knillen, und drittens ihren Kopfputz zu entpudern: statt daß jetzt --
Sie. O jetzt können sie wahrhaftig alles thun was ihnen beliebt, man wird es hinterdrein gar nicht gewahr. Aber ist es wohl begreiflich, daß Väter, Mütter und Ehemänner ihnen erlaubt haben, sich so zu entklei- den?
Er. Jch habe mir nichts vorzuwerfen. Schon als man statt der Schnürbrüste mit Fischbein die bloßen Cor- sets einführte, sagte ich gleich die Revolution voraus.
Sie. Jch auch, als man die Reifröcke kleiner mach- te. Das Schlimmste von allem ist noch, daß das Pub- likum sich gar nicht einmal darüber betrübt.
So plaudern sie noch ein Weilchen fort, beschließen dem Gouvernement Vorstellungen zu überreichen, und, wenn es derselben nicht achtete, es für absurd zu er- klären.
Obiges Gespräch zeichnet bereits treffend die heutige Mode sich zu kleiden, die allerdings für lüsterne Män- neraugen die schönste ist, die der Satan jemals erfin- den konnte. Die Kleidung, die man heut zu Tage ehr- bar nennt, hätte man vor hundert Jahren nicht ein- mal einem Lustmädchen öffentlich zu tragen erlaubt. Wenn das nun so fort geht -- und warum sollt' es nicht? -- so werden in hundert Jahren unsere Enkelinnen ih- re Töchter mit wenigen Kosten kleiden. Man lacht wohl jetzt über den Gedanken, daß unsere Urenkelinnen viel- leicht nur Schürzen von Feigenblättern tragen werden; aber ich bitte, ist denn der Abstand vom Feigenblatt bis zu den jetzigen durchsichtigen Hemden größer, als von diesen bis zu dem vormaligen Reifrocke? ich dächte nicht,
knillen, und drittens ihren Kopfputz zu entpudern: statt daß jetzt —
Sie. O jetzt koͤnnen sie wahrhaftig alles thun was ihnen beliebt, man wird es hinterdrein gar nicht gewahr. Aber ist es wohl begreiflich, daß Vaͤter, Muͤtter und Ehemaͤnner ihnen erlaubt haben, sich so zu entklei- den?
Er. Jch habe mir nichts vorzuwerfen. Schon als man statt der Schnuͤrbruͤste mit Fischbein die bloßen Cor- sets einfuͤhrte, sagte ich gleich die Revolution voraus.
Sie. Jch auch, als man die Reifroͤcke kleiner mach- te. Das Schlimmste von allem ist noch, daß das Pub- likum sich gar nicht einmal daruͤber betruͤbt.
So plaudern sie noch ein Weilchen fort, beschließen dem Gouvernement Vorstellungen zu uͤberreichen, und, wenn es derselben nicht achtete, es fuͤr absurd zu er- klaͤren.
Obiges Gespraͤch zeichnet bereits treffend die heutige Mode sich zu kleiden, die allerdings fuͤr luͤsterne Maͤn- neraugen die schoͤnste ist, die der Satan jemals erfin- den konnte. Die Kleidung, die man heut zu Tage ehr- bar nennt, haͤtte man vor hundert Jahren nicht ein- mal einem Lustmaͤdchen oͤffentlich zu tragen erlaubt. Wenn das nun so fort geht — und warum sollt' es nicht? — so werden in hundert Jahren unsere Enkelinnen ih- re Toͤchter mit wenigen Kosten kleiden. Man lacht wohl jetzt uͤber den Gedanken, daß unsere Urenkelinnen viel- leicht nur Schuͤrzen von Feigenblaͤttern tragen werden; aber ich bitte, ist denn der Abstand vom Feigenblatt bis zu den jetzigen durchsichtigen Hemden groͤßer, als von diesen bis zu dem vormaligen Reifrocke? ich daͤchte nicht,
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knillen, und drittens ihren Kopfputz zu entpudern:
statt daß jetzt —
Sie. O jetzt koͤnnen sie wahrhaftig alles thun was
ihnen beliebt, man wird es hinterdrein gar nicht gewahr.
Aber ist es wohl begreiflich, daß Vaͤter, Muͤtter und
Ehemaͤnner ihnen erlaubt haben, sich so zu entklei-
den?
Er. Jch habe mir nichts vorzuwerfen. Schon als
man statt der Schnuͤrbruͤste mit Fischbein die bloßen Cor-
sets einfuͤhrte, sagte ich gleich die Revolution voraus.
Sie. Jch auch, als man die Reifroͤcke kleiner mach-
te. Das Schlimmste von allem ist noch, daß das Pub-
likum sich gar nicht einmal daruͤber betruͤbt.
So plaudern sie noch ein Weilchen fort, beschließen
dem Gouvernement Vorstellungen zu uͤberreichen, und,
wenn es derselben nicht achtete, es fuͤr absurd zu er-
klaͤren.
Obiges Gespraͤch zeichnet bereits treffend die heutige
Mode sich zu kleiden, die allerdings fuͤr luͤsterne Maͤn-
neraugen die schoͤnste ist, die der Satan jemals erfin-
den konnte. Die Kleidung, die man heut zu Tage ehr-
bar nennt, haͤtte man vor hundert Jahren nicht ein-
mal einem Lustmaͤdchen oͤffentlich zu tragen erlaubt.
Wenn das nun so fort geht — und warum sollt' es nicht?
— so werden in hundert Jahren unsere Enkelinnen ih-
re Toͤchter mit wenigen Kosten kleiden. Man lacht wohl
jetzt uͤber den Gedanken, daß unsere Urenkelinnen viel-
leicht nur Schuͤrzen von Feigenblaͤttern tragen werden;
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/185>, abgerufen am 08.07.2024.
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