zählte, er sey in dem Gange eine große Strecke fortgewan- delt, weil er in der Ferne mancherlei Geräusch gehört, das aus der Stadt über ihm herunter tönte. Endlich ver- nahm er das Geschrei der Suchenden, und kehrte um. Auch ein Seiltänzer, der vor Kurzem auf dem Mark- te Pfähle einschlug, um sein Seil daran zu befestigen, fand denselben Gang, in dem noch alte Waffen rosteten. -- Das famöse Heidelberger Faß ist eine elende Merkwürdig- keit, die nicht einmal durch ihr Alterthum interessiert; denn das alte Faß ist auseinander gefallen, und Kurfürst Karl Theodor hat sich durch Erbauung eines neuen -- nicht verewigt. Jndessen rathe ich doch jedem Reisenden, in den Keller zu gehen; denn er findet etwas, das er nicht sucht, und das ihn wie mich ergötzen wird. Es ist nehm- lich die hölzerne Bildsäule eines ehemaligen Hofnarren, Clemens genannt. Ja, das ist eine wahre Hofnar- ren- Physiognomie: in diesem Jndividuum erkennt man auf den ersten Blick die Gattung. Nicht sowohl Witz (dem man keine Wahrheit verzeiht), als Jovialität (der man nichts übel nimmt) lebt und spricht in und aus diesem Gesichte. Jn dem Munde dieses Wohlgenährten wird Alles zum Scherz, wohl zum treffenden, aber nie zum bittern Scherz. Ja wahrhaftig, ich möchte einen solchen Narren um mich haben, und ich verdenke es allen gekrönten Häuptern, daß sie die nützliche Mode haben abkommen lassen. Die Bildsäule des ehrlichen Cle- mens scheint ihrem Untergange ziemlich nahe. Es wäre in der That Schade darum. Mir hat seine bloße Phy- siognomie einen heitern Augenblick gewährt, und ich möch- te ihn weit lieber ins Leben zurückrufen, als die berühm- te Dame Morata aus Ferrara, deren Denkmahl Sie in der Peterskirche finden. Sie starb im neun und zwanzig-
zaͤhlte, er sey in dem Gange eine große Strecke fortgewan- delt, weil er in der Ferne mancherlei Geraͤusch gehoͤrt, das aus der Stadt uͤber ihm herunter toͤnte. Endlich ver- nahm er das Geschrei der Suchenden, und kehrte um. Auch ein Seiltaͤnzer, der vor Kurzem auf dem Mark- te Pfaͤhle einschlug, um sein Seil daran zu befestigen, fand denselben Gang, in dem noch alte Waffen rosteten. — Das famoͤse Heidelberger Faß ist eine elende Merkwuͤrdig- keit, die nicht einmal durch ihr Alterthum interessiert; denn das alte Faß ist auseinander gefallen, und Kurfuͤrst Karl Theodor hat sich durch Erbauung eines neuen — nicht verewigt. Jndessen rathe ich doch jedem Reisenden, in den Keller zu gehen; denn er findet etwas, das er nicht sucht, und das ihn wie mich ergoͤtzen wird. Es ist nehm- lich die hoͤlzerne Bildsaͤule eines ehemaligen Hofnarren, Clemens genannt. Ja, das ist eine wahre Hofnar- ren- Physiognomie: in diesem Jndividuum erkennt man auf den ersten Blick die Gattung. Nicht sowohl Witz (dem man keine Wahrheit verzeiht), als Jovialitaͤt (der man nichts uͤbel nimmt) lebt und spricht in und aus diesem Gesichte. Jn dem Munde dieses Wohlgenaͤhrten wird Alles zum Scherz, wohl zum treffenden, aber nie zum bittern Scherz. Ja wahrhaftig, ich moͤchte einen solchen Narren um mich haben, und ich verdenke es allen gekroͤnten Haͤuptern, daß sie die nuͤtzliche Mode haben abkommen lassen. Die Bildsaͤule des ehrlichen Cle- mens scheint ihrem Untergange ziemlich nahe. Es waͤre in der That Schade darum. Mir hat seine bloße Phy- siognomie einen heitern Augenblick gewaͤhrt, und ich moͤch- te ihn weit lieber ins Leben zuruͤckrufen, als die beruͤhm- te Dame Morata aus Ferrara, deren Denkmahl Sie in der Peterskirche finden. Sie starb im neun und zwanzig-
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[14/0018]
zaͤhlte, er sey in dem Gange eine große Strecke fortgewan-
delt, weil er in der Ferne mancherlei Geraͤusch gehoͤrt,
das aus der Stadt uͤber ihm herunter toͤnte. Endlich ver-
nahm er das Geschrei der Suchenden, und kehrte um.
Auch ein Seiltaͤnzer, der vor Kurzem auf dem Mark-
te Pfaͤhle einschlug, um sein Seil daran zu befestigen,
fand denselben Gang, in dem noch alte Waffen rosteten. —
Das famoͤse Heidelberger Faß ist eine elende Merkwuͤrdig-
keit, die nicht einmal durch ihr Alterthum interessiert; denn
das alte Faß ist auseinander gefallen, und Kurfuͤrst Karl
Theodor hat sich durch Erbauung eines neuen — nicht
verewigt. Jndessen rathe ich doch jedem Reisenden, in
den Keller zu gehen; denn er findet etwas, das er nicht
sucht, und das ihn wie mich ergoͤtzen wird. Es ist nehm-
lich die hoͤlzerne Bildsaͤule eines ehemaligen Hofnarren,
Clemens genannt. Ja, das ist eine wahre Hofnar-
ren- Physiognomie: in diesem Jndividuum erkennt man
auf den ersten Blick die Gattung. Nicht sowohl Witz
(dem man keine Wahrheit verzeiht), als Jovialitaͤt
(der man nichts uͤbel nimmt) lebt und spricht in und aus
diesem Gesichte. Jn dem Munde dieses Wohlgenaͤhrten
wird Alles zum Scherz, wohl zum treffenden, aber
nie zum bittern Scherz. Ja wahrhaftig, ich moͤchte
einen solchen Narren um mich haben, und ich verdenke
es allen gekroͤnten Haͤuptern, daß sie die nuͤtzliche Mode
haben abkommen lassen. Die Bildsaͤule des ehrlichen Cle-
mens scheint ihrem Untergange ziemlich nahe. Es waͤre
in der That Schade darum. Mir hat seine bloße Phy-
siognomie einen heitern Augenblick gewaͤhrt, und ich moͤch-
te ihn weit lieber ins Leben zuruͤckrufen, als die beruͤhm-
te Dame Morata aus Ferrara, deren Denkmahl Sie in
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/18>, abgerufen am 01.03.2025.
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