Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.Jch komme nun, 2tens, auf die große Oper, Adrien. Mehül's Musik scheint mir, wenigstens Jch komme nun, 2tens, auf die große Oper, Adrien. Mehuͤl's Musik scheint mir, wenigstens <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0131" n="131"/> <p>Jch komme nun, 2tens, auf <hi rendition="#g">die große Oper,</hi><lb/> welche in manchem Betracht das erste Spektakel in der<lb/> Welt genannt zu werden verdient. <hi rendition="#g">Orchester, Choͤre,</hi><lb/> Dekorationen, <hi rendition="#g">Maschinerie</hi> und <hi rendition="#g">Tanz</hi> werden nir-<lb/> gends so gefunden. Der Gesang allein ist mehr ein <hi rendition="#g">Ge-<lb/> schrey.</hi> Man will das durch die Groͤße des Hauses<lb/> entschuldigen, aber vergebens. Warum vernimmt man<lb/> dann auch von Madame Branchu jeden Ton, obwohl sie<lb/> bei weitem nicht so graͤßlich schreyt als Mamsell Maillard,<lb/> die man sicher einst todt vom Theater tragen wird. Sehr<lb/> oft <hi rendition="#g">uͤberschreyt</hi> sie, bei leidenschaftlichen Rollen, sich<lb/> dermaßen, daß sie nur noch unartikulierte Toͤne von sich<lb/> giebt. Bediente sie sich dieser <hi rendition="#g">Manier,</hi> als Kunstgriff,<lb/> aͤußerst selten, so wuͤrde sie einen großen Effekt darmit<lb/> hervorbringen; es ist aber ihre <hi rendition="#g">Natur,</hi> und kommt in<lb/> jeder Szene wieder vor.</p><lb/> <p>Adrien. <hi rendition="#g">Mehuͤl's</hi> Musik scheint mir, wenigstens<lb/> so vorgetragen, ein Meisterstuͤck der Deklamation. Wie<lb/> stark das Orchester besetzt ist, kann man unter andern<lb/> aus dem Umstande ermessen, daß <hi rendition="#g">sechs</hi> Kontrebaͤsse<lb/> darinn sind. Ueberdieß ist in den meisten Pariser Thea-<lb/> tern der Platz des Orchesters weit zweckmaͤßiger berech-<lb/> net, als in den teutschen. Es ist naͤmlich weniger<lb/><hi rendition="#g">lang</hi> als bei uns, und hingegen <hi rendition="#g">viel breiter.</hi> Der<lb/> Raum, der dadurch in der Mitte fuͤr die Zuschauer ver-<lb/> loren geht, wird an beiden Seiten wieder gewonnen.<lb/> Der Hauptvortheil aber ist, daß die Blaseinstrumente<lb/> nicht zu weit entfernet sitzen, und alle Stimmen mehr<lb/> konzentrirt sind. Es giebt hier keinen Souffler. Der-<lb/> jenige, der das Orchester dirigirt, verwaltet auch zugleich<lb/> dieses Amt. — Die Saͤnger sind zugleich ziemlich gute<lb/> Schauspieler, ein Talent, welches man auch der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [131/0131]
Jch komme nun, 2tens, auf die große Oper,
welche in manchem Betracht das erste Spektakel in der
Welt genannt zu werden verdient. Orchester, Choͤre,
Dekorationen, Maschinerie und Tanz werden nir-
gends so gefunden. Der Gesang allein ist mehr ein Ge-
schrey. Man will das durch die Groͤße des Hauses
entschuldigen, aber vergebens. Warum vernimmt man
dann auch von Madame Branchu jeden Ton, obwohl sie
bei weitem nicht so graͤßlich schreyt als Mamsell Maillard,
die man sicher einst todt vom Theater tragen wird. Sehr
oft uͤberschreyt sie, bei leidenschaftlichen Rollen, sich
dermaßen, daß sie nur noch unartikulierte Toͤne von sich
giebt. Bediente sie sich dieser Manier, als Kunstgriff,
aͤußerst selten, so wuͤrde sie einen großen Effekt darmit
hervorbringen; es ist aber ihre Natur, und kommt in
jeder Szene wieder vor.
Adrien. Mehuͤl's Musik scheint mir, wenigstens
so vorgetragen, ein Meisterstuͤck der Deklamation. Wie
stark das Orchester besetzt ist, kann man unter andern
aus dem Umstande ermessen, daß sechs Kontrebaͤsse
darinn sind. Ueberdieß ist in den meisten Pariser Thea-
tern der Platz des Orchesters weit zweckmaͤßiger berech-
net, als in den teutschen. Es ist naͤmlich weniger
lang als bei uns, und hingegen viel breiter. Der
Raum, der dadurch in der Mitte fuͤr die Zuschauer ver-
loren geht, wird an beiden Seiten wieder gewonnen.
Der Hauptvortheil aber ist, daß die Blaseinstrumente
nicht zu weit entfernet sitzen, und alle Stimmen mehr
konzentrirt sind. Es giebt hier keinen Souffler. Der-
jenige, der das Orchester dirigirt, verwaltet auch zugleich
dieses Amt. — Die Saͤnger sind zugleich ziemlich gute
Schauspieler, ein Talent, welches man auch der
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