Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.ein halbes Dutzend Gassenbuben Burzelbäume machen ge- ein halbes Dutzend Gassenbuben Burzelbaͤume machen ge- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0066" n="62"/> ein halbes Dutzend Gassenbuben Burzelbaͤume machen ge-<lb/> lehrt. Ein Paar von seinen Lehrlingen scheinen ihm ent-<lb/> wischt zu seyn, und die Kunst auf ihre eigene Hand trei-<lb/> ben zu wollen. Sie haben dort an der Straßenecke ein<lb/> Stuͤck Tapete ausgebreitet, das so durchloͤchert ist, daß<lb/> es kaum noch zusammen haͤngt; ihren eigenen Lumpen ha-<lb/> ben sie gesucht, die Form von Luftspringer-Kleidung zu<lb/> geben, und nun kullert sich der Eine auf dem Teppich<lb/> herum, indessen der Andere die platten Spaͤschen eines<lb/> Paillasso nachzuahmen bemuͤht ist. — Eben so wenig<lb/> Aufmerksamkeit verdient jener Kerl mit seinen Bechern;<lb/> er ist ein gewoͤhnlicher Taschenspieler. — Aber einen Au-<lb/> genblick hinter diesen Vorhang zu treten, wird Sie nicht<lb/> gereuen. Sie finden da ein seltsames weibliches Wesen,<lb/> dem die Natur den Maͤnnerschmuck verliehen, ein Maͤd-<lb/> chen mit einem langen, schwarzen, dicken Capuziner-Bart.<lb/> Betrug ist nicht dabei, ich hab' es genau untersucht. Das<lb/> Maͤdchen ist noch in den Zwanzigen, und ihre Augen, die,<lb/> als ich bei ihr war, noch obendrein trieften, sind von ein<lb/> Paar gewaltig buschigten, kohlschwarzen Augenbraunen be-<lb/> schattet. Denken Sie sich nun dieses so reich verzierte<lb/> Gesicht unter einem schmutzigen weißen <hi rendition="#g">Turban,</hi> gleich<lb/> unter dem schwarzen Barte ein Paar starke weiße Bruͤste,<lb/> die bloßen Arme und Fuͤße, wie auch der Nakken, mit<lb/> Haaren dicht bewachsen, und Sie werden freilich die Fi-<lb/> gur nicht reizend finden. Waͤren die Bruͤste nicht, und<lb/> saͤnge sie nicht mit einer feinen kreischenden Stimme zum<lb/> Davonlaufen, man wuͤrde sich nie uͤberzeugen, daß wirk-<lb/> lich ein Frauenzimmer vor einem stehe. „Sie sey aus<lb/> Norwegen gebuͤrtig, sagt ihr Begleiter, <hi rendition="#g">fuͤnfhundert<lb/> Meilen hinter Bergen.</hi>“ Jch gab mich fuͤr einen<lb/> Daͤnen aus, und fragte nach ihrer Muttersprache. Das<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [62/0066]
ein halbes Dutzend Gassenbuben Burzelbaͤume machen ge-
lehrt. Ein Paar von seinen Lehrlingen scheinen ihm ent-
wischt zu seyn, und die Kunst auf ihre eigene Hand trei-
ben zu wollen. Sie haben dort an der Straßenecke ein
Stuͤck Tapete ausgebreitet, das so durchloͤchert ist, daß
es kaum noch zusammen haͤngt; ihren eigenen Lumpen ha-
ben sie gesucht, die Form von Luftspringer-Kleidung zu
geben, und nun kullert sich der Eine auf dem Teppich
herum, indessen der Andere die platten Spaͤschen eines
Paillasso nachzuahmen bemuͤht ist. — Eben so wenig
Aufmerksamkeit verdient jener Kerl mit seinen Bechern;
er ist ein gewoͤhnlicher Taschenspieler. — Aber einen Au-
genblick hinter diesen Vorhang zu treten, wird Sie nicht
gereuen. Sie finden da ein seltsames weibliches Wesen,
dem die Natur den Maͤnnerschmuck verliehen, ein Maͤd-
chen mit einem langen, schwarzen, dicken Capuziner-Bart.
Betrug ist nicht dabei, ich hab' es genau untersucht. Das
Maͤdchen ist noch in den Zwanzigen, und ihre Augen, die,
als ich bei ihr war, noch obendrein trieften, sind von ein
Paar gewaltig buschigten, kohlschwarzen Augenbraunen be-
schattet. Denken Sie sich nun dieses so reich verzierte
Gesicht unter einem schmutzigen weißen Turban, gleich
unter dem schwarzen Barte ein Paar starke weiße Bruͤste,
die bloßen Arme und Fuͤße, wie auch der Nakken, mit
Haaren dicht bewachsen, und Sie werden freilich die Fi-
gur nicht reizend finden. Waͤren die Bruͤste nicht, und
saͤnge sie nicht mit einer feinen kreischenden Stimme zum
Davonlaufen, man wuͤrde sich nie uͤberzeugen, daß wirk-
lich ein Frauenzimmer vor einem stehe. „Sie sey aus
Norwegen gebuͤrtig, sagt ihr Begleiter, fuͤnfhundert
Meilen hinter Bergen.“ Jch gab mich fuͤr einen
Daͤnen aus, und fragte nach ihrer Muttersprache. Das
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