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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

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Abgrundes zurückgeschreckt hat. Das Local ist dabei so
vortrefflich gewählt; zu beiden Seiten desselben wohnen
Freudenmädchen. -- Außer den erwähnten Gegenstän-
den findet man darin auch noch sehr instructive Abbil-
dungen vom ganzen Bau des menschlichen Körpers,
Kinder vom ersten bis zum letzten Monat der Schwan-
gerschaft, unzeitige Geburten, Hermaphroditen, Ge-
bährerinnen, die Operation des Kaiserschnitts, Gewäch-
se, Polypen, Hasenscharten, Pocken, Kuhpocken, Pest,
Krebsschäden, allerlei Frauenzimmerkrankheiten, (wo-
bei die Bemerkung geschrieben ist, daß man gewöhnlich
die schwangern Frauen vielen Gefahren unterworfen
glaube, daß aber die Mädchen und Wittwen oft mit
weit schlimmern Uebeln kämpften, ohne daß man es ah-
ne), die ganze innere Beschaffenheit des Menschen, der
Kopf horizontal und perpendicular durchschnitten, Am-
putationen etc. etc. Kurz, es ist wohl unmöglich, für 30
Sous eine größere Menge von unterrichtenden Gegen-
ständen zu betrachten. Nur muß ich auch bedauern,
daß sehr zartnervige Personen es kaum aushalten werden.

Was ich jetzt noch hinzufügen werde, wird unglaub-
lich scheinen, und ohne einen unverwerflichen Bürgen
möchte ich es nicht wiederholen. Deutsche Aerzte nem-
lich, die ihren Aufenthalt in Paris wählen, sind an-
fangs viel zu bescheiden, sie bringen Schamhaftigkeit mit,
wollen vor Eltern und Geschwistern nicht von häßlichen
Krankheiten mit den jungen Leuten reden, hören aber
bald mit Erstaunen, daß diese ganz frei davon sprechen,
und die Schwestern dabei sitzen, sich wohl gar ins Ge-
spräch mischen, und diesen oder jenen vergessenen Um-
stand nachholen. Die Frauenzimmer sollen ein sehr ge-
übtes Auge darin haben, Jünglingen anzusehen, was
ihnen fehlt. Einen solchen necken sie auch wohl, und
sagen: il s'est brule. --

O heilige Schaam! Kapellen hast du noch hin
und wieder in Paris, aber Tempel nicht.

Abgrundes zuruͤckgeschreckt hat. Das Local ist dabei so
vortrefflich gewaͤhlt; zu beiden Seiten desselben wohnen
Freudenmaͤdchen. — Außer den erwaͤhnten Gegenstaͤn-
den findet man darin auch noch sehr instructive Abbil-
dungen vom ganzen Bau des menschlichen Koͤrpers,
Kinder vom ersten bis zum letzten Monat der Schwan-
gerschaft, unzeitige Geburten, Hermaphroditen, Ge-
baͤhrerinnen, die Operation des Kaiserschnitts, Gewaͤch-
se, Polypen, Hasenscharten, Pocken, Kuhpocken, Pest,
Krebsschaͤden, allerlei Frauenzimmerkrankheiten, (wo-
bei die Bemerkung geschrieben ist, daß man gewoͤhnlich
die schwangern Frauen vielen Gefahren unterworfen
glaube, daß aber die Maͤdchen und Wittwen oft mit
weit schlimmern Uebeln kaͤmpften, ohne daß man es ah-
ne), die ganze innere Beschaffenheit des Menschen, der
Kopf horizontal und perpendicular durchschnitten, Am-
putationen etc. etc. Kurz, es ist wohl unmoͤglich, fuͤr 30
Sous eine groͤßere Menge von unterrichtenden Gegen-
staͤnden zu betrachten. Nur muß ich auch bedauern,
daß sehr zartnervige Personen es kaum aushalten werden.

Was ich jetzt noch hinzufuͤgen werde, wird unglaub-
lich scheinen, und ohne einen unverwerflichen Buͤrgen
moͤchte ich es nicht wiederholen. Deutsche Aerzte nem-
lich, die ihren Aufenthalt in Paris waͤhlen, sind an-
fangs viel zu bescheiden, sie bringen Schamhaftigkeit mit,
wollen vor Eltern und Geschwistern nicht von haͤßlichen
Krankheiten mit den jungen Leuten reden, hoͤren aber
bald mit Erstaunen, daß diese ganz frei davon sprechen,
und die Schwestern dabei sitzen, sich wohl gar ins Ge-
spraͤch mischen, und diesen oder jenen vergessenen Um-
stand nachholen. Die Frauenzimmer sollen ein sehr ge-
uͤbtes Auge darin haben, Juͤnglingen anzusehen, was
ihnen fehlt. Einen solchen necken sie auch wohl, und
sagen: il s'est brulé. —

O heilige Schaam! Kapellen hast du noch hin
und wieder in Paris, aber Tempel nicht.

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[199/0203] Abgrundes zuruͤckgeschreckt hat. Das Local ist dabei so vortrefflich gewaͤhlt; zu beiden Seiten desselben wohnen Freudenmaͤdchen. — Außer den erwaͤhnten Gegenstaͤn- den findet man darin auch noch sehr instructive Abbil- dungen vom ganzen Bau des menschlichen Koͤrpers, Kinder vom ersten bis zum letzten Monat der Schwan- gerschaft, unzeitige Geburten, Hermaphroditen, Ge- baͤhrerinnen, die Operation des Kaiserschnitts, Gewaͤch- se, Polypen, Hasenscharten, Pocken, Kuhpocken, Pest, Krebsschaͤden, allerlei Frauenzimmerkrankheiten, (wo- bei die Bemerkung geschrieben ist, daß man gewoͤhnlich die schwangern Frauen vielen Gefahren unterworfen glaube, daß aber die Maͤdchen und Wittwen oft mit weit schlimmern Uebeln kaͤmpften, ohne daß man es ah- ne), die ganze innere Beschaffenheit des Menschen, der Kopf horizontal und perpendicular durchschnitten, Am- putationen etc. etc. Kurz, es ist wohl unmoͤglich, fuͤr 30 Sous eine groͤßere Menge von unterrichtenden Gegen- staͤnden zu betrachten. Nur muß ich auch bedauern, daß sehr zartnervige Personen es kaum aushalten werden. Was ich jetzt noch hinzufuͤgen werde, wird unglaub- lich scheinen, und ohne einen unverwerflichen Buͤrgen moͤchte ich es nicht wiederholen. Deutsche Aerzte nem- lich, die ihren Aufenthalt in Paris waͤhlen, sind an- fangs viel zu bescheiden, sie bringen Schamhaftigkeit mit, wollen vor Eltern und Geschwistern nicht von haͤßlichen Krankheiten mit den jungen Leuten reden, hoͤren aber bald mit Erstaunen, daß diese ganz frei davon sprechen, und die Schwestern dabei sitzen, sich wohl gar ins Ge- spraͤch mischen, und diesen oder jenen vergessenen Um- stand nachholen. Die Frauenzimmer sollen ein sehr ge- uͤbtes Auge darin haben, Juͤnglingen anzusehen, was ihnen fehlt. Einen solchen necken sie auch wohl, und sagen: il s'est brulé. — O heilige Schaam! Kapellen hast du noch hin und wieder in Paris, aber Tempel nicht.

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/203>, abgerufen am 23.11.2024.