Lafond kam gar nicht, trotz alles Schreyens. Die Mu- sik hob an, man schrie fort. Der Vorhang rollte auf, das zweyte Stück sollte beginnen; man ließ die Schau- spieler nicht zum Worte kommen. Endlich trat Einer der Mitspielenden vor, und sagte: Meine Herren! unser Ka- merad befindet sich nicht wohl. Nun waren sie zufrie- den. -- Les projets du mariage, von Duval, ist ein artiges Stück, und wurde sehr lebhaft gespielt. -- An- dromaque. Heute sah ich zum erstenmale die berühmte Mademoiselle Düchesnois als Hermione. Man hat mich oft in Paris gefragt, ob sie oder ihre schöne Nebenbuhlerinn, Mademoiselle Gorge, mir besser ge- fiele? Jch bin, wenn ich konnte, der Antwort gern aus- gewichen; konnt' ich aber nicht, so gestand ich freymü- thig, daß mir Keine von Beyden behage. Mademoisselle Düchesnois ist erstens sehr viel häßlicher, als einer Schauspielerinn erlaubt ist zu seyn. Zweytens, hat sie, außer allen Fehlern der französischen Manier, auch noch einige, die ihr eigen sind, nämlich eine Art von Ge- sang in der Deklamation; und dann legt sie mit ihrer ganzen Schwere sich auf mehrere Sylben in jeder Zei- le, und reckt diese gewaltig. Dabey ist Alles so offenbar studiert; sie scheint immer vor dem Spiegel zu stehen; kein Ton kommt aus dem Herzen, oder ist von der Na- tur eingehaucht, lauter Kunst und abermal Kunst. Hin- gegen war Talma als Orest ganz vortrefflich; und hätte ich nie Etwas von ihm gehört, als den letzten Monolog in Andromache, so wüßte ich genug, um zu behaupten, daß er unter die größten Schauspieler ge- hört, die gelebt haben und leben werden.
Uebrigens finde ich meine alte Bemerkung täglich be- stättigt, daß nämlich die Franzosen für den Ausdruck des
Lafond kam gar nicht, trotz alles Schreyens. Die Mu- sik hob an, man schrie fort. Der Vorhang rollte auf, das zweyte Stuͤck sollte beginnen; man ließ die Schau- spieler nicht zum Worte kommen. Endlich trat Einer der Mitspielenden vor, und sagte: Meine Herren! unser Ka- merad befindet sich nicht wohl. Nun waren sie zufrie- den. — Les projets du mariage, von Duval, ist ein artiges Stuͤck, und wurde sehr lebhaft gespielt. — An- dromaque. Heute sah ich zum erstenmale die beruͤhmte Mademoiselle Duͤchesnois als Hermione. Man hat mich oft in Paris gefragt, ob sie oder ihre schoͤne Nebenbuhlerinn, Mademoiselle Gorge, mir besser ge- fiele? Jch bin, wenn ich konnte, der Antwort gern aus- gewichen; konnt' ich aber nicht, so gestand ich freymuͤ- thig, daß mir Keine von Beyden behage. Mademoisselle Duͤchesnois ist erstens sehr viel haͤßlicher, als einer Schauspielerinn erlaubt ist zu seyn. Zweytens, hat sie, außer allen Fehlern der franzoͤsischen Manier, auch noch einige, die ihr eigen sind, naͤmlich eine Art von Ge- sang in der Deklamation; und dann legt sie mit ihrer ganzen Schwere sich auf mehrere Sylben in jeder Zei- le, und reckt diese gewaltig. Dabey ist Alles so offenbar studiert; sie scheint immer vor dem Spiegel zu stehen; kein Ton kommt aus dem Herzen, oder ist von der Na- tur eingehaucht, lauter Kunst und abermal Kunst. Hin- gegen war Talma als Orest ganz vortrefflich; und haͤtte ich nie Etwas von ihm gehoͤrt, als den letzten Monolog in Andromache, so wuͤßte ich genug, um zu behaupten, daß er unter die groͤßten Schauspieler ge- hoͤrt, die gelebt haben und leben werden.
Uebrigens finde ich meine alte Bemerkung taͤglich be- staͤttigt, daß naͤmlich die Franzosen fuͤr den Ausdruck des
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Lafond kam gar nicht, trotz alles Schreyens. Die Mu-
sik hob an, man schrie fort. Der Vorhang rollte auf,
das zweyte Stuͤck sollte beginnen; man ließ die Schau-
spieler nicht zum Worte kommen. Endlich trat Einer der
Mitspielenden vor, und sagte: Meine Herren! unser Ka-
merad befindet sich nicht wohl. Nun waren sie zufrie-
den. — Les projets du mariage, von Duval, ist ein
artiges Stuͤck, und wurde sehr lebhaft gespielt. — An-
dromaque. Heute sah ich zum erstenmale die beruͤhmte
Mademoiselle Duͤchesnois als Hermione. Man
hat mich oft in Paris gefragt, ob sie oder ihre schoͤne
Nebenbuhlerinn, Mademoiselle Gorge, mir besser ge-
fiele? Jch bin, wenn ich konnte, der Antwort gern aus-
gewichen; konnt' ich aber nicht, so gestand ich freymuͤ-
thig, daß mir Keine von Beyden behage. Mademoisselle
Duͤchesnois ist erstens sehr viel haͤßlicher, als einer
Schauspielerinn erlaubt ist zu seyn. Zweytens, hat sie,
außer allen Fehlern der franzoͤsischen Manier, auch noch
einige, die ihr eigen sind, naͤmlich eine Art von Ge-
sang in der Deklamation; und dann legt sie mit ihrer
ganzen Schwere sich auf mehrere Sylben in jeder Zei-
le, und reckt diese gewaltig. Dabey ist Alles so offenbar
studiert; sie scheint immer vor dem Spiegel zu stehen;
kein Ton kommt aus dem Herzen, oder ist von der Na-
tur eingehaucht, lauter Kunst und abermal Kunst. Hin-
gegen war Talma als Orest ganz vortrefflich; und
haͤtte ich nie Etwas von ihm gehoͤrt, als den letzten
Monolog in Andromache, so wuͤßte ich genug, um
zu behaupten, daß er unter die groͤßten Schauspieler ge-
hoͤrt, die gelebt haben und leben werden.
Uebrigens finde ich meine alte Bemerkung taͤglich be-
staͤttigt, daß naͤmlich die Franzosen fuͤr den Ausdruck des
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/123>, abgerufen am 08.07.2024.
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