreit sogleich das ganze Parterre:
Otez le Shawl! Gehorcht die Dame nicht augenblick-
lich, so verdoppelt sich der Lärm, und es heißt nun:
Jettez le Shawl! Und schon öfter ist die Dame gezwun-
gen gewesen, diesem ungestümmen Verlangen nachzuge-
ben. Thut sie es nicht, so wird so lange geschrien, bis
die Polizey sich darein mischt, und die Dame in der Loge
ersucht, dem Begehren des Publikums zu willfahren.

mag Gott wissen. Es waren viele Autoren darunter.
Doch sind in der That die Autoren in Paris nicht so nei-
disch als bei uns. — Noch bei der dritten Vorstellung
mußte das Orchester ausgeraͤumt werden, um der herzu-
stroͤmenden Menge Platz zu machen.

6) Das Theatre du Vaudeville kann bloß Franzo-
sen interessiren: denn erstens, gleichen diese Gassenhauer-
melodien sich alle auf ein Haar; wer eine gehoͤrt hat,
der kennt sie alle; und zweitens, treffen die epigramma-
tischen Spitzen ihrer Liederchen meistens Gegenstaͤnde, die
nur in Paris bekannt, und auch da nur einige Tage in
der Mode sind. Jch habe den Felrin gesehen, der mir
Langeweile machte, und den blinden Cassander,
uͤber den ich nicht lachen konnte; doch macht Fanchon
das Leyermaͤdchen
eine Ausnahme, wie auch Ber-
quin,
beide von Bouilly. Fanchon wurde durch Ma-
dame Belmont allerliebst gespielt; ich prophezeihe aber,
daß unsere Unzelmann sie uͤbertreffen werde. Jn dem
letztgenannten Stuͤcke (Berquin) war es Schade, daß
eine Mutter auftrat, von der man Anstand und Sitt-
samkeit erwartete, die aber den Entresols des Palais Ro-
yal entlaufen zu seyn schien. — Der Saal ist niedlich.
— eine sonderbare Gewohnheit herrscht hier im Publi-
kum. Kein Zipfel eines Shawls darf uͤber die Loge
herabhaͤngen, sonst schreit sogleich das ganze Parterre:
Otez le Shawl! Gehorcht die Dame nicht augenblick-
lich, so verdoppelt sich der Laͤrm, und es heißt nun:
Jettez le Shawl! Und schon oͤfter ist die Dame gezwun-
gen gewesen, diesem ungestuͤmmen Verlangen nachzuge-
ben. Thut sie es nicht, so wird so lange geschrien, bis
die Polizey sich darein mischt, und die Dame in der Loge
ersucht, dem Begehren des Publikums zu willfahren.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0140" n="140"/>
mag Gott wissen. Es waren viele Autoren darunter.<lb/>
Doch sind in der That die Autoren in Paris nicht so nei-<lb/>
disch als bei uns. &#x2014; Noch bei der dritten Vorstellung<lb/>
mußte das Orchester ausgera&#x0364;umt werden, um der herzu-<lb/>
stro&#x0364;menden Menge Platz zu machen.</p><lb/>
        <p>6) Das Theatre du Vaudeville kann bloß Franzo-<lb/>
sen interessiren: denn erstens, gleichen diese Gassenhauer-<lb/>
melodien sich alle auf ein Haar; wer eine geho&#x0364;rt hat,<lb/>
der kennt sie alle; und zweitens, treffen die epigramma-<lb/>
tischen Spitzen ihrer Liederchen meistens Gegensta&#x0364;nde, die<lb/>
nur in Paris bekannt, und auch da nur einige Tage in<lb/>
der Mode sind. Jch habe den <hi rendition="#g">Felrin</hi> gesehen, der mir<lb/>
Langeweile machte, und den <hi rendition="#g">blinden Cassander,</hi><lb/>
u&#x0364;ber den ich nicht lachen konnte; doch macht <hi rendition="#g">Fanchon<lb/>
das Leyerma&#x0364;dchen</hi> eine Ausnahme, wie auch <hi rendition="#g">Ber-<lb/>
quin,</hi> beide von Bouilly. <hi rendition="#g">Fanchon</hi> wurde durch Ma-<lb/>
dame Belmont allerliebst gespielt; ich prophezeihe aber,<lb/>
daß unsere <hi rendition="#g">Unzelmann</hi> sie u&#x0364;bertreffen werde. Jn dem<lb/>
letztgenannten Stu&#x0364;cke (Berquin) war es Schade, daß<lb/>
eine <hi rendition="#g">Mutter</hi> auftrat, von der man Anstand und Sitt-<lb/>
samkeit erwartete, die aber den Entresols des Palais Ro-<lb/>
yal entlaufen zu seyn schien. &#x2014; Der Saal ist niedlich.<lb/>
&#x2014; eine sonderbare Gewohnheit herrscht hier im Publi-<lb/>
kum. Kein <hi rendition="#g">Zipfel</hi> eines <hi rendition="#g">Shawls</hi> darf u&#x0364;ber die Loge<lb/>
herabha&#x0364;ngen, sonst schreit sogleich das ganze Parterre:<lb/>
Otez le Shawl! Gehorcht die Dame nicht augenblick-<lb/>
lich, so verdoppelt sich der La&#x0364;rm, und es heißt nun:<lb/>
Jettez le Shawl! Und schon o&#x0364;fter ist die Dame gezwun-<lb/>
gen gewesen, diesem ungestu&#x0364;mmen Verlangen nachzuge-<lb/>
ben. Thut sie es nicht, so wird so lange geschrien, bis<lb/>
die Polizey sich darein mischt, und die Dame in der Loge<lb/>
ersucht, dem Begehren des Publikums zu willfahren.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0140] mag Gott wissen. Es waren viele Autoren darunter. Doch sind in der That die Autoren in Paris nicht so nei- disch als bei uns. — Noch bei der dritten Vorstellung mußte das Orchester ausgeraͤumt werden, um der herzu- stroͤmenden Menge Platz zu machen. 6) Das Theatre du Vaudeville kann bloß Franzo- sen interessiren: denn erstens, gleichen diese Gassenhauer- melodien sich alle auf ein Haar; wer eine gehoͤrt hat, der kennt sie alle; und zweitens, treffen die epigramma- tischen Spitzen ihrer Liederchen meistens Gegenstaͤnde, die nur in Paris bekannt, und auch da nur einige Tage in der Mode sind. Jch habe den Felrin gesehen, der mir Langeweile machte, und den blinden Cassander, uͤber den ich nicht lachen konnte; doch macht Fanchon das Leyermaͤdchen eine Ausnahme, wie auch Ber- quin, beide von Bouilly. Fanchon wurde durch Ma- dame Belmont allerliebst gespielt; ich prophezeihe aber, daß unsere Unzelmann sie uͤbertreffen werde. Jn dem letztgenannten Stuͤcke (Berquin) war es Schade, daß eine Mutter auftrat, von der man Anstand und Sitt- samkeit erwartete, die aber den Entresols des Palais Ro- yal entlaufen zu seyn schien. — Der Saal ist niedlich. — eine sonderbare Gewohnheit herrscht hier im Publi- kum. Kein Zipfel eines Shawls darf uͤber die Loge herabhaͤngen, sonst schreit sogleich das ganze Parterre: Otez le Shawl! Gehorcht die Dame nicht augenblick- lich, so verdoppelt sich der Laͤrm, und es heißt nun: Jettez le Shawl! Und schon oͤfter ist die Dame gezwun- gen gewesen, diesem ungestuͤmmen Verlangen nachzuge- ben. Thut sie es nicht, so wird so lange geschrien, bis die Polizey sich darein mischt, und die Dame in der Loge ersucht, dem Begehren des Publikums zu willfahren.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/140
Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/140>, abgerufen am 24.11.2024.