kennen, daß einem Taugenichts das Leben und Sterben unmöglich bequemer gemacht werden kann.
Dagegen giebt es aber auch wieder eine große Men- ge Aerzte und Chirurgen in Paris, die den Verwüstun- gen des Wollustgiftes entgegen arbeiten, und mit wohl- feiler Menschenliebe den Leuten auf der Straße ihre Dien- ste anbieten. Man kann nie einen Fuß in das Palais royal setzen, ohne sogleich von allen Seiten kleine ge- druckte Zettel in die Hand gesteckt zu erhalten. Die Weiber, welche dazu gedungen werden, besitzen eine so ganz eigene Geschicklichkeit darin, daß, wenn man auch die Hände gar nicht ausstreckt, man doch das Zettelchen plötzlich darin fühlt, ohne zu wissen wie es hinein ge- kommen, und die Geschwindigkeit dieser Frauen ist so be- wundernswürdig, daß, wenn der erste noch die Finger krümmt, um das Papier zu fassen, schon drei andere indessen es wieder empfangen haben. Restaurateurs, Schneider, Schuster, kurz alles, was gern bekannt oder nicht gern vergessen seyn möchte, empfiehlt sich auf diese Weise. Aber man kann darauf wetten, daß unter zehn solchen gedruckten Anpreisungen immer neun den Ge- genstand betreffen, von welchem ich hier rede.
Der eine hat ein Berathschlagungscabinet (Cabinet de consultations), rühmt seine Kenntnisse und seinen moralischen Charakter, sagt, er sey unfähig das Volk zu betrügen, und auf die Schlachtbank zu liefern, (d'en faire des victimes) verspricht das Uebel blos durch Pflanzen, ohne Tisane, und dennoch schneller als ge- wöhnlich zu heilen. Der Patron heißt Chauberge. -- Ein anderer, Neuville, bietet seinen guten Rath gratis an, heilt die Lustseuche in 12 Tagen, und, wenn sie alt und eingewurzelt ist, in 20 bis 25 Tagen; seine Mittel
kennen, daß einem Taugenichts das Leben und Sterben unmoͤglich bequemer gemacht werden kann.
Dagegen giebt es aber auch wieder eine große Men- ge Aerzte und Chirurgen in Paris, die den Verwuͤstun- gen des Wollustgiftes entgegen arbeiten, und mit wohl- feiler Menschenliebe den Leuten auf der Straße ihre Dien- ste anbieten. Man kann nie einen Fuß in das Palais royal setzen, ohne sogleich von allen Seiten kleine ge- druckte Zettel in die Hand gesteckt zu erhalten. Die Weiber, welche dazu gedungen werden, besitzen eine so ganz eigene Geschicklichkeit darin, daß, wenn man auch die Haͤnde gar nicht ausstreckt, man doch das Zettelchen ploͤtzlich darin fuͤhlt, ohne zu wissen wie es hinein ge- kommen, und die Geschwindigkeit dieser Frauen ist so be- wundernswuͤrdig, daß, wenn der erste noch die Finger kruͤmmt, um das Papier zu fassen, schon drei andere indessen es wieder empfangen haben. Restaurateurs, Schneider, Schuster, kurz alles, was gern bekannt oder nicht gern vergessen seyn moͤchte, empfiehlt sich auf diese Weise. Aber man kann darauf wetten, daß unter zehn solchen gedruckten Anpreisungen immer neun den Ge- genstand betreffen, von welchem ich hier rede.
Der eine hat ein Berathschlagungscabinet (Cabinet de consultations), ruͤhmt seine Kenntnisse und seinen moralischen Charakter, sagt, er sey unfaͤhig das Volk zu betruͤgen, und auf die Schlachtbank zu liefern, (d'en faire des victimes) verspricht das Uebel blos durch Pflanzen, ohne Tisane, und dennoch schneller als ge- woͤhnlich zu heilen. Der Patron heißt Chauberge. — Ein anderer, Neuville, bietet seinen guten Rath gratis an, heilt die Lustseuche in 12 Tagen, und, wenn sie alt und eingewurzelt ist, in 20 bis 25 Tagen; seine Mittel
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kennen, daß einem Taugenichts das Leben und Sterben
unmoͤglich bequemer gemacht werden kann.
Dagegen giebt es aber auch wieder eine große Men-
ge Aerzte und Chirurgen in Paris, die den Verwuͤstun-
gen des Wollustgiftes entgegen arbeiten, und mit wohl-
feiler Menschenliebe den Leuten auf der Straße ihre Dien-
ste anbieten. Man kann nie einen Fuß in das Palais
royal setzen, ohne sogleich von allen Seiten kleine ge-
druckte Zettel in die Hand gesteckt zu erhalten. Die
Weiber, welche dazu gedungen werden, besitzen eine so
ganz eigene Geschicklichkeit darin, daß, wenn man auch
die Haͤnde gar nicht ausstreckt, man doch das Zettelchen
ploͤtzlich darin fuͤhlt, ohne zu wissen wie es hinein ge-
kommen, und die Geschwindigkeit dieser Frauen ist so be-
wundernswuͤrdig, daß, wenn der erste noch die Finger
kruͤmmt, um das Papier zu fassen, schon drei andere
indessen es wieder empfangen haben. Restaurateurs,
Schneider, Schuster, kurz alles, was gern bekannt oder
nicht gern vergessen seyn moͤchte, empfiehlt sich auf diese
Weise. Aber man kann darauf wetten, daß unter zehn
solchen gedruckten Anpreisungen immer neun den Ge-
genstand betreffen, von welchem ich hier rede.
Der eine hat ein Berathschlagungscabinet
(Cabinet de consultations), ruͤhmt seine Kenntnisse und
seinen moralischen Charakter, sagt, er sey unfaͤhig das
Volk zu betruͤgen, und auf die Schlachtbank zu liefern,
(d'en faire des victimes) verspricht das Uebel blos durch
Pflanzen, ohne Tisane, und dennoch schneller als ge-
woͤhnlich zu heilen. Der Patron heißt Chauberge. —
Ein anderer, Neuville, bietet seinen guten Rath gratis
an, heilt die Lustseuche in 12 Tagen, und, wenn sie alt
und eingewurzelt ist, in 20 bis 25 Tagen; seine Mittel
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/200>, abgerufen am 08.07.2024.
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