mel gerade unter sich, ist einzig. -- Die herrlichen Spa- ziergänge um Zürich würden selbst einen Podagristen zum Spazierengehen verleiten. Geßners Denkmahl ist so ein- fach und schön erfunden, daß man einer Thräne sanfter Wehmuth sich kaum erwehren kann. Schade nur, daß die französischen Chasseurs, die eben jetzt keine andere Ge- legenheit haben, ihre Namen zu verewigen, sich bemühen, es auf diesem Marmor zu thun. An vielen Stellen fand ich das dreizehnte Regiment der Chasseurs angekritzelt, was sich denn freilich zu dieser Jdyllenwelt paßt, wie ei- ne Flinte zu einem Rosenstrauch. Auf der Bibliothek -- nun, da stehen viele Bücher. Mehr kann ein gewöhnli- cher Reisender wohl selten von einer Bibliothek sagen. Ein Paar eigenhändige Briefe von der berühmten und unglück- lichen Johanna Gray haben mich interessirt. Sie sind in Religionsangelegenheiten, in sehr gutem Latein, und so schön geschrieben, als habe sie jeden Zug dem Schreib- meister nachgemahlt.
Lavaters physiognomisches Kabinet habe ich nur flüch- tig gesehen. Das Merkwürdigste darin sind nicht sowohl die vielen Gesichter, welche er gesammelt hat, als viel- mehr die Unterschriften, mit welchen er jedes bedeu- tende oder unbedeutende Gesicht beehrte. Man kennt sei- nen umwölkten Lapidarstyl. Zuweilen scheint es ihm viel Mühe gemacht zu haben, recht viel Seltsames in dunkle oder neugemachte Worte zusammen zu pressen. -- Die Stimmung der Schweizer gleicht überall noch immer ei- nem wogenden See, aus dem ein unterirdisches Feuer plötzlich Klippen hervorgetrieben, an denen die eingeeng- ten Wellen jetzt ohnmächtig schäumen. Die Wände der Wirthshäuser sind oft mit bittern Ein- und Ausfällen bekritzelt, die zuweilen nicht ohne Witz sind. Den heftig-
mel gerade unter sich, ist einzig. — Die herrlichen Spa- ziergaͤnge um Zuͤrich wuͤrden selbst einen Podagristen zum Spazierengehen verleiten. Geßners Denkmahl ist so ein- fach und schoͤn erfunden, daß man einer Thraͤne sanfter Wehmuth sich kaum erwehren kann. Schade nur, daß die franzoͤsischen Chasseurs, die eben jetzt keine andere Ge- legenheit haben, ihre Namen zu verewigen, sich bemuͤhen, es auf diesem Marmor zu thun. An vielen Stellen fand ich das dreizehnte Regiment der Chasseurs angekritzelt, was sich denn freilich zu dieser Jdyllenwelt paßt, wie ei- ne Flinte zu einem Rosenstrauch. Auf der Bibliothek — nun, da stehen viele Buͤcher. Mehr kann ein gewoͤhnli- cher Reisender wohl selten von einer Bibliothek sagen. Ein Paar eigenhaͤndige Briefe von der beruͤhmten und ungluͤck- lichen Johanna Gray haben mich interessirt. Sie sind in Religionsangelegenheiten, in sehr gutem Latein, und so schoͤn geschrieben, als habe sie jeden Zug dem Schreib- meister nachgemahlt.
Lavaters physiognomisches Kabinet habe ich nur fluͤch- tig gesehen. Das Merkwuͤrdigste darin sind nicht sowohl die vielen Gesichter, welche er gesammelt hat, als viel- mehr die Unterschriften, mit welchen er jedes bedeu- tende oder unbedeutende Gesicht beehrte. Man kennt sei- nen umwoͤlkten Lapidarstyl. Zuweilen scheint es ihm viel Muͤhe gemacht zu haben, recht viel Seltsames in dunkle oder neugemachte Worte zusammen zu pressen. — Die Stimmung der Schweizer gleicht uͤberall noch immer ei- nem wogenden See, aus dem ein unterirdisches Feuer ploͤtzlich Klippen hervorgetrieben, an denen die eingeeng- ten Wellen jetzt ohnmaͤchtig schaͤumen. Die Waͤnde der Wirthshaͤuser sind oft mit bittern Ein- und Ausfaͤllen bekritzelt, die zuweilen nicht ohne Witz sind. Den heftig-
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mel gerade unter sich, ist einzig. — Die herrlichen Spa-
ziergaͤnge um Zuͤrich wuͤrden selbst einen Podagristen zum
Spazierengehen verleiten. Geßners Denkmahl ist so ein-
fach und schoͤn erfunden, daß man einer Thraͤne sanfter
Wehmuth sich kaum erwehren kann. Schade nur, daß
die franzoͤsischen Chasseurs, die eben jetzt keine andere Ge-
legenheit haben, ihre Namen zu verewigen, sich bemuͤhen,
es auf diesem Marmor zu thun. An vielen Stellen fand
ich das dreizehnte Regiment der Chasseurs angekritzelt,
was sich denn freilich zu dieser Jdyllenwelt paßt, wie ei-
ne Flinte zu einem Rosenstrauch. Auf der Bibliothek —
nun, da stehen viele Buͤcher. Mehr kann ein gewoͤhnli-
cher Reisender wohl selten von einer Bibliothek sagen. Ein
Paar eigenhaͤndige Briefe von der beruͤhmten und ungluͤck-
lichen Johanna Gray haben mich interessirt. Sie sind
in Religionsangelegenheiten, in sehr gutem Latein, und
so schoͤn geschrieben, als habe sie jeden Zug dem Schreib-
meister nachgemahlt.
Lavaters physiognomisches Kabinet habe ich nur fluͤch-
tig gesehen. Das Merkwuͤrdigste darin sind nicht sowohl
die vielen Gesichter, welche er gesammelt hat, als viel-
mehr die Unterschriften, mit welchen er jedes bedeu-
tende oder unbedeutende Gesicht beehrte. Man kennt sei-
nen umwoͤlkten Lapidarstyl. Zuweilen scheint es ihm viel
Muͤhe gemacht zu haben, recht viel Seltsames in dunkle
oder neugemachte Worte zusammen zu pressen. — Die
Stimmung der Schweizer gleicht uͤberall noch immer ei-
nem wogenden See, aus dem ein unterirdisches Feuer
ploͤtzlich Klippen hervorgetrieben, an denen die eingeeng-
ten Wellen jetzt ohnmaͤchtig schaͤumen. Die Waͤnde der
Wirthshaͤuser sind oft mit bittern Ein- und Ausfaͤllen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/31>, abgerufen am 08.07.2024.
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